Die Blockpolitik ist blockiert
Am Ende bekamen sie 17,5 Prozent der Stimmen. In vielen internationalen Medien dominierte dieses Ergebnis der rechtsextremen Partei Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten, SD) die Berichterstattung über die schwedischen Parlamentswahlen vom 9. September. Vielleicht erwartet man mittlerweile gar nichts anderes mehr, als dass rechte Parteien in einem europäischen Land nach dem anderen Erfolge feiern. In Schweden selbst hielt sich das Entsetzen über den Erfolg der SD und ihren Vorsitzenden Jimmie Åkesson dagegen in Grenzen. Demoskopen und viele politisch Interessierte hatten ihnen ein weit besseres Abschneiden vorhergesagt. Der Zuwachs von 4,7 Prozentpunkten gegenüber der vorigen Wahl wirkte da nicht wie ein Schock.
Das eigentlich Erstaunliche an der Wahl dürfte sein, dass die Änderung der Sitzverteilung eher undramatisch ausfiel. Zwar legte keine der im Reichstag vertreten Parteien mehr zu als die Schwedendemokraten, es verlor aber auch keine mehr als 3,5 Prozentpunkte.
Weder gelang einer neuen Partei der Einzug ins Parlament, noch verfehlte ihn eine der bislang dort vertretenen. Und während sozialdemokratische Parteien in vielen europäischen Ländern zu Randerscheinungen geworden sind, blieben die schwedischen Sozialdemokraten stärkste Partei. Mit 28,3 Prozent der Stimmen hatten sie zwar ihr schlechtestes Ergebnis seit über 100 Jahren, viele ihrer Anhänger waren dennoch erleichtert und empfanden den Rückgang um 2,7 Prozentpunkte als glimpflich angesichts dessen, dass die bisherige rot-grüne Minderheitsregierung wenig populär war.
Schweden steht nun eine besonders schwierige Regierungsbildung bevor. Das liegt an der sogenannten Blockpolitik: Traditionell regiert entweder das Mitte-links-Lager, dem Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei angehören, oder die konservativ-bürgerliche »Allianz« aus Moderaten, Zentrumspartei, Liberalen und Christdemokraten. Hat keiner der beiden Blöcke eine Mehrheit, bildet normalerweise der stärkere eine Minderheitsregierung. Im Parlament sucht sich diese dann von Fall zu Fall eine Mehrheit, um Gesetzesvorhaben durchzubringen. So war es auch bislang. Die rot-grüne Regierung unter Ministerpräsident Stefan Löfven hatte trotz Tolerieung durch die Linkspartei keine Mehrheit.
Das Erstarken der Schwedendemokraten führte dazu, dass keiner der beiden Blöcke auch nur in die Nähe einer absoluten Mehrheit kam. Mitte-links hat mit 144 Parlamentsmandaten nur noch einen Sitz mehr als Mitte-rechts, die restlichen 62 Sitze gingen an die Schwedendemokraten. Von diesen will sich aber keine andere Partei abhängig machen.
»Die Blockpolitik ist tot«, sagte Löfven am Wahlabend. Nun wäre eine blockübergreifende Zusammenarbeit denkbar. Unklar ist angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse aber, wer auf wen zugehen soll. Der 61jährige Löfven will Ministerpräsident bleiben, Grüne und Linkspartei würden wieder mit ihm zusammenarbeiten. Anders als früher will die Allianz aber keine Minderheitsregierung von Mitte-links mehr zulassen.
Innerhalb des Mitte-rechts-Lagers gibt es allerdings Differenzen: Die Moderaten, mit einem Stimmenanteil von 19,8 Prozent zweitstärkste Partei, sowie die Christdemokraten haben eine aktive Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten zwar ausdrücklich ausgeschlossen, nicht aber eine Tolerierung. Zentrumspartei und Liberale betonen die Einheit der Allianz, haben eine Kooperation mit Mitte-links aber nicht kategorisch abgelehnt wie die anderen beiden Parteien. Die Frage ist nun, ob es Löfven gelingen wird, Zentrumspartei und Liberale auf seine Seite zu ziehen.
Dass Ulf Kristersson, der Vorsitzende der Moderaten, Ministerpräsident wird, ist unwahrscheinlich, da seine Partei am meisten an Wählergunst eingebüßt hat. Ein Novum wäre, wenn es am Ende die Parteien Zentrum (8,6 Prozent) und Liberale (5,5 Prozent) wären, die eine Koalition schmieden. Spekulationen in diese Richtung gibt es bereits. Am Freitag vergangener Woche deutete der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Anders Ygeman an, man könne sich unter Umständen einen Parlamentspräsidenten von Zentrum oder Liberalen vorstellen. Der Posten ist wichtig, da von dessen Inhaberin oder Inhaber abhängt, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Der Parlamentspräsident beziehungsweise die -präsidentin wird am 24. September gewählt, wenn der neue Reichstag erstmals zusammentritt.
Auch wenn die neue Regierungszusammensetzung noch nicht feststeht, scheint absehbar, dass Schweden in der Migrations- und Flüchtlingspolitik einen noch härteren Kurs einschlagen wird. Neben Themen wie Wohnungsnot und Personal- und Ressourcenmangel im Gesundheitswesen, in Schulen sowie bei der Polizei war diese eines der beherrschenden Themen des Wahlkampfs. 2014 und 2015 kamen viele Flüchtlinge nach Schweden, allein 2015 stellten 162 915 Menschen einen Antrag auf Asyl.
Die hohen Zahlen sorgen immer noch immer für Kontroversen und Verunsicherung. Obwohl seit 2016 deutlich weniger Menschen in Schweden Asyl suchen (2017 gab es gerade einmal 25 666 Anträge), führt Schweden noch immer Grenzkontrollen auf der Öresundbrücke nach Dänemark durch. Das Recht auf Familiennachzug hat die rot-grüne Regierung erheblich eingeschränkt. Die bürgerlichen Moderaten wollen gar das Recht abschaffen, auf schwedischem Territorium Asyl zu beantragen, und nur noch Flüchtlinge aufnehmen, die von schwedischen Behörden in Transitländern außerhalb der EU ausgewählt wurden.
Die Schwedendemokraten hatten ihre Positionen während des Wahlkampfs radikalisiert. Am Ende forderten sie neben einem Zuwanderungsstopp auch die Rückwanderung bereits legal ansässiger Migrantinnen und Migranten und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.
Auch wenn derart extreme Positionen kaum von der neuen Regierung übernommen werden dürften, besteht die Gefahr, dass sie sich in der Migrations- und Integrationspolitik von den Schwedendemokraten treiben lässt. Bereits den Wahlkampf haben die Rechtsextremen deutlich bestimmt und ihr befürchtetes gutes Abschneiden hatte bei den Parteien der Mitte schon lange vor der Wahl eine Rechtsentwicklung ausgelöst. Diese wird sich aller Voraussicht nach nur schwer wieder umkehren lassen.