ქვეყნის შიგნით - Arbeitsrecht und prekäre Beschäftigung in Georgien

Gewerkschaft ohne Arbeiter

Lohnarbeit ist in Georgien nicht sehr weit verbreitet. Was sich anhört wie ein schöner Traum, ist in Wahrheit ein großes Problem. Denn der deregulierte Staat verlässt sich auf die Fähigkeit seiner Bürger zur Subsistenzwirtschaft und schert sich nicht ums Arbeitsrecht.

Vor der riesigen Sameba-Kathedrale in Tiflis sitzen Frauen vor ihren provisorischen Verkaufstischen und bieten für Touristen Blumen, Kerzen und Heiligenbildchen feil. Nach georgischem Recht gelten sie als Selbständige, die in keiner Arbeitslosenstatistik auftauchen. ­Genauso verhält es sich mit Georgiern, die Land besitzen. Unabhängig von Größe und Ertrag des Grundstücks gelten sie als Grundbesitzer. Auch Per­sonen, die nur eine Stunde pro Woche arbeiten oder bei ihren Verwandten mithelfen, werden als »Selbständige« betrachtet. Sich arbeitslos zu melden, ist ohnehin eine wenig sinnvolle An­gelegenheit, denn der Staat zahlt kein Arbeitslosengeld. Offiziell beträgt die Arbeitslosenquote daher nur knapp zwölf Prozent. Realistischen Schätzungen zufolge liegen die Zahlen eher bei 30 bis 40 Prozent, in Tiflis sogar bei 50 Prozent der Erwerbsfähigen.

Doch auch jenen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen, bleibt nicht viel zum Leben. Das Lohnniveau in Georgien ist deutlich niedriger als in Russland, Kasachstan, Belarus oder Aserbaidschan. Es gibt keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn. Der monatliche Brutto­durchschnittslohn betrug im Jahr 2017 umgerechnet knapp 380 Euro. Doch nur etwa ein Fünftel aller abhängig Beschäftigten erzielt nach Angaben der georgischen Statistikbehörde Geostat ein monatliches Salär von mehr 300 Euro. Einige wenige besonders hohe Einkommen beeinflussen die ­Statistik.

Seit April 2017 existiert in Tiflis eine neue Gewerkschaft, die vor allem Menschen im Dienstleistungssektor organisiert, das »Solidarity Network«. Ihre Vorsitzende Sopo Japaridze berichtet der Jungle World noch von weitaus schlechter bezahlten Jobs in Tiflis: »Im vergangen Jahr hatten wir mehrere ­Arbeitskämpfe in Supermäkten, wo die Leute zum Teil 24 Stunden am Stück ­arbeiten. Sie verdienen dort zwischen 120 und 180 Euro im Monat.«

Allein in diesem Jahr starben in Georgien bereits 29 Menschen bei Arbeitsunfällen, elf von ihnen in Minen.

Die wenigen Arbeitsplätze in der ­übriggebliebenen Produktion, dem prekären Dienstleistungssektor und der drastisch unterbezahlten Landwirtschaft sind dennoch heiß begehrt. Dass ­Arbeitnehmerrechte und Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten werden, ist an der Tagesordnung.

Bis 2006 galt in Georgien das sowjetische Arbeitsgesetz von 1973, das den Arbeitern einen gewissen Schutz bot. Aber die damalige Regierung unter Micheil Saakaschwili schaffte 2006 im Rahmen einer Politik der Deregu­lierung und Privatisierung eine Reihe von Regelungen und Schutzmaßnahmen ab. Die Zahl der Kontrollinstanzen und ihre Befugnisse wurden reduziert, die Arbeitsaufsichtsbehörde wurde aufgelöst. Die International Labour Orga­nisation (ILO) monierte, dass diese ­Arbeitsgesetzgebung nicht ihren Konventionen entspreche.

Im Jahr 2013 besserte die Regierung das Gesetz schließlich nach. Zwar gibt es heute noch immer keinen Mindestlohn und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine ausreichende gesetzliche Krankenversicherung oder Ähnliches. Doch zumindest existiert seitdem eine Regelung für Urlaubs­tage, Arbeitszeiten und Kündigungen. Zwar war der Einfluss der Gewerkschaften bei der Durchsetzung der ­Novelle gering. Trotzdem wurden Garantien für gewerkschaftliche Arbeit ­geschaffen und das Verbot der Diskriminierung von Arbeitnehmern wegen ihrer Mitgliedschaft in Gewerkschaften in das Arbeitsgesetzbuch aufgenommen.
Insbesondere in Fragen der Arbeitsplatzsicherheit sehen die Gewerkschaften noch immer großen Nachhol­bedarf. Anfang April starben sechs Bergleute bei einer Methangasexplosion in der Mindeli-Kohlemine in der zentralgeorgischen Stadt Tkibuli. Die Mine wurde vorübergehend geschlossen. In den meisten georgischen Minen ­werden die Sicherheitsvorschriften höchst unzureichend eingehalten. Fast monatlich gibt es schwere Unglücke mit Toten und Verletzten. Allein in ­diesem Jahr starben in Georgien bereits 29 Menschen bei Arbeitsunfällen, elf von ihnen in Minen.

Zwar gab es Anfang August sieben Festnahmen im Zusammenhang mit dem Minenunglück, die künftige Einhaltung der Sicherheitsvorschriften wollten die Minenbetreiber von der Georgian Industrial Group (GIG) den Behörden aber dennoch nicht versprechen. Stattdessen boten sie der georgischen Regierung an, ihr die Kohlemine zu schenken. »Was sie eigentlich damit sagen wollen, ist: Fuck you«, erklärt Japaridze das Angebot der Betreiber. »Sie behaupten von sich selbst, eine ›soziale‹ Fabrik zu sein, die dem Wohl der Arbeiter diene. Sie drohen der Regierung nun implizit mit einer Schließung der Mine, um Druck aufzubauen.«

Auch für die großen Gewerkschaften stellt diese erpresserische Politik ein Problem dar. Der Bund der Georgischen Gewerkschaften (GTUC) ist mit rund 220 000 Mitgliedern die größte Gewerkschaft des Landes. Zwar begrüßt auch deren Vizepräsidentin Raisa Liparteliani die Festnahmen, ist jedoch skeptisch, ob sie ein ausreichendes Mittel zur Abschaffung gefährlicher Arbeitsbedingungen sind. Einen Plan, wie die Gewerkschaft die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern angesichts von Inflation und Massenarbeitslosigkeit effektiv vertreten kann, hat sie nicht. Doch die Funktionärin bleibt optimistisch. »Trotz der vielen Hindernisse in der Gesetzgebung und in der Praxis denke ich, dass die Gewerkschaften in Geor­gien stärker werden. Es war anfangs ziemlich schwierig, gegen Vorurteile aus Sowjetzeiten vorzugehen, aber die Gewerkschaften haben es geschafft, ihren Ruf als Arbeitnehmerrechtsorganisation zu stärken«, sagte sie der Jungle World.

Das tatsächliche Vertrauen der Georgier in Gewerkschaften ist dennoch gering. Zu marginal sind ihre Erfolge und zu behäbig ist ihr Agieren.

Die Mine in Tkibuli ist noch immer geschlossen. Die Gewerkschaft wartet ab. Ob in der Zwischenzeit Löhne oder Ersatzleistungen gezahlt werden, weiß derzeit keine der Gewerkschaftsvertreterinnen.