Der Comic von Alberto Breccia nach den Horrorgeschichten von H.P. Lovecraft

Berufsbedingte Expertise für’s Böse

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Dass ein solches Sujet einen Zeichner wie Breccia reizen musste, liegt nahe. Doch wie passt ein durchaus politisch inkorrekter Autor wie Lovecraft zu einem Kritiker der argenti­nischen Militärjunta wie Breccia? Denn spätestens gemessen an den Maßstäben der sechziger und sieb­ziger Jahre hätte einer wie Lovecraft eigentlich als zumindest dubios gelten müssen. Der sensible und mehr als nur etwas weltfremde Gentleman aus Neuengland, den es nach New York verschlagen hatte, erfuhr dort die Rohheit der gesellschaftlichen Umgangsformen traumatisch und schrieb in Briefen und Kommentaren die herrschende pragmatisch-geschäftsmäßige Rüpelhaftigkeit jenen in erster Linie zu, die dem, was Lovecraft für anständiges Benehmen und zurückhaltende Manieren hielt (und an denen er selbst um den Preis des ökonomischen Ruins festhielt), am ehesten zuwiderhandelten: den Immigranten und dem nicht zuletzt afroamerikanischen Subproletariat der Stadt.

»Die phantastischen Schriftsteller sind im allgemeinen Reaktionäre, und zwar einfach deshalb, weil sie sich ganz besonders, man könnte sagen, von Berufs wegen der Existenz des Bösen bewusst sind«, schrieb Michel Houellebecq in »Gegen die Welt, gegen das Leben«, seiner Hommage an Lovecraft, und hob hervor, was den Schöpfer des Cthulhu-Mythos dennoch vom Rassismus seiner Zeit zutiefst unterscheidet. Lovecraft sieht sich nicht als Mitglied einer zur Herrschaft berufenen »Rasse«, sondern als Repräsentant einer Lebensweise, die unweigerlich zum Untergang verdammt ist: Die Opfer in seinen Geschichten, die immer verstörend hoffnungslos enden, erscheinen Lovecrafts eigenem Schicksal nachgebildet. Feinfühlige Wissenschaftler, forschende Privatiers, wohlerzogene Sonderlinge sind es, nach denen das vorgeschichtliche Grauen greift und die schließlich der urtümlichen, rücksichtslosen Kraft aus der Finsternis erliegen; in der Erzählung »Schatten über Innsmouth«, 1931 geschrieben, taucht als Symbol des Kults der bösen, alten Mächte ebenso unerwartet wie passend das Hakenkreuz auf.

Die in Lovecrafts Horror durchscheinende Erfahrung, dass der nachbürgerliche Kapitalismus das Rohe, Unmittelbare und Unvermittelte so sehr fördert und benötigt, wie er zugleich Zartheit, Zurückhaltung und Differenziertheit selbst bei den einst Privilegierten nicht mehr duldet – das mag Breccia, der so gar nichts für Militär und Machismo übrighatte, wiederum für Lovecraft eingenommen haben, neben der immensen Herausforderung, vor die dessen phantastische Erzählungen das Format Comic stellt. »Ich wollte wissen, ob ich in der Lage war, mit Zeichnungen dasselbe zu erreichen wie Lovecraft mit seinen Texten«, sagte Breccia 1989 in einem Interview. Nun, er ist diesem Ziel zumindest nahe gekommen, auf jeden Fall so nahe wie keine andere bildliche
Adaption der ebenso hellsichtigen wie wahnwitzigen Erzählungen des Großmeisters des Grauens, H. P.
Lovecraft.

 

Alberto Breccia: Lovecraft. Avant-Verlag, Berlin 2018, 126 Seiten, 29 Euro