Die Proteste im Irak gegen schlechte Lebensbedingungen und den Einfluss des Iran könnten der Regierung gefährlich werden

Dehydriert und arbeitslos

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Korruption ist im Irak nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Rund 95 Prozent des staatlichen Budgets werden über den Verkauf von Rohöl erwirtschaftet. Bereits unter der Diktatur Saddam Husseins war kein Funktionär des Regimes der Ansicht, dass diese Einnahmen der irakischen Bevölkerung gehörten. Mit dem Austausch der politischen Führungsschicht nach der von den USA geführten Intervention im Jahr 2003 hat sich an dieser Praxis unter den neuen Machthabern wenig ­geändert. Ein politischer Posten bedeutet Zugriff auf einen Teil der Ölmilliarden. Wer bei dem Spiel nicht mitmacht, wird als schwach angesehen.

Die bewaffneten und unbewaffneten Konflikte der jüngsten irakischen ­Geschichte können als Resultat dieser Verteilungskämpfe und der Selbst­bedienungsmentalität der politischen Führungsschicht verstanden werden. Mit dem Sturz des Saddam-Regimes ging eine »Säuberungswelle« in den politischen Institutionen und der Armee einher. Sunnitische Politiker ­wurden aus Schlüsselpositionen entfernt und durch Schiiten ersetzt. Abgeschnitten von den Geldtöpfen in Bagdad griffen die ehemals Privilegierten zur ­Gewalt. Die Terrororganisationen al-Qaida und »Islamischer Staat« in den ­sunnitischen Gebieten des Irak wurden maßgeblich von ehemaligen Funktionären der Saddam-Junta aufgebaut. Unter den arbeitslosen Vorstadtkindern in Mossul, Tikrit und Baquba fanden sie ihre Fußsoldaten. Auch das Streben nach kurdischer Unabhängigkeit im Nordirak kam vor allem wegen des Streits der Regionalregierung mit der Zentralregierung in Bagdad über die Verteilung der Öleinnahmen in Schwung. Die Schiiten im Irak galten bislang als die Gewinner des Regimewechsels 2003 und der nachfolgenden Änderung der Machtverhältnisse im Irak.

Den anhaltenden Aufstand im schiitischen Südirak dürfte die Regierung unter dem seit 2014 amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi nur schwer beruhigen können. Denn die Proteste wurden nicht von einer Partei organisiert und haben kaum eine ­konfessionelle Basis, die sich die Regierung zunutze machen könnte. Die ­Demonstrierenden setzten das Hauptquartier von al-Abadis Partei Dawa ebenso in Brand wie das der vom Iran unterstützten Organisation ­al-Badr und des Obersten Islamischen Rats. »Wenn die Büros jeder Partei angegriffen werden, kann davon ausgegangen werden, dass die Proteste spontan sind«, analysiert Zaid al-Ali, ein früherer ­UN-Berater, die Lage für al-Jazeera. »Bei den Protesten geht es um die schlechten Lebensbedingungen und um Armut. Die Protestierenden sind frustriert vom Staat, unabhängig davon, wer diesen nun repräsentiert.«

Obwohl sich die Proteste in Basra auch offen gegen den iranischen Einfluss im Land richten, genießen sie die Unterstützung der schiitischen Geistlichkeit im Irak. »Die Regierung muss hart daran arbeiten, die Bedürfnisse der Menschen zu adressieren und ihr Leiden zu minimieren«, ließ Groß­ayatollah Ali al-Sistani über einen Sprecher ausrichten.

Die irakische Regierung reagiert überraschend schmallippig. Hadi al-Amiri, Kommandeur schiitischer Milizen und verlängerter Arm des iranischen Regimes im Irak, entschuldigte sich öffentlich bei den Demonstrierenden, nicht ausreichend auf deren Bedürfnisse eingegangen zu sein. Al-Abadi versprach, umgehend 10 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen, und beurlaubte am Sonntag kurzerhand den Minister für Elektrizität, Qassim al-Fahdawi. Dass deshalb die Klimaanlagen im Süden wieder anspringen und für etwas Abkühlung sorgen, ist unwahrscheinlich.