20.09.2018
Klassenkampf - Die neuen Siebtklässler bleiben nicht mehr lange frisch

Kondition gefragt

Wir haben frische Siebtklässler! Sie sind inzwischen schon ein paar Wochen da, aber anders als ich wirken sie noch recht frisch. Nicht mehr ganz so wie in der ersten Unterrichtswoche, in der alle einen Schreibblock, verschiedenfarbige Ordner und eine Federtasche in einem ordentlichen Stapel vor sich auf dem Tisch liegen hatten, gerade auf ihren Stühlen saßen, meistens aufmerksam den neuartigen

Instruktionen lauschten und nur selten dazwischenriefen, dass sie jetzt mal aufs Klo gehen müssten und wo das überhaupt sei.

Inzwischen haben einige mitbekommen, dass die Lehrerinnen es zwar nicht gerne sehen, wenn sie ohne Material zu spät zum Unterricht erscheinen und dann erst einmal pinkeln gehen, diese aber nicht mehr dagegen unternehmen können als die Lehrerinnen in der Grundschule – also schlimmstenfalls die Eltern anrufen. Und es gibt ja Eltern, die auf so etwas recht eigen reagieren: Einer meiner Kollegen erzählt gern die Geschichte, wie er aus dem Unterricht heraus den Vater eines die anderen Kinder beleidigenden und belästigenden Jungen ­anrief und ihn – das Verfahren war nach vielen ähnlichen Vorfällen so mit Schulleitung, Jugendamt und Eltern abgesprochen – aufforderte, das Kind abzuholen. Der Schüler nahm das nicht weiter übel und brüllte, während der Kollege noch mit seinem Vater sprach, durch die Klasse: »Bring Chips mit!« Der Vater tat’s.

Derartiges würde unseren Siebtklässlerinnen selbstredend nie in den Sinn kommen, viele von ihnen sind ­jedenfalls auch in der vierten Schulwoche noch sehr bestrebt, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Im Englischunterricht haben sie dabei hauptsächlich das Problem, kein Englisch zu können. Die Englischbücher in der siebten Klasse heißen immer irgendwas mit »drei«, weil ab der fünften Klasse systematischer Englischunterricht ­erteilt wird. Das von mir derzeit verwendete Lehrwerk ist deswegen davon überzeugt, dass die Kinder positive und negative Aussagesätze sowie Fragen in drei bis vier verschiedenen Zeitformen formulieren und verstehen können und man jetzt mal langsam die Konditionalsätze an den Start bringen sollte. Die brav durchgeführte Erhebung zum Lernstand der Schülerinnen und Schüler ergab, dass sie mehrheitlich den Satz »My name is Jane and I am twelve years old« formulieren und verstehen können und Zeitformen für schmutzige kleine Tierchen halten.

Sie erzählen allerdings begeistert vom Englischunterricht: davon, wie dort gesungen und getanzt und gemalt wurde, wenn er mal nicht ausgefallen sei. Sie sind frisch und jung und wollen tanzen und singen und malen und wissen nicht, dass in der hintersten Ecke meines Schrankes die Konditionalsätze lauern, für die Zeit, wenn wir in den nächsten vier Wochen den Stoff zweier Jahre erarbeitet haben werden und sich niemand mehr frisch fühlt und das Jahr noch lange, lange nicht zu Ende ist.