Die Verkehrsminister der CSU kann man am besten mit Hilfe von Allegorien verstehen

Ein Zoo namens CSU

Eine allegorische Annäherung an die berühmt-berüchtigten Verkehrsminister der CSU.

Wirtschaft und Verkehr gehören für die CSU traditionell eng zusammen. Seit geraumer Zeit hat die Christlich-Soziale Union in Bayern e. V. deshalb bundespolitisch eine Art Abonnement auf das Verkehrsministerium inne. Nach Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt leitet seit einem Jahr Andreas Scheuer das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Ein wenig vergessen scheint da der wohl schillerndste CSU-Verkehrsminister der jüngeren Geschichte, ein Mann, der nicht zuletzt wegen seiner Biographie weniger stark in ­Erscheinung trat. Es handelt sich um den langjährigen Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr, Otto Wiesheu.

Diese Männer sind offenkundig echte Pfundskerle, gute Christen sowieso. Will man sich ihnen nähern und fragen, welchen Werten und Lehren sie sich verpflichtet fühlen und was für Vorbilder sie abgeben, scheint es nur angemessen zu sein, dies mit Hilfe einer Textsorte zu tun, die aus dem Mittelalter stammt: das Bes­tiarium.

Ein Bestiarium beschreibt die Eigenschaften von Tieren und Fabel­wesen anhand ihrer Verhaltensweisen und verknüpft diese zumeist allegorisch mit der christlichen Heilslehre, etwa mit Handlungen und Aussagen von Jesus Christus in der Bibel. Das bekannteste Bestiarium und zugleich ein Vorläufer der ganzen Gattung (pseudo-)zoologischer Kompendien ist der »Physiologus«, der in seiner ersten Fassung zwischen 150 und 170 n. Chr. auf Griechisch entstand. Der Begriff Physiologus bedeutet ­eigentlich »Naturforscher«, Aristoteles wurde etwa als ein solcher bezeichnet. In der anonymen und zunächst unbetitelten Schrift, bereits durchzogen von christlichem Antijudaismus, dient der Physiologus als Beobachter und Typologe der Tierwelt. Er bestimmt, wie das Handeln der Tiere – positiv oder negativ – zu christlichen Werten in Beziehung steht und wie man sich als Leserin und Leser daran ein Beispiel nehmen sollte, beginnend mit dem »König der Tiere«: »Der Physiologus sagte vom Löwen, er habe drei Eigenheiten.« Zum einen verwische der Löwe mit dem Schweif seine Spuren, vor allem aber schlafe er mit offenen Augen und erwecke seine Jungen durch Anhauchen zum Leben.

 

Wiesheu oder: »Man wird doch wohl noch...!«

In der Nacht zum 29. Oktober 1983 verursachte der damalige CSU-­Generalsekretär Otto Wiesheu mit 1,9 Promille Alkohol im Blut einen schweren Auffahrunfall, bei dem der jüdisch-polnische Rentner und ­Holocaustüberlebende Josef Rubinfeld – auf dem Weg in sein Geburtsland, unter anderem um Auschwitz-Birkenau zu besuchen – ums Leben kam. Vom Gerichtsprozess ein Jahr später berichtet der Spiegel, Wiesheu, angeklagt der fahrlässigen Tötung, habe auf seiner Fahrtüchtigkeit und seinem Urteilsvermögen beharrt: »Man wird doch noch unter Alkohol fahren dürfen, solange man sich fahrtüchtig fühlt.« Und außerdem, so Wiesheu: »Für mich war das ein ­stehendes Fahrzeug.« Er kam in zweiter Instanz mit einer einjährigen Bewährungsstrafe davon. Vom Posten des Generalsekretärs musste er nach dem Unfall zwar zurücktreten, doch die CSU hielt beharrlich zu ihm. Vorrübergehend geparkt als Geschäftsführer der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, war er wenige Jahre später wieder für größere Aufgaben vorgesehen.

1993 wurde er schließlich unter Edmund Stoiber ausgerechnet bayerischer Verkehrsminister und blieb bis 2005 in diesem Amt. 1999 verglich Wiesheu die Pläne der rot-grünen Bundesregierung zum Atomausstieg mit der »Endlösung der Judenfrage«, woraufhin ihm Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden, empfahl, zurückzutreten und seinen Geisteszustand überprüfen zu lassen. 2004 wurde er zudem Nachfolger von Jürgen Möllemann (FDP) als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft.

Nachdem er im Herbst 2005 noch die Vereinbarung zur großen Koalition mitverhandelt hatte, wechselte Wiesheu am 1. Januar 2006 nahtlos in den Vorstand der Deutschen Bahn. Zuvor bekam er noch das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland und den Bayerischen Verdienstorden verliehen. Ob all dies dem ­Löwen des Physiologus gerecht wird, sei dahingestellt. Den Löwen als das bayerische Wappentier scheint er, mit Blick auf all seine Auszeichnungen, aber offenbar gut zu verkörpern.

 

Ramsauers Ideale

Nachdem die DDR im Herbst 1990 der Bundesrepublik beigetreten war, bemühte sich die Bundesregierung, internationale Befürchtungen eines neuen deutschen Größenwahns zu entkräften, etwa indem sie mit der polnischen Führung einen Vertrag aushandelte, um die Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsch-polnische Grenze zu bestätigen. Bei derlei Wiedergutwerdung der Deutschen wollten jedoch nicht alle Unionspolitiker mitspielen, so dass 23 Abgeordnete, vor allem aus der CSU, eine Erklärung abgaben, in der die Forderung enthalten war, die »Ideale« der deutschen Heimatvertriebenen sollten ebenfalls Eingang in den Vertrag finden. Da dies nicht der Fall sei, müsse man sich enthalten oder ­dagegen stimmen. Peter Ramsauer votierte – wie Erika Steinbach und elf weitere Unionsabgeordnete – also gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Bei einer derart geschichtsrevisionistischen, ja rechtsextremen Meinungsäußerung, 46 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, würde man eigentlich eine mediale Skandalisierung erwarten. Diese aber blieb aus. Die Taktik ging auf: Mit Hilfe der kleinen Initiative wurde die Grenze akzeptierter öffentlicher Äußerungen weiter nach rechts verschoben. Nachdem Ramsauer 2009 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geworden war, erinnerte die Frankfurter Rundschau beinahe als einzige Zeitung an seine grenzüberschreitenden Ansichten.

»Der Physiologus sagt vom Fuchs, er sei ein listiges Tier. Wenn er nämlich Hunger leidet und keine Beute zum Fressen findet, sucht er, wo er eine schlammige Stelle in der Erde findet oder einen Spreuhaufen; dort wirft er sich, mit dem Blick nach oben, hinein, zieht den Atem tief ein und röchelt schrecklich.« So wirkt er ungefährlich oder gar wie potentielle Beute, so dass Vögel sich neben ihm niederlassen. »Er aber springt auf, packt und frisst sie.«

Sein Rechtskonservatismus hat Ramsauer als Direktkandidaten für den Bundestag im Übrigen nie Probleme bereitet, im Gegenteil: Er gewann seinen Wahlkreis Traunstein seit 1990 regelmäßig mit absoluter Mehrheit. Dass seine Münchner Burschenschaft Franco-Bavaria, in der er »Alter Herr« ist, als Mitglied der Initiative Burschenschaftliche Zukunft laut Experten für Rechtsextremismus zudem AfD-nahe Positionen vertreten dürfte, hat seinem öffentlichen Ansehen ebenfalls keinen Abbruch getan. Nachdem er Ende 2013 sein Ministeramt abtreten musste, ist er – als Nachfolger des umstrittenen Sportfunktionärs Thomas Bach – seit mittlerweile vier Jahren Präsident des Lobbyvereins Ghorfa, der Arabisch-Deutschen Vereinigung für Handel und Industrie. Diesem wurde wiederholt die Unterstützung der BDS-Bewegung vorgeworfen, wenngleich die Antworten der Bundesregierung auf diesbezügliche parlamentarische Anfragen von Volker Beck und Omid Nouripour von den Grünen dies nicht klar bestätigten, aber eben auch nicht ausschlossen.
Dobrindt tölpelt

Der Ameisenlöwe tarnt sich laut Physiologus auf eine andere Art und Weise als der Fuchs. Außerdem mangelt es ihm an Klarheit und Gerad­linigkeit: »Eliphas, der König von Theben, sagte: ›Der Ameisenlöwe ging zugrunde, weil er keine Speise fand.‹ Der Physiologus sagte vom Ameisenlöwen, er sei vorne wie ein Löwe, hinten aber wie eine Ameise. So ist auch ein Mann mit zwei Seelen unbeständig auf all seinen Wegen. Man soll nicht auf zwei Wegen wandeln noch doppelzüngig reden beim Gebet.«

Der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder beeindruckt seine Fans jedes Jahr aufs Neue mit aufwendigen Kostümen zum fränkischen Fasching. Mal verkleidete er sich als Homer Simpson, mal als der Oger Shrek, mal als Gandalf. Ob die Kostümierung auch etwas über seinen Charakter aussagen soll, wer weiß? Bei Ramsauers Nachfolger als Verkehrsminister, Alexander Dobrindt, wirkte es zuweilen so, als habe sich ein Clown als Politiker verkleidet. Immer wieder fiel er durch erratisches Gebaren oder durch politische Ideen auf, die jeden Realismus vermissen ließen oder offensichtlich dem EU-Recht oder dem Grundgesetz widersprachen.

Das Ziel einer PKW-Maut für Ausländer hatte er allerdings von seinem Vorgänger übernommen, um es sich nur umso stärker zu eigenen zu machen. Formal wurde die Maut schon zum Januar 2016 von der vorherigen Großen Koalition eingeführt, als Zugeständnis an die CSU, angeblich konform mit EU-Recht. Die tatsächliche Umsetzung wird jedoch fortwährend verschoben, zuletzt wurde Mitte 2020 als möglicher Starttermin genannt. Jedenfalls soll sie in dieser Legislaturperiode kommen, meldete das Verkehrsministe­rium im April, denn auch Dobrindts Nachfolger Andreas Scheuer hält ­eisern an den Plänen zu diesem CSU-Prestigeprojekt fest. Eine Klage ­Österreichs beim Europäischen Gerichtshof ist bereits anhängig und hat gute Aussichten auf Erfolg.

Doch nicht nur beim Thema PKW-Maut klafften Worte und Taten von Alexander Dobrindt weit auseinander. Ob Aufklärung im Dieselskandal, Breitbandausbau, Förderung von E-Mobility und so weiter und so fort: In den vier Jahren Verkehrs- und ­Infrastrukturpolitik unter ihm gab es nahezu keinerlei Ertrag außer kernigen Sprüchen und doppelzüngigem »Gerede mit CSU-Folklore« (Tagesspiegel). Im Physiologus kommt übrigens auch eine Reihe von skurrilen Vögeln vor, die Seevogelfamilie der Tölpel gehört nicht dazu.