Die zapatistische Bewegung in Mexiko ist vom designierten Präsidenten des Landes wenig begeistert

Raus aus der Isolation

Im mexikanischen Chiapas hat die zapatistische Bewegung zur Diskussion über politische Perspektiven nach dem Wahlsieg Andrés Manuel López Obradors geladen. Die Wirtschaftspolitik des ­designierten Präsidenten betrachtet sie mit Sorge.

An der Metrostation Pino Juárez in Mexiko-Stadt trägt Andrés Manuel López Obrador bereits die Präsidentschaftsschärpe. Ein Kiosk verkauft Plüsch­figuren des designierten Präsidenten. Es ist ein Sinnbild für die Stimmung in Mexiko, nachdem der linke Kandidat López Obrador am 1. Juli mit absoluter Mehrheit die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat. In der vorhergehenden sechsjährigen Regierungszeit von Prä­sident Enrique Peña Nieto ist die Gewalt eskaliert, auf seinen Nachfolger setzen viele Mexikanerinnen und Mexikaner daher große Hoffnung.

Im Südosten Mexikos, im zapatistisch kontrollierten Caracol Morelia, betrachtet man den Kult um López Obrador hingegen mit Sorge. Die zapatistische Bewegung hat Anfang August ihre Unterstützerinnen und Unterstützer aus ganz Mexiko hierhin zu einem Treffen eingeladen, um über politische Perspektiven nach der Wahl zu diskutieren. Die Beteiligten werteten die Kampagne der unabhängigen indigenen Bewerberin María de Jesús Patricio Martínez, genannt Marichuy, aus, die auf Initiative des nationalen Rats der Indigenen (CNI) und der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) zur Präsidentschaftswahl antreten wollte.

Dass sie die nötige Anzahl an Unterschriften für eine Kandidatur erreichen würde, galt von vornherein als unwahrscheinlich. EZLN und CNI sahen die Kampagne vielmehr als ersten Schritt für eine landesweite Reorganisation der antikapitalistischen Linken. Seit im Januar 1994 als Reaktion auf den Aufstand der Zapatistas Hunderttausende in Mexiko-Stadt auf die Straße geströmt waren und die Regierung Carlos Salinas de Gortaris (1988–1994) zu Verhandlungen mit diesen gezwungen hatten, sieht der EZLN die mexikanische Zivilgesellschaft als wichtigen Bündnispartner.

»Seine wichtigsten Projekte werden die Territorien der indigenen Völker zerstören«, sagte Subcomandante Galeano über Mexikos designierten Präsidenten López Obrador.

Doch es bedürfe einer Erneuerung dieses Bündnisses, gestanden sich die Delegierten auf der Konferenz selbstkritisch ein. Gerade in Mexiko-Stadt ist derzeit wenig von der einstigen breiten Unterstützung der Zapatistas zu bemerken. Die Resultate der Kampagne Marichuys in Mexikos Hauptstadt waren ernüchternd: Nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung unterschrieb für ihre Kandidatur. An ihrer Univer­sität wüssten jüngere Studierende nicht mehr, wer die Zapatistas seien, berichtete eine Teilnehmerin aus Mexiko-Stadt. Ein Großteil der Stadtbevölkerung sehe keinen Zusammenhang zwischen der eigenen Lebensrealität und den Kämpfen der Indigenen, meinten andere. Kollektive in den Städten leisten Solidaritätsarbeit mit Chiapas, sind aber oft nur wenig in lokale Bewegungen involviert.

Wachsen könne die Bewegung nur, wenn sich dies ändere, war man sich auf dem Treffen einig. Für das Netzwerk an Unterstützerinnen und Unterstützern gelte es daher, »das Herz für die Rebellionen und Widerstände zu öffnen, die dort aufkommen und bestehen, wo jeder einzelne sich in Stadt und Land bewegt«, so Subcomandante Galeano (der sich früher Subcomandante Marcos nannte). Der EZLN schlug vor, der CNI solle sich für nichtindigene Mexikanerinnen und Mexikaner und Angehörige anderer Nationen öffnen und zum Rat aller Ausgebeuteten werden. Über den Vorschlag will der CNI auf einer Tagung im Oktober beraten. Eine Organisation sei dringend notwendig, denn es gebe keinerlei Anhaltspunkte, dass López Obrador ein linkes Programm verfolgen werde. »Seine wichtigsten Projekte werden die Territorien der indigenen Völker zerstören«, so Galeano.

 

López Obrador hat die Förderung ausländischer Investitionen in den südlichen Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas bereits zur Priorität erklärt. In Oaxaca verfolgt die zukünftige Regierung das Großprojekt einer Eisenbahnstrecke durch die Landenge von Tehuantepec, die Pazifik und Atlantik verbinden soll. Als Handelskorridor zwischen dem asiatischen und dem US-amerikanischen Markt soll das Projekt in Konkurrenz zum Panama-Kanal treten. Vor allem chinesische Investoren dürften daran interessiert sein. Auf der Landenge gibt es 539 indigene Gemeinden. Die zukünftige Regierung kündigte außerdem an, Sonderwirtschaftszonen auf dem Gebiet beider Bundesstaaten einzurichten.

Die Pläne sehen unter anderem Steuererleichterungen für ausländische Unternehmen vor. Die Löhne in Oaxaca und Chiapas liegen weit unter dem mexikanischen Durchschnitt, was die Zonen für maquiladoras attraktiv machen könnte, Fabriken, in denen ungelernte Arbeitskräfte manuelle Montagearbeiten für ausländische Unternehmen übernehmen. Auch Großprojekte zur Energiegewinnung und der Bergbau dürften in den Sonderwirtschaftszonen gefördert werden. Für indigene Gemeinden bedeuten diese oftmals den Verlust ihrer Territorien. Ende Juli hatte López Obrador angekündigt, eine Million Hektar des lakandonischen Regenwalds in Chiapas für die Holzwirtschaft zur Verfügung zu stellen.

Im designierten Präsidenten sehen die Zapatistas daher vor allem einen Garanten für die Fortführung einer Politik der Privatisierung von Gemeindeland. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Er verfügt mit dem Wahlergebnis von 53 Prozent der Stimmen über eine so breite Basis wie kein anderer mexikanischer Präsident vor ihm seit 1982. Das kann den Aufbau einer breiten Bewegung gegen seine Politik erschweren. Gerade weil López Obrador mit einer linken Rhetorik antrat, wirtschaftspolitisch aber für Kontinuität steht, betrachtet ihn der EZLN als Gefahr.

Auch die Gefahr der Spaltung von sozialen Bewegungen durch die Regierung besteht. Auf Dialogangebote López Obradors reagieren die Zapatistas daher harsch. Als der katholische Priester Alejandro Solalinde, ein enger Vertrauter López Obradors, von sich aus erklärte, die neue Regierung werde mit den Zapatistas verhandeln, lehnte der EZLN das kategorisch ab. Man verhandele seit dem Scheitern eines Gesetzes im Jahr 2001 – auf Grundlage des Abkommens von San Andrés von 1996 –, das den indigenen Gemeinden weitgehende Autonomie zugestehen sollte, nicht mehr mit Mexikos Regierungen.