Die Serie »Westworld« ist ein wichtiger feministischer Kommentar

Die Rache der Roboter

In der Serie »Westworld« werden Androiden in einem Freizeitpark von den Besuchern gequält. Oft geht die Gewalt von Männern gegen weibliche Roboter aus. In der frisch ausgestrahlten zweiten Staffel geht die Rebellion der zu Bewusstsein gekommenen Androiden gegen ihre Unterdrückung weiter.

Selbst als Videospiele graphisch noch nicht viel mehr zeigen konnten als grobe Pixel, es also schwer war, überhaupt etwas zu erkennen, gab es sie schon: die Sexspiele. Bereits 1982, als die Videospielindustrie noch in den Kinderschuhen steckte, veröffentlichte Atari das Spiel »Custer’s Revenge«, in dem es das Ziel des Offiziers George Arm­strong Custer ist, eine an einen Marterpfahl gefesselte Indigene zu ver­gewaltigen. Obwohl es sich nur um riesige Pixel handelte, welche wohl kaum zur Befriedigung für Skopophilie dienen konnten, wurde das Spiel 80 000 Mal verkauft, was wohl auch dem Medienrummel ­zuzuschreiben war, den das Spiel damals auslöste.

Inzwischen hat sich die Technik weiterentwickelt: Die gebeutelten Männer müssen sich nicht mehr mit Acht-Bit-Frauen und der eigenen Hand zufriedengeben. Virtual-Reality-Brillen suggerieren ihnen, Sex mit unterwürfigen und großbrüstigen Anime-Prinzessinnen zu haben, und dank zusätzlicher Sexspielzeuge kann sogar eine Penetration simuliert werden.

Dies wäre nicht weiter schlimm, stellt diese Technik doch eine legitime Möglichkeit zur Triebabfuhr für diejenigen dar, denen diese aus ansonsten unterschiedlichen Gründen verwehrt ist. Doch da sich Männlichkeit über die Abwertung des Nicht-Männlichen konstituiert, ist die Trieb­abfuhr in solchen Computerspielen immer auch an die Abwertung der auftretenden Frauen gebunden. Sie sind einzig und allein dazu da, unterworfen zu werden.

Diese Männerphantasie der Unterwerfung macht die HBO-Serie »Westworld« ebenfalls zum Thema. Die Serie, die seit 2016 läuft, ist eine Neuinterpretation des gleichnamigen Films aus dem Jahre 1973; Sky zeigt sie in Deutschland. Bei der titelgebenden »Westworld« handelt es sich um einen von Androiden, sogenannten Hosts bevölkerten Freizeitpark. Dieser Park ist dem Wilden Westen mit seinen Klischees nachempfunden. Der Besucher kann hier für 40 000 Dollar am Tag all seinen Ermächtigungsphantasien frönen und sie an den Androiden ausleben.

Zu Beginn lernt das Publikum die von Evan Rachel Wood gespielte Farmerstochter Dolores kennen, deren Tag, wie der Tag eines jeden Host, immer und immer gleich abläuft: Sie verabschiedet sich von ihrem Vater, erledigt Besorgungen in der Stadt, kehrt zurück und muss mitansehen, wie die Scheune ihres Vaters von Banditen überfallen wird. Nach einem gescheiterten Hilfsversuch und einer Schießerei wird Dolores von einem der Ganoven, einem Parkbesucher, vergewaltigt.

Hinter den Kulissen versucht man, geschlechter-gerechte Standards einzuhalten: Evan Rachel Wood erhält die gleiche Gage wie ihre männlichen Kollegen.

Neben der vermeintlich heilen Welt der sandigen Hügel samt Farm verfügt der Park Westworld auch über einen klassischen Saloon mit Bordell, der von der Saloondame Maeve (Thandie Newton) geführt wird. Die schwarze Maeve ist, im Gegensatz zu Dolores, sexuell offensiv und damit vertraut, wie man ein Gewehr benutzt. Im Laufe der ersten Staffel von »Westworld« sind es die Andro­iden Maeve und Dolores, die beginnen, Bewusstsein über ihre Situation zu entwickeln und gegen ihr Schicksal anzukämpfen.

 

Thandie Newton

Thandie Newton spielte die Bordellbesitzerin Maeve Millay, die sich in der zweiten Staffel auf die Suche nach ihrer Tochter macht

Bild:
Home Box Office, Inc

Die Hosts in Westworld werden, wenn sie beschädigt wurden oder man sie in einer anderen Story einsetzen möchte, neu programmiert; sämtliche bisherigen Erinnerungen werden dabei gelöscht. Doch die beiden Androidinnen beginnen sich zu erinnern: an das, was ihnen an­getan wurde, an vergangene Leben, an Traumata, daran, zeit ihrer Existenz nichts anderes gewesen zu sein als Objekte. Sie beginnen, sich ihrer Rolle im Patriarchat von Westworld zu verweigern.
Nacktheit gibt es übrigens auch in »Westworld«, vor allem in der ersten Staffel. Hier jedoch ist sie kalt und klinisch: Die nackten Hosts sitzen katatonisch in den Laboren von Delos, dem Unternehmen, das Westworld betreibt, wo man sie repariert und ihre Funktionen kontrolliert. Der eine oder andere Mitarbeiter nutzt diese Gelegenheit, um sich an den leblosen Körpern zu vergehen. Jedoch inszeniert diese Kamera den nackten Körper nicht voyeuristisch, sondern suggeriert dem Zuschauer, potentieller Mittäter zu sein.

 

Dolores, bei der nach wie vor unklar ist, ob ihr Aufbegehren auf Selbsterkenntnis oder auf ein Programm des inzwischen verstorbenen Präsidenten von Delos, Robert Ford (Anthony Hopkins) zurückgeht, hat sich zunächst zur Anführerin ­einer Roboter-Rebellion aufgeschwungen. Nachdem sie eine Veranstaltung zur Feier einer neuen Storyline in ein blutiges Gemetzel verwandelt, plant Dolores, Rache an ihren Schöpfern und Peinigern zu nehmen und jedem einzelnen Menschen, der ihr begegnet, das Leben zu nehmen, ­dafür, dass sie und die anderen Hosts nie die Chance hatten, etwas an­deres zu sein als Spielball für Männer mit Allmachtsphantasien.

Vor allem einen hat sich Dolores als Opfer auserkoren: den »Man in Black« (Ed Harris), ein Mann, der seit seinem ersten Besuch in Westworld in Dolores verliebt ist und sie Tag für Tag aufs Neue dafür strafen muss, Figur in einem riesigen Spielplatz und nicht reale Frau zu sein. Das Verhältnis zwischen Dolores und dem Man in Black ist sinnbildlich für patriarchale Gewalt: Eine Frau kann den Wünschen und Projektionen eines Mannes nie entsprechen und wird dafür bestraft.

Anders als Dolores sucht Maeve den Rückzug ins Private: Sie erinnert sich, dass sie vor ihrem Leben als Bordellbesitzerin als Farmerin mit einer kleinen Tochter gelebt hat. Diese Erinnerung befähigt sie dazu, ihre Programmierung zu überwinden und sich neu zu programmieren, was sie mit übermenschlicher Stärke und Intelligenz ausstattet. Mit Hilfe dieser neuen Fähigkeiten versucht sie, ihre Tochter wiederzufinden. Jedoch ist das private Glück in einem auf Entmenschlichung und Ausbeutung basierenden System schwer möglich, wie sie bald einsehen muss.
Im Internet wurde bereits diskutiert, ob »Westworld« als eine Abrechnung mit dem »weißen Feminismus« verstanden werden könnte. Denn während Dolores andere Hosts für sich instrumentalisiert und auch nicht davor zurückschreckt, ihren Geliebten einer brutalen Neuprogrammierung zu unterziehen, als dieser beginnt, an ihren Methoden zu zweifeln, verhält sich Maeve mit den anderen Unterdrückten solidarisch. So fragt Maeve Dolores bei ihrem von Zuschauern lange erwarteten Zusammentreffen, als die beiden über Freiheit diskutieren: »Do you feel free to command everybody else?«

Das Fernsehen ist ein Medium, das sich den Bedürfnissen des Pub­likums anpasst. Dies geschieht in der Serie »Westworld« nicht. Sind die Besucher des Parks in der Serie darauf bedacht, die Roboter zu quälen, animiert die Serie das Publikum dazu, sich mit ihnen zu identifizieren.

Es ist übrigens mitnichten so, dass sämtliche menschliche Mitarbeiter von Delos vom Prinzip her Ausgeburten des Bösen sind: Sie verhalten sich den Hosts gegenüber zwar kalt, instrumentell und nüchtern, schließlich handelt es sich bei den Androiden um Maschinen, die der Profitmaximierung dienen. Die Frage nach der Solidarität dieser Mitarbeiter mit den rebellierenden Hosts ist allerdings eine schwierige: Würden sie diesen damit nämlich eigenes Denken und somit Menschlichkeit zugestehen, würde dies implizieren, dass sie über all die Jahre hinweg zum Denken und Fühlen fähige Wesen Mord und Gewalt ausgesetzt ­haben –­ ein moralisches Dilemma. Es gibt dennoch einige Mitarbeiter, die sich der Verdrängung verweigern und sich mit den Hosts solidarisieren, wie der tragische und zweifelnde Bernard Lowe (ein in jeder Szene großartiger Jeffrey Wright), der über die Serie hinweg sich immer mehr auf die Seite der Roboter stellt.

Der dritte Host, der eigenständig zu Bewusstsein kommt, ist ein Krieger der »Ghost Nation«, Akecheta (Zahn McClarnon). War die »Ghost Nation« in den Anfangszeiten des Parks ein friedlicher Stamm von Native Americans und Akecheta in ­einer glücklichen Liebesbeziehung, wurde dieser Stamm zu einer ras­sistischen Phantasie von grausamen Wilden umgemodelt, um dem Pub­likum des Parks mehr Spannung und Action bieten zu können. Durch die immer wieder aufblitzenden Erinnerungen an seine ehemalige Geliebte findet Akecheta schließlich zu Bewusstsein. Nicht nur feministische Topoi kommen hier zur Sprache, auch Rassismus wird durch die »Ghost Nation« zum Thema gemacht.

Westworld ist ein Park, der sich an Männer richtet, die nie die Erfahrung gemacht haben, dass sich nicht nach ihren Bedürfnissen gerichtet wird. Das Fernsehen ist ein Medium, das sich den Bedürfnissen des Pub­likums anpasst. Dies geschieht in der Serie »Westworld« nicht. Sind die Besucher des Parks in der Serie darauf bedacht, die Roboter zu quälen, animiert die Serie das Publikum dazu, sich mit ihnen zu identifizieren.

Gerade in Zeiten von »Metoo« ist eine Serie wie »Westworld« ein dringend notwendiger gesellschaftlicher Kommentar, der sagt: So wie es ist, bleibt es nicht. Männer, die Frauen Gewalt antun, können nicht darauf hoffen, dass dies an Frauen vorbeigeht, dass sie nicht zu Bewusstsein kommen. Und auch hinter den Kulissen versucht man, geschlechtergerechte Mindeststandards einzuhalten: Evan Rachel Wood erhält, anders als zahlreiche andere Schauspielerinnen, die gleiche Gage wie ihre männlichen Kollegen.

Die zweite Staffel von »Westworld« kann bei Sky gestreamt werden.