Gaspar Noés Film »Climax« ist schön gefilmt und doch wenig originell

La La Land auf Acid

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Wie die Tanzenden scheint auch die Kamera nach und nach ihren Halt zu verlieren. Nahezu ohne Schnitt folgt sie einzelnen Figuren in einem an die Dogma-Filme erinnernden Schlingerkurs durch die schattigen, bedrohlich einfarbig beleuchteten Korridore und Kabinen, kreiselt durch das immer gespenstischer wirkende Gebäude, erhascht wie beiläufig derbe Sexpraktiken. Sie stolpert und kippt, stützt sich kopfüber ins Geschehen, richtet sich wieder auf und macht Pirouetten – als wäre sie selbst berauscht und in einem schwindelerregenden Delirium.

Dieses Schlingern der Kamera ist ein Angriff auf das kontrollierte und kontrollierende Sehen und als Übergriff inszeniert. Debies Kamera hebt die Bilder aus den Angeln in immer extremere Schräglagen, um sie schließlich ganz auf dem Kopf stehen zu lassen – Georg Baselitz lässt grüßen.

Wie die Party mitsamt ihrer Gäste läuft nicht nur die Kamera aus dem Ruder. Das Grauen spielt sich auch außerhalb des Sichtfeldes ab: Zu der permanent wummernden Musik ertönt ein diabolischer Sound, aus dem Jenseits des Bildrahmens, aus dem sich immer wieder Schreie und Schluchzer vernehmen lassen.

»Climax« erzählt wenig, aber das zumindest in der ersten Hälfte des Film einnehmend und bildgewaltig. Die eindrucksvolle Kameraarbeit kann die wenig originellen, gar öden Dialoge aber nicht vollends wettmachen. Noés Darsteller sprechen kaum, und wenn sie sprechen, dann nur in hohlen Phrasen und schalen Floskeln. Sie bleiben seltsam flache und konturlose Wesen – ohne Geschichte, ohne Selbst. In den plumpen, libidinös aufgeladenen Partygesprächen werden mitunter sexistisches Im­poniergehabe und rassistische Stereotype gezeigt und »toxische Männlichkeitsbilder« entworfen.

Interpunktiert oder besser fragmentiert wird der Film immer wieder von Texteinwürfen, die in ihrer ­Kalenderspruchhaftigkeit nicht mal mehr zu psychophilosophischen Provokationsgesten taugen:

»Être est une illusion fugitive« (»Das Sein ist eine flüchtige Illusion«) oder auf dem Kopf stehend »Mourir est une expe­rience extraordinaire« (»Sterben ist eine außergewöhnliche Erfahrung«) – um nur zwei dieser Plattitüden zu nennen. Auch die mannigfachen Referenzen, die der Film von Anfang an generös ins Bild setzt, wirken allzu selbstverliebt.

Statt einer Klimax, die der Titel großspurig ankündigt, liefert der Regiebürgerschreck Noé einen ebenso fulminanten wie auch faden Film mit großartigen Tanz- und Kamerabewegungen ab, dessen Dialoge und Texteinblendungen höchst banal geraten und der auch die Redundanzen des Rauschs nicht ausspart. Ob »Climax« auf eine Dekonstruktion oder doch auf eine Apotheose des Rauschs zielt, kann kaum geklärt werden, da sich Noés Film nicht auf eine eindeutige Aussage festlegt. Dass in ihm Mechanismen der Verführung immer wieder mit Missbrauch kurzgeschlossen werden, ist einigermaßen enervierend. Dass Rausch in »Climax« nicht einfach mit Freiheit, sondern auch mit Gewalt und Monotonie zusammenfällt, war von Anfang an vorherbestimmt: Eine Feier wird geendet haben.

 

Climax (F/USA 2018). Buch und Regie: ­Gaspar Noé. Darsteller: Sofia Boutella, ­Romain Guillermic. Filmstart: 6. Dezember