Assange allein zu Haus
Sich enge Beziehungen zur russischen Regierung nachweisen zu lassen, dürfte nicht in Julian Assanges Interesse sein. Genauso wenig düfte sich der Wikileaks-Gründer wünschen, nach nunmehr sechs Jahren die Botschaft Ecuadors verlassen zu müssen und von der britischen Polizei verhaftet zu werden. Am Donnerstag voriger Woche wurde bekannt, dass russische Diplomaten bereit waren, ihm Ende 2017 zur Flucht aus Großbritannien zu verhelfen. Damit nicht genug, meldeten ecuadorianische Medien, dass in den nächsten Tagen ein Ende seines Botschaftsasyls erwartet werde.
Vermutlich hatte der Australier Assange mit seiner Flucht in die diplomatische Vertretung nur verhindern wollen, in Schweden zu Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von der Polizei verhört zu werden. Er befürchtete, von dort umgehend in die USA ausgeliefert zu werden, obwohl das Land, das er damals verächtlich als »Saudi-Arabien des Feminismus« bezeichnete, im Ruf steht, aus politischen Gründen nicht auszuliefern. Nun, sechs Jahre später, muss sich Assange ernsthafte Sorgen machen, dass ein US-Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wird. Bei den FBI-Ermittlungen über mögliche illegale russische Wahlkampfhilfe für Donald Trump wird auch die Rolle von Wikileaks bei der Weitergabe der gehackten E-Mails Hillary Clintons untersucht. Dass russische und ecuadorianische Diplomaten im vorigen Jahr in Geheimgesprächen einen allerdings in letzter Minute gescheiterten Plan entworfen hatten, Assange außer Landes zu bringen, dürfte US-Sonderermittler Robert Mueller jedenfalls mit Interesse vernommen haben.
Wie lange Julian Assange noch in der Acht-Zimmer-plus-Küche-Wohnung bleiben kann, die die Botschaft Ecuadors in Großbritannien darstellt, ist ungewiss.
Die Idee war simpel: Ecuadorianische Präsidenten können eine bestimmte Zahl von repräsentantiven Posten an Personen – in aller Regel politische Weggefährten – vergeben, die keine Karrierediplomaten sind. Assange müsste also nur mit einem Diplomatenposten in Moskau ausgestattet werden, durch den er Immunität genießen würde, so der Plan. Dummerweise hatte jedoch niemand bedacht, dass der diplomatische Status auch anerkannt werden muss. Am 21. Dezember 2017 teilte das britische Außenministerium offiziell mit, es akzeptiere Assanges Berufung nicht und gehe entsprechend davon aus, dass er »die in der Wiener Konvention festgelegten Privilegien und Immunitäten nicht genieße«. Im Übrigen gedenke man, ihn zu verhaften, sobald er die Botschaft verlasse. Damit war der Plan ruiniert. Er hatte vorgesehen, Assange am Abend des 24. Dezember mit Hilfe eines nicht namentlich bekannten russischen Geschäftsmannes sowie zweier russischer Botschaftsangehöriger in ein Auto mit Diplomatenkennzeichen zu setzen und zum Flughafen zu fahren. Vielleicht hätte er auch mit dem Schiff nach Ecuador gebracht werden sollen, in dem Punkt waren sich die Beteiligten wohl noch nicht ganz einig. Bekannt und vor allem offiziell bestätigt wurde der Plan durch das ecuadorianische Außenministerium, das auf die entsprechende Anfrage der Oppositionsabgeordneten Paola Vintimilla geantwortet und 28 Dokumente beigelegt hatte. Vintimilla hielt prompt am Donnerstag vergangener Woche eine Pressekonferenz ab, auf der auch eben diese Dokumente vorgestellt wurden.
Einige Tage zuvor hatte ein der Nachrichtenagentur AP zugespieltes Wikileaks-Dokument gezeigt, dass Assanges Beziehungen zu Russland schon mindestens acht Jahre zurückreichen. Zwei Tage nach »Cablegate«, dem Beginn der Veröffentlichung von US-Botschaftsdepeschen am 28. November 2010, hatte Assange eine Vollmacht ausgestellt, mit der ein Freund sein Russland-Visum in der russischen Botschaft in London abholen sollte. Beigelegt hatte er eine beglaubigte Fotokopie seines australischen Passes. Interessant ist der Name dieses ausdrücklich als »mein Freund« bezeichneten Mannes: Es handelt sich um Israel Schamir, einen rechtsextremen russischstämmigen Holocaust-Leugner. Dessen Verbindungen zu Assange und Wikileaks waren zwar schon bekannt, wurden aber von Assange noch im März 2011 dementiert. Damals war herausgekommen, dass Schamir drei Monate zuvor nach Belarus gereist war, um Alexander Lukaschenkos engstem Vertrauten die Depeschen in ihrem vollen Wortlaut auszuhändigen, in denen US-Diplomaten über Kontakte zu Oppositionellen im Land berichteten.
Im Januar 2011 hatte die staatliche Zeitung Sowjetskaja Belorussija mit dem Abdruck von Auszügen begonnen. Das US-Magazin Tablet berichtete im Herbst 2011, dass daraufhin zahlreiche Intellektuelle verhaftet worden seien. Assange hat aber nicht nur zu Schamir Verbindungen, sondern auch zu dessen Sohn Johannes Wahlström, der unter anderem durch eine antisemitische Fake-News-Reportage über angeblichen israelischen Organklau an Palästinensern aufgefallen war. Die beiden Männer hatten zusammen Partys besucht. Dann wurde bekannt, dass zwei Frauen Assange wegen sexuellem Missbrauch angezeigt hatten. Wahlström begann umgehend damit, sie in Blogs und Sozialen Medien zu diskreditieren, während Assange nach England flüchtete.
Wie sehr dieser heutzutage darauf bedacht ist, nicht mit Russland in Verbindung gebracht zu werden, zeigte sich auf Twitter. Auf dem Account von Wikileaks hieß es, Assange habe nie ein Visum für das Land beantragt, das Dokument sei eine Fälschung des »bezahlten Informanten« Sigurd Thordarson. AP betonte dagegen, alle geleakten Papiere seien von gleich vier verschiedenen Insidern verifiziert worden. Wie lange Julian Assange noch in der Acht-Zimmer-plus-Küche-Wohnung bleiben kann, die die Botschaft Ecuadors in Großbritannien darstellt, ist ungewiss. Die Zustände in der Botschaft hatten sich Ende 2017 stark verschlechtert. Assange gehe den Mitarbeitern auf die Nerven, hieß es. Im Frühjahr wurde sein Zugang zum Internet gekappt, lediglich seine Anwälte hatten ein Besuchsrecht. Außerdem wurde es ihm verboten, Statements abzugeben, die Einfluss auf die Außenpolitik haben könnten. Falls der ecuadorianische Präsident Lenín Moreno angenommen hatte, diese Restriktionen könnten Assange dazu bewegen, die Botschaft zu verlassen, sah er sich getäuscht.
Allerdings ist es um Assange einsam geworden: Seit dem 15. Juni ist der erste Konsul der Botschaft, Fidel Narváez, seinen Posten los. Er war maßgeblich daran beteiligt, Assange Asyl in der Vertretung zu verschaffen. Von der Demission war Narváez überrascht worden, seine Frau und seine Kinder sind britische Staatsbürger. Narváez versucht derzeit, ein Visum zu erhalten, um im Land bleiben zu können. Der nunmehr ehemalige Diplomat ist seit 2012 eng mit Assange befreundet, in dessen ersten Monaten als Botschaftsflüchtling blieb er rund um die Uhr bei ihm, weil damals befürchtet wurde, britische Polizei könne die Räume stürmen. Und er hatte als einziger Mitarbeiter Zugang zu den drei Räumen, die Assange okkupiert und mit Magnetkartenschlössern versehen hatte.
Auch in einem anderen Whistleblower-Fall hatte sich der Diplomat sehr engagiert: 2013 stattete er den damals nach Hongkong geflüchteten, mittlerweile in Russland lebenden Edward Snowden mit einem Dokument aus, in dem ihm diplomatischer Schutz versprochen wurde.