Am letzten Oktoberwochenende protestierte »Ende Gelände« im Hambacher Forst

Umkämpftes Gelände

Seite 2 – Ausbruch mit Gebrüll


Am Samstagmorgen treffen sich die Menschen zur Solidaritätsdemons­tration mit »Ende Gelände« an der »Hambi Mahnwache«, direkt am ­gefährdeten Waldstück. Etwa 1 500 Menschen warten auf die Ankunft des ­»pinken Fingers«, der sich der Demonstration anschließen will. Als die Gruppe an der Mahnwache ankommt, wird sie von den Wartenden mit Jubel und ­Gesang begrüßt und der Demonstrationszug setzt sich in Bewegung.

Im »pinken Finger« marschiert auch John mit. »Wir müssen jetzt etwas tun, auch damit die Medien etwas davon mitbekommen. Das geht mit radikalem Protest besser als mit lieben Worten«, sagt er. Wie dieser Protest aussieht, zeigt sich kurz vor Morschenich. Auch dieses Dorf soll den Baggern von RWE zum Opfer fallen. Die Demonstrierenden im »pinken Finger« zünden Rauchtöpfe und brechen unter lautem Geschrei aus dem Demonstrations­zug aus. Die Polizei scheint von der ­Aktion überrascht und kann dem Ausbruch zuerst nur fünf berittene Beamten entgegensetzen. Daraufhin streben die Protestierenden des »pinken Fingers« auseinander und laufen um die Beamten zu Pferd herum in Richtung eines kleinen Waldstücks. Es geht kreuz und quer über Felder, immer wieder umlaufen die Demonstrierenden die Polizeiketten. Dabei nutzen sie mit­gebrachte Strohsäcke. Diese werden vor den eigenen Körper gehalten, um die Wucht des Aufpralls gegen eine Polizeikette zu verringern. Zudem bekommen die Polizisten manchmal nur den Strohsack zu fassen, wenn sie Demons­trierende herausgreifen wollen.

Schließlich erreicht die Gruppe aus etwa 2 000 Menschen ein Waldstück. Die zuvor getroffene Vereinbarung, dass es beim Ausbruch des »pinken Fingers« gewaltlos zugehen soll, halten alle Beteiligten ein. Als der Demonstrationsblock im Slalom immer wieder eine Landstraße überquert, schlägt ein schwarz gekleideter Mann jedoch die Spiegel von Polizeiautos ab.
Im Wald laufen die Demonstrierenden des »pinken Fingers« plötzlich in eine Polizeikette. Die Polizistinnen und Polizisten rücken dicht zusammen und verbieten den Pressevertretern kurzzeitig den Durchgang. Eine Journalistin bekommt einen Schlag ins Gesicht, als sie sich der Polizeikette nähert. Als eine Demonstrantin an einem Polizisten vorbeiläuft, schlägt dieser ihr von hinten mit der Faust auf den Kopf. Trotz des harten Einsatzes schafft es die Polizei nicht, die Menschen des »pinken Fingers« aufzuhalten. Etwa 2 000 Menschen haben es aus dem Wald geschafft und gehen über ein letztes Feld ihrem Ziel entgegen, der Hambachbahn.

 

Lahmlegen und festketten

Die Bahnstrecke versorgt zwei angrenzende Kraftwerke mit Kohle aus dem Tagebau Hambach – ist sie länger außer Betrieb, kommt die Kohleverstromung zum Erliegen. Deshalb ist die Bahn ein zentrales Blockadeziel von »Ende Gelände«. Sie wird am Samstag an zwei Stellen besetzt. Die Menschen auf den Gleisen haben gute Laune – sie ziehen sich um, singen, einige tanzen. Ein Mann hat ein Didgeridoo dabei und spielt »Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad« und eine sehr schiefe Version von Celine Dions »My Heart Will Go On«.

Die Demonstrantin Nelli erklärt, warum die gute Laune so wichtig für den Erfolg sei: »Eine ganz wichtige ­Fähigkeit, die man für so eine Besetzung braucht, ist, dass man immer wieder versucht, seine Gelassenheit zurückzugewinnen und sich selbst in einen ­ruhigen und auch fröhlichen Zustand zu versetzen. Denn es ist ganz schön anstrengend und manchmal auch ­beängstigend, da ist es dann gut wenn man es schafft, sich selbst zu ermu­tigen.«

Die Polizei scheint nicht auf diese Aktion vorbereitet zu sein, einzelne Polizeigrüppchen stehen an der Böschung und schauen dem bunten Treiben auf den Schienen zu. Die Besetzerinnen und Besetzer holen Rettungsdecken heraus und bereiten sich auf eine nächtliche Besetzung vor; nachts werden die Tiefsttemperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen.

Als es dunkel wird, stellt die Polizei Baustrahler auf. Die Besetzerinnen und Besetzer nehmen dies mit Humor und feiern auf den Schienen der Hambachbahn eine Party unter freiem Himmel – und mit heller Beleuchtung. In der Nacht bleibt es weitgehend ruhig. Am Sonntagmorgen geben viele Menschen die Besetzung freiwillig auf und ziehen in einer großen Abschluss­demonstration zurück zum Camp von »Ende Gelände«. Einige bleiben jedoch auf den Schienen, manche haben sich an Rohre unter den Schienen gekettet.

»Dieses Anketten mit sogenannten Lock-ons oder überhaupt sich zu befestigen an solchen Anlagen, ist eine Straftat, und das wollten wir auf jeden Fall verhindern«, sagt Paul Kemen, der Pressesprecher der Aachener Polizei. Die Polizistinnen und Polizisten greifen hart durch und räumen die Blockade unter dem Einsatz von Schmerzgriffen. Die Festgenommenen werden mit ­einem RWE-Zug zu einem Bahnhof gebracht, von dem aus sie in die ­Gefangenensammelstellen in Aachen und Brühl gefahren werden. Nach 28 Stunden sind die letzten Menschen von den Gleisen entfernt.

Das Bündnis »Ende Gelände« feiert das gesamte Aktionswochenende als großen Erfolg. »Ein siegreiches Wochenende für David gegen Kohliath«, heißt es auf Facebook. Auch wenn die Kohleproduktion nicht zum Erliegen gekommen ist, da RWE Kohlevorräte in den Kraftwerken gelagert hat und kurz­fristig nicht auf die Versorgung durch die Hambachbahn angewiesen ist, ­waren die Proteste vom Wochenende bislang der Höhepunkt der noch jungen Bewegung für den Kohleausstieg. Über 6 500 Menschen haben an diesem Wochenende ­gezeigt, dass sie zu zivilem Ungehorsam bereit sind, um ein sofortiges Ende der Braunkohleverstromung zu erreichen. 50 000 Menschen kamen zur Großdemonstration. Einer Umfrage von Emnid zufolge sprechen sich 75 Prozent der Deutschen für den Erhalt des Hambacher Waldes aus.

Johannes mit dem Zauberermantel plant schon sein weiteres Engagement: »Bislang gab es wenig Verbindungen zwischen den umgesiedelten Menschen und uns als Bewegung. Das ist ein Punkt, an dem wir ansetzen können.« Denn auch, wenn kein Aktions­wochenende sei, müsse man sich als ­Bewegung mit den Betroffenen von Dorfräumungen und Rodungen zugunsten der Kohleförderung solidarisieren.