Es gibt keinen »richtigen« Umgang mit Tod und Trauer

Nur der Tod ist egalitär

Vieles, was sich am Ende des Lebens abspielt, entzieht sich dem Einfluss der Sterbenden. Aber nicht alles. Wer sich rechtzeitig mit der eigenen Bestattung beschäftigt, macht es seinen Hinterbliebenen leichter.

Meine Mutter hatte vor drei Jahren einen schönen Tod. Trotz ihrer langjährigen Krebserkrankung ermöglichte ihr eine ambulante ärztliche Palliativ­therapie ein Leben zu Hause. Die Chemotherapie mit regelmäßigen Pausen verschaffte ihr eine relativ angenehme  Zeit, selbst ohne den Anspruch auf Heilung. Als die Nebenwirkungen zu stark wurden, beschloss meine Mutter gemeinsam mit den Ärzten, die Therapie einzustellen und der Krankheit ihren Lauf zu lassen. Ihre restlichen Medikamente waren gut eingestellt, sie musste sich nicht mit Schmerzen quälen. An einem Sonntagabend ist sie auf ihrem Lieblingssofa gestorben, mit meiner Schwester und mir an ihrer Seite. Nachdem der Arzt den Totenschein ausgestellt hatte, kamen meine Freundin und meine WG-Mitbewohner vorbei. Wir haben zusammen gesessen und getrunken. Schließlich haben meine Freundin und ich die Nacht bei meiner Mutter verbracht. Am Montagmorgen haben wir sie gemeinsam mit dem Bestatter in den Sarg gelegt und auf ihren letzten Weg gebracht.

Meine Mutter hatte Glück. Denn 20 Jahre früher wäre sie womöglich nicht an ihrer Krebserkrankung zu Hause gestorben, sondern in einem Krankenhaus an den Folgen einer Therapie, die bis zuletzt die fahle Hoffnung verfolgt hätte, ihre Krankheit zu besiegen. Sie wäre ein Opfer in der Schlacht gegen den Krebs gewesen.

Den Tod aus der Erfahrungswelt des Lebens zu verbannen, dazu hat jahrzehntelang auch das Bestattungsgewerbe zuverlässig seinen Beitrag geleistet.

Im Jahr 2017 sind über 932 000 Menschen in Deutschland gestorben. Das heißt, dass jeden Tag durchschnittlich über 2 500 Menschen ihr Leben verlieren. Etwa 25 bis 30 Prozent der Sterbenden scheiden zu Hause aus dem Leben. Für die meisten aber, immerhin 43 Prozent, ist das Krankenhaus die letzte Station. Es gibt die einsamen Tode, die unvorhersehbaren Unglücksfälle, Suizide und eben das Ende einer nicht heilbaren Erkrankung. In manchen Fällen beendet Gewalt das Leben eines Menschen. Zurück bleiben Familien, Freundeskreise, Bekannte, die alle damit konfrontiert sind, dass es eine Sache ist, Sterblichkeit abstrakt als Teil des Lebens anzuerkennen, aber eine ganz andere, den Verlust eines Menschen konkret fassen zu müssen. Keine Instanz vermag das Versprechen absoluter Gleichheit so zuverlässig einzulösen wie der Tod.

Wenige Gewissheiten werden im Alltag so oft verdrängt wie die Tatsache, dass das Leben eines jeden Menschen auf den Tod hinausläuft. Medizinischer Fortschritt, die Verbesserung der Lebensbedingungen und eine lange Phase ohne Kriege haben in Westeuropa dazu geführt, dass der Tod weitgehend aus der Wahrnehmung verbannt werden konnte. Krankheiten, Unglücksfälle oder tödliche Gewalt sind individuelle Tragödien, die die Mehrheit der Unbeteiligten nicht betreffen. In der Medizin ist der Tod der vermeintliche Ausnahmefall von Therapieerfolgen, die in den Kategorien vom Kampf gegen Krankheiten und dem Sieg über sie beschrieben werden. Sterben ist demnach eine Niederlage. Bis vor nicht allzu langer Zeit wurden Sterbende in Krankenhäusern in Abstellräume abgeschoben und sich selbst überlassen. Alte Menschen haben die letzten Stunden ihres Lebens nicht in oder wenigstens mit der Familie verbracht, sondern sind allein in einem Pflegeheim gestorben. Den Tod aus der Erfahrungswelt des Lebens zu verbannen, dazu hat jahrzehntelang auch das Bestattungsgewerbe zuverlässig seinen Beitrag geleistet. Obwohl in ländlichen Gebieten Totenwache und Totenwäsche nicht völlig vom professionellen Gewerbe verdrängt wurden, ist dies in den städtischen Milieus ganz und gar gelungen. Die Toten wurden nach dem Tod binnen Stunden von Bestattern überführt und Familien und Freunden entzogen. Irgendwann saß man dann in einer standardisierten Zeremonie in Kirchen und Kapellen vor einem geschlossenen Sarg oder gar einer Urne, ohne den toten Menschen noch einmal gesehen zu haben. Die ideologische Formel lautete, man solle Verstorbene doch so in Erinnerung behalten, wie man sie lebend zuletzt gesehen hat.

 

Daran hat sich in den letzten 25 Jahren zum Glück einiges verändert, auch wenn dafür manche Widerstände überwunden werden mussten. Obwohl bereits 1967 in England das erste Hospiz nach derzeitigem Verständnis gegründet wurde, ist in der Bundesrepublik erst seit den neunziger Jahren ein nennenswertes Netz an Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung entstanden. 2016 zählte der Deutsche Hospiz- und Palliativerband bundesweit immerhin 234 stationäre Hospize für Erwachsene, 14 Kinderhospize und über 304 Palliativstationen von Krankenhäusern sowie 1 500 ambulante Einrichtungen. In den pflegerischen Berufen wird die Pflege und angemessene Begleitung unheilbar Erkrankter und Sterbender immer mehr als Teil des Berufsbilds anerkannt.

Zusatzqualifikationen wie »Palliative Care«-Ausbildungen gehören mittlerweile zum Leitbild von Krankenhäusern und Pflegeheimen.
Auch im Bestattungsgewerbe findet langsam ein Wandel statt (siehe Seite 5). Die Zeit zwischen Tod und Bestattung ist nicht mehr die abgeschlossene Sphäre von professionellen Bestattungsabläufen, sondern ein gemeinsam gestalteter Prozess des Verstehens, Annehmens und Begreifens. Angehörige und Zugehörige bekommen zum Beispiel die Chance, sich an der Versorgung der Toten zu beteiligen und Abschied zu nehmen, ohne die nicht das beginnende Vergehen der Toten zu verleugnen. Der Tod ist ein nicht wiedergutzumachendes Unglück, aber in jedem Unglück können Anteilnahme, Begreifen und Rituale helfen, das Unannehmbare erträglicher zu machen. Die Trauer, die Verlusterfahrung, all das verlangt Antworten, die es nicht wirklich gibt. Auch im Bereich der Trauerarbeit haben sich in den vergangenen 20 Jahren vielfältige Angebote und Initiativen gegründet. Basierend auf den grundlegenden Theorien zur Trauerbewältigung von Elisabeth Kübler-Ross, Yorick Spiegel und Verena Kast gibt es diverse Angebote zur Unterstützung der Trauerarbeit. Dazu zählen Selbsthilfegruppen wie institutionalisierte Angebote und eine mittlerweile umfangreiche Literatur.

Eine wichtige Botschaft all dieser Institutionen und Ratgeber: Trauer ist kein behandlungsbedürftiges Problem, sondern eine natürliche Reaktion. Trauer ist ein individueller Prozess, in dem sich gutgemeinte schlechte Ratschläge – wie etwa sich mal einfach zusammenzureißen, weil das Leben schließlich weitergehe – verbieten. Und schließlich können sich viele Konflikte und Zerwürfnisse der Vergangenheit nach dem Tode eines Menschen in Familien und Freundeskreisen heutzutage bewältigen lassen, seit man weiß, dass Kinder und Jugendliche auf ihre Art trauern und dass Frauen anders trauern als Männer. Die Strategien der Trauerbewältigung folgen in vielen Fällen tradierten geschlechtspezifischen Rollenmustern. Während Männer sich nach außen häufig rational und kontrolliert geben, artikulieren Frauen ihre Gefühle, schämen sich nicht ihrer Tränen und suchen das Gespräch über ihre Verlusterfahrung. Nicht wenige Eltern scheitern an diesem unterschiedlichen Umgang mit der Trauer über ein verstorbenes Kind.

Doch die vielfältigen Beratungsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote bieten die Chance, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es keinen einheitlichen Maßstab für den einen richtigen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer gibt. All die positiven Entwicklungen scheitern jedoch oft an der sorglosen Ahnungslosigkeit der Leute, die sich für unsterblich halten. Zwar sind sich viele der Möglichkeit bewusst, die Grenzen medizinischer Therapie vor dem Ernstfall in Patientenverfügungen zu klären. Aber eine Regelung, wer nach dem eigenen Tod eigentlich die Dinge regeln soll, treffen die wenigsten. Wer mit der eigenen Herkunftsfamilie gebrochen hat und in einer Partnerschaft ohne Trauschein lebt, weiß möglicherweise nicht, dass im Falle des Todes allein die Familie über die Bestattung entscheidet, wenn eben nichts anderes festgelegt ist. Denn die sogenannte Bestattungspflicht liegt grundsätzlich bei der Familie oder den Ehepartnern. Ohne Vollmachten haben Mitbewohner oder Lebenspartner keine Rechte. Da können Familien etwa mit einer kirchlichen Trauerfeier späte Rache für die Lebensentwürfe ihrer Kinder üben auf Kosten der Punker-WG oder eines linken Kollektivs. Wenn man sterben möchte, wie man gelebt hat, dann sollte man auch regeln, was nach dem eigenen Tod passieren soll. Wem das egal ist, der sollte daran denken, dass die Hinterbliebenen eine Chance haben sollten, zu trauern und Abschied zu nehmen. Emanzipatorische Vorstellungen für das Leben sollten auch den Tod mit in den Blick nehmen.