Zwei Studien über rechts­extreme Ansichten in Thüringen und Sachsen

Heimatverbunden gegen Flüchtlinge

Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiziganismus – zwei Studien geben Aufschluss über die Stimmung in Thüringen und Sachsen.

Anfang November trafen sich Antifaschisten und Antirassisten aus verschiedenen Organisationen im west­thüringischen Eisenach zum alljährlich stattfindenden »Ratschlag«. Zu der bereits zum 28. Mal stattfindenden Veranstaltung, die dem Austausch lokaler und regionaler Gruppen sowie der Diskussion über die Ursachen des Rechtsextremismus und über Gegenstrategien dienen soll, kamen ungefähr 350 Teilnehmer. Für Eisenach entschieden sich die Organisatoren, weil sie damit »die Aktiven vor Ort unter­stützen« wollten, »die seit Jahren von der hiesigen Neonaziszene massiv bedroht und auch körperlich angegriffen werden«.
Das Neonazimilieu ist groß in Eisenach. Seit 2014 befindet sich im »Flieder Volkshaus« die NPD-Landesgeschäftsstelle. Dort finden regelmäßig Rechtsrockkonzerte und andere Festivitäten statt, dort treffen sich die »Nationale Jugend Eisenach« und bundesweit bekannte Rechtsextreme. So trat zum Beispiel der Gründer der als kriminelle Vereinigung verbotenen »Skinheads Sächsische Schweiz«, Thomas Sattelberg, dort als Referent auf, auch der »volkstreue Liedermacher« Frank Rennicke spielte in dem Haus.
Der »Ratschlag« begann mit einem Mahngang, der unter anderem zur Gedenkstätte der ehemaligen Eisenacher Synagoge führte, die am 9. November 1938 zerstört wurde. »Der Mahngang wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet«, kritisierten die Organisatoren. Statt die Teilnehmer des Rundgangs zu schützen, ging die Polizei dem Vorbereitungskreis zufolge »gegen das Entfernen und Überkleben von rassistischen, antisemitischen und neonazistischen Aufklebern vor, die das Stadtbild prägen«. Die Organisatoren kritisierten im Gespräch mit der Jungle World, dass »anstelle von Ermittlungen wegen zahlreicher volksverhetzender Aufkleber und Graffiti wieder einmal die Kriminalisierung antifaschistischen Protestes« erfolgt sei.

Den Organisatoren zufolge versuchten stadtbekannte Neonazis mehrmals, den »Ratschlag« anzugreifen. Einmal rückten sie demnach sogar mit Baseball­schlägern bewaffnet an, sahen dann aber wegen der vielen antifaschistischen Teilnehmer von einem Angriff ab. Verbale Attacken hatte es offenbar bereits vor dem »Ratschlag« gegeben: Ein Mitglied des Vorstands des CDU-Kreisverbands Eisenach habe »lokale Akteurinnen und antifaschistische Strukturen« in sozialen Netzwerken als »linke Seuche« und »Pack« bezeichnet, schrieben die Organisatoren des anti­faschistischen Treffens in einer Pressemitteilung.

Der Wille, die »Heimat« mit dem Baseballschläger vor antifaschistischen Störenfrieden zu schützen, kommt nicht von ungefähr. So kommen die Autoren des jüngst veröffentlichten »Thüringen-Monitors« zu dem Schluss, dass etwa 20 Prozent der Wahlberechtigten in dem Bundesland rechtsextreme Ansichten vertreten.

Thema der diesjährigen repräsentativen Untersuchung der Universität Jena war »Heimat«. 95 Prozent der Thüringer gaben an, dass ihnen ihre Heimat »sehr wichtig« oder »eher wichtig« sei. Bundesweit sind es 77 Prozent. Was die Forscher zudem feststellten: Die Ausprägung der Heimatverbundenheit steht in Verbindung mit der Ausländerfeindlichkeit – je wichtiger den Befragten die »Heimat« ist, desto größer ist etwa die Ablehnung von Flüchtlingen. Die Fremdenfeindlichkeit nahm der Studie zufolge zu: 58 Prozent der Befragten gaben an, dass die Bundesrepublik »durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet« sei, ein Anstieg um fünf Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Thüringen, dessen Ausländerquote bei knapp fünf Prozent liegt, gilt 36 Prozent der Befragten als »überfremdet« – zwölf Prozentpunkte mehr als 2017.

Die Frage »Der Staat kann einen Teil der Steuermittel flexibel einsetzen. Wofür sollten diese Mittel eher verwendet werden?« beantworteten 43 Prozent der befragten Thüringer erstaunlicherweise mit »zusätzliche Sozialausgaben«. Finanzmittel in den Bereich der »Inneren Sicherheit« zu investieren, befürworteten nur 16 Prozent. Davor rangiert noch der Ausbau der Infrastruktur mit rund 25 Prozent. Die Präferenzen unterscheiden sich nach ­Altersgruppen. So sprechen sich nur drei Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 24 Jahren dafür aus, »die Steuermittel eher für die Innere Sicherheit zu verwenden«. Bei Befragten über 60 Jahren sind es 20 Prozent. Die Bereitschaft, mehr Geld für den sozialen ­Bereich auszugeben, ist dagegen in allen Altersgruppen in gleichem Maß ausgeprägt. Allerdings fehlt hierzu in der Studie eine entscheidende Nachfrage: Sollen diese Sozialausgaben auch Flüchtlingen und anderen Ausländern zugute kommen?

Wie in Thüringen wurden dieser Tage auch in Sachsen die Ergebnisse einer von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Untersuchung veröffentlicht. Dem »Sachsen-Monitor« ­zufolge stimmten 56 Prozent der Befragten in dem Bundesland der Aussage zu, dass »die Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet« sei. Während dieser Wert sich seit dem Beginn der Studie im Jahr 2016 auf einem hohen, aber gleichbleibenden Niveau hält, nehmen antisemitische und antiziganistische Ressentiments zu. So stimmten 21 Prozent der Befragten der Aussage zu: »Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazizeit die Opfer gewesen sind«, ein Zuwachs um fünf Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Dass Juden »etwas Besonderes und Eigentümliches an sich« hätten und »nicht so recht zu uns passen« – dem stimmen elf Prozent der sächsischen Studienteilnehmer zu. Die Ausbreitung von Ressentiments gegen Sinti und Roma schlägt sich ebenfalls in Zahlen nieder: So gaben 57 Prozent der Befragten an, »Probleme« damit zu haben, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhalten, acht Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. Auch im von der Linkspartei, der SPD und den Grünen regierten Thüringen stellten die Autoren der Studie einen leichten Anstieg der Zustimmung zu antisemitischen Aussagen fest: 26 Prozent der Befragten fanden, Juden nutzten ihre »Opferrolle« aus, 34 Prozent verknüpften die Politik Israels negativ mit »den Juden«.

Die Studienergebnisse zeigten einen »enormen Vermittlungs- und Kommunikationsbedarf zwischen Politikern und Bürgern«, sagte Roland Löffler, der Vorsitzende des Beirats des »Sachsen-Monitors«. Es bedürfe »mehr politischer Bildung«, die Landesregierung solle die »Förderpolitik des bürgerlichen Engagements« überdenken und für größere Bürgerbeteiligung sorgen. Zudem sei eine »Sozialpolitik für die Unterschicht« nötig. Die thüringische SPD-Arbeitsmarktpolitikerin Diana Lehmann sagte angesichts der Studienergebnisse, dass Sozialpolitik »für die Menschen von höchster Priorität« sei. Deshalb sei es die Pflicht der SPD, hier »zu liefern«. Ob solche gutgemeinten Vorschläge militante Heimatschützer davon abhalten, mit Base­ballschlägern loszuziehen, ist eine andere Frage.