Die Proteste im Irak gegen schlechte Lebensbedingungen und den Einfluss des Iran könnten der Regierung gefährlich werden

Dehydriert und arbeitslos

Seit Wochen protestieren im Süden des Irak Zehntausende gegen Wassermangel und Stromausfälle, aber auch gegen Korruption und Arbeitslosigkeit. Der Aufruhr ist spontan, könnte für die irakische Regierung aber gefährlich werden.

Bei Temperaturen von mehr als 40 Grad im Schatten hilft auch kein Schwitzen mehr. Der Körper dehydriert in wenigen Stunden. Die Weltgesundheitsorgani­sation empfiehlt daher bei extremer Hitze, viel Wasser zu trinken und einen kühleren Ort aufzusuchen. Nun sind derartige Temperaturen im ­Süden des Irak – schon immer eine der heißesten unter den besiedelten ­Gegenden der Erde – keine Seltenheit. Doch in der letzten Juniwoche und im Juli stieg die Temperatur dort auf 52 Grad im Schatten – elf Grad mehr als üblich.

Lokale Firmen wussten sich nicht anders zu helfen, als ihren Angestellten Hitzefrei zu geben. Schulen schickten die Kinder den ganzen Tag lang ins Schwimmbad. Dann sorgten Stromausfälle in der vier Millionen Einwohner zählenden Stadt Basra dafür, dass auch die Klimaanlagen ausfielen. Aus den Wasserhähnen rann nur noch eine salzige Brühe.

Bereits am ersten Tag der Proteste starb ein Demonstrant. In den Wochen darauf weiteten sich die Proteste auf Najaf, Maysan, Dhi Qar und Kerbela aus.

Mit der Hitze nahm unter den Irakern und Irakerinnen in den Südprovinzen nicht nur die Verzweiflung zu, sondern auch die Wut. Am 8. Juli gingen in Basra Hunderte auf die Straßen, zogen vor das Gebäude des Provinzgouverneurs und forderten lautstark die Wieder­herstellung der Stromversorgung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die irakischen Ordnungskräfte reagierten umgehend und rabiat. Der Baghdad Post zufolge schossen die Polizisten mit Tränengas und scharfer Munition in die Menge. Bereits am ersten Tag der Proteste starb ein Demonstrant. In den Wochen darauf weiteten sich die Proteste auf Najaf, Maysan, Dhi Qar und Kerbala aus. Eine aufgebrachte Menge stürmte den Flughafen von Najaf und blockierte die Zugangswege zu den ­Ölraffinerien. Rund drei Wochen nach Beginn der Proteste gehen die Menschen noch immer auf die Straße. Mindestens 14 Menschen kamen durch die Gewalt der Ordnungskräfte ums Leben.

Der Schuldige für die Unruhen im Südirak war für viele Beobachter schnell ausgemacht. Der Iran hatte die Energielieferungen an das Nachbarland im Juni zurückgefahren. Überlastete Leitungen und Stromausfälle waren die Folge. Der Irak hatte ausstehende Rechnungen nicht bezahlt – wohl auch, weil Geldüberweisungen in den Iran nach dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen und der Erneuerung der Sanktionen ungleich schwieriger geworden sind. »Die Iraner hatten eine klare Botschaft an die USA. Wenn wir kein Öl exportieren können und wir keine Investitionen aus der EU bekommen, dann schaffen wir für euch Probleme. In Syrien. Im Irak. In den Golfstaaten. Überall«, urteilte Saad Jawad, Professor für Politologie an der London School of Economics, auf al-Jazeera.

Doch allein der Nahostpolitik des US-Präsidenten Donald Trump oder verstimmten Iranern die Schuld zu geben, greift zu kurz. Denn die Irakerinnen und Iraker demonstrierten nicht nur gegen den Mangel an Wasser und Elektrizität, ihr Zorn richtete sich schnell gegen die Korruption der Regierung in Bagdad und in den Provinzen. »Die Situation der Jugend in Basra ist miserabel«, sagte Abdul Wahid, ein 26jähriger, der selbst an den Protesten teilnahm, der Zeitung Gulf News. So gibt es in der Stadt Hochschulabsolventen, die sich lediglich als Bauhelfer oder Reinigungskräfte ein paar Irakische Dinar verdienen können. Die Arbeitslosenrate in Basra beträgt 30 Prozent, im gesamten Irak sollen 70 Prozent derer, die jünger als 40 Jahre sind, auf der Suche nach Arbeit sein. Dabei lagern unter dem Sand der überwiegend schiitischen Südprovinzen rund 70 Prozent der irakischen Ölreserven, die über die Häfen in Basra und Umm Qasr verschifft werden. Doch die Einnahmen kommen nicht in den ­Massenquartieren der Großstädte an, sondern versickern in den Amtsstuben der Ministerien und Behörden.

Bereits am ersten Tag der Proteste starb ein Demonstrant. In den Wochen darauf weiteten sich die Proteste auf Najaf, Maysan, Dhi Qar und Kerbela aus.

Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegt der Irak Platz 166 von 176 – nur zehn der untersuchten Länder werden als noch korrupter eingestuft. Was das konkret bedeutet, beschrieb Mishan al-Jabouri, ein Mitglied des parlamentarischen Antikorruptionskomitees, bereits 2016 im Guardian. So gebe es im Irak rund 30 000 Geistersoldaten – jährlich würden rund 500 bis 600 Millionen US-Dollar als Gehalt an Sicherheitskräfte gezahlt, die gar nicht existierten. Das Geld steckten die Kommandeure ein. Ähnlich verhalte es sich mit Geldern im öffentlichen Sektor, so seien an Richter in Tikrit – der Herkunftsstadt Saddam Husseins – Mittel für den Bau eines Gerichts überwiesen worden, das nie errichtet wurde. Geld für den Ausbau der Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung in der Provinz Basra sei ebenso verschwunden. »Jeder ist korrupt – von der Spitze der Gesellschaft bis zur Basis. Jeder. Auch ich«, sagte al-Jabouri, der eingesteht, eine Zahlung von fünf Millionen Dinar (etwa 10 000 Euro) erhalten zu haben, damit er Ermittlungen gegen einen korrupten Beamten einstellt.