Der Dokumentarfilm »RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit«

Die liberale Stimme

Ein Dokumentarfilm porträtiert die US-amerikanische Juristin und Richterin am Supreme Court, Ruth Bader Ginsburg.

Anfangs deutete wenig darauf hin, dass die in einem Arbeiterviertel in New York geborene Tochter jüdischer Einwanderer eine so glanzvolle Karriere als Juristin machen könnte, dass ihre Initialien »RBG« einmal für eine Reihe der bahnbrechendsten Urteile zur Geschlechtergerechtigkeit stehen würden. Was dafür sprach, war der Bildungseifer, den das Elternhaus gefördert hatte. Was dagegen sprach, waren die einfachen Verhältnisse, aus denen sie kam. Heute gilt Ruth Bader Ginsburg als Heldin der Frauenrechtsbewegung, brillante Juristin, eigenwillige Stil­ikone und Vorbild für junge Frauen.

Sie wurde 1933 in Brooklyn als Tochter des russischstämmigen Einwanderers Nathan Bader und der aus einer österreichischen Familie stammenden Celia Amster geboren. Die Familie lebte von dem Konfektionsgeschäft, das der Vater betrieb. Mit Krankheit und Verlust hatte sie schon früh zu ringen, Krebserkrankungen und ein kämpferischer Umgang damit ziehen sich durch ihre gesamte Lebensgeschichte.

Ruth war gerade mal zwei Jahre, als ihre ältere Schwester Marilyn starb. Ihre Mutter erkrankte an Krebs und starb einen Tag vor Ruths High-School-Abschluss. Sie war es, die ihre Tochter zum lebenslangen Lernen und zur Selbstständigkeit ermuntert hatte, und Ruth setzte diesen Wege mit enormer Energie fort.

Das Foto der beiden lachenden Richter, die im Urlaub auf dem Rücken eines Elefanten balancieren, wirkt heute wie eine Reminiszenz an eine Zeit vor der scharfen Polarisierung der Gesellschaft.

An der Cornell University, wo sie den Bachelor-Grad mit Auszeichnung erwarb, lernte sie ihren späteren Ehemann, Martin Ginsburg, kennnen, der bald darauf ein Jura-Studium an der Harvard-University begann.

Nach der Heirat und nur 14 Monate nach der Geburt der ersten gemeinsamen Tochter nahm sie ebenfalls das Stu­dium der Rechtswissenschaften in Harvard auf, wo sie sich als eine von neun Studentinnen bei einer Mehrheit von mehr als 500 männlichen Kommilitonen gegen Vorurteile und Anzüglichkeiten behaupten musste. Die junge Studentin und Mutter ließ sich nicht unterkriegen, auch nicht, als ihr Ehemann an Hodenkrebs erkrankte. Martin, dem sie ihre Mitschriften der Vorlesungen ans Krankenbett brachte, konnte geheilt werden. Beide Ehepartner machten ihr Examen, Bader Ginsburg schloss mit Bestnote ab. Einen Job bekam sie dennoch erst einmal nicht, da viele Kanzleien sich rundheraus weigerten, eine Frau einzustellen.

Sie habe sich damals an den Rat ihrer Mutter erinnert, dass Wut nur Zeitverschwendung sei und ihre Karriere ungerührt weiterverfolgt, erzählt die inzwischen 85jährige Richterin in dem mitreißenden Porträtfilm »RGB« von Betsy West und Julie Cohen. Beide Regisseurinnen hatten Bader Ginsburg unabhängig voneinander in der Vergangenheit interviewt und waren beeindruckt von ihrer Persönlichkeit, ihrer Leistung und ihren klugen und witzigen Kommentaren. Zudem wollten sie mit dem Film – auch als impliziten Kommentar zur Präsidentschaft Trumps – eine ausgewiesen linksliberale Persönlichkeit würdigen.

»RGB – ein Leben für die Gerechtigkeit« ist eine liebevolle Hommage an die mittlerweile zum Internetstar »Notorious RBG« avancierte Richterin am Obersten Gerichtshof in Washington. Auf kritische Betrachtungen ihrer Karriere wird dabei weitgehend verzichtet. Die bedeutende Rolle etwa, die die Fürsprache ihres Ehemanns bei der Berufung seiner Frau an den Obersten Gerichtshof durch Bill Clinton 1993 gespielt hat, wird erwähnt, aber nicht weiter problematisiert. Die Kampagne des Ehemanns für seine Frau erscheint als eines von vielen Kapiteln in der großen Liebesgschichte zwischen Ruth und »Marty«, nicht als fragwürdige Einflussnahme oder gar Vetternwirtschaft.

Dabei war Bader Ginsburg nach fachlichen und politischen Gesichtspunkten ohnehin die ideale Kandidatin. Sie hatte erfolgreich als Jura­professorin gearbeitet, war eine ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Gleichstellung und Gründungsmitglied des Projektes für die Frauenrechte der American Civil Liberties Union (ACLU), galt als Linksliberale und war seit 1980 als Richterin am Berufungsgericht tätig. Dass Clinton zögerte, sie als zweite Frau in der Geschichte des Obersten Gerichtshofs auf die Richterstelle zu berufen, hatte nichts mit ihrem Geschlecht zu tun. Als 60jährige aber galt sie für das Amt bereits als relativ alt, denn ein Präsident kann durch die Benennung junger Kandidaten die politische Entwicklung im Land über seine eigene Amtszeit hinaus beeinflussen.

Heute ist Bader Ginsburg die dienstälteste Richterin am Obersten Gerichtshof, zweifache Mutter, Großmutter und Witwe. Sie war mehrfach ernsthaft erkrankt und musste sich 1999 einer Behandlung wegen Darmkrebs, 2009 wegen eines Pankreaskarzinoms unterziehen. Klein und zerbrechlich, mit strengem Knoten und schwarzer Hipsterbrille, sitzt sie in einem bequemen Sessel im Empire-Stil und antwortet auf die Fragen von West und Cohen. Immer überlegt, mit leiser Stimme und wohl gewählten Worten, nie um eine Pointe verlegen. Ob der auf den massigen Rapper Notorious B.I.G. anspielende Spitz­name passt, den junge Fans ihr gegeben haben? – Natürlich, sagt sie, wir beide wurden in Brooklyn groß.– Wie es war, als eine von nur neun Frauen mit 500 Männern zu studieren? – Wenn man hier niemanden fand, antwortet sie, war es hoffnungslos.

Der Film zeigt sie vor allem als unbeirrte Kämpferin für die Rechte der Frauen, wobei sie sich im Sinne der Gleichberechtigung auch gegen die Diskriminierung von Männern einsetzte. Als Anwältin eines Witwers und Vaters eines kleinen Sohns plädierte sie 1975 erfolgreich dafür, dass alleinerziehende Witwer das gleiche Kindergeld erhalten wie verwitwete Mütter. Gefilmt wurde sie in ihrem Büro, im Urlaub mit der Familie, beim Kraftsport im Studio mit ihrem ­Personal Trainer oder im Gespräch mit ihrer Enkelin. Zu Wort kommen Familienmitglieder, ehemalige Mandanten, Amtskollegen und Zeitgenossen, darunter Gloria Steinem und Bill Clinton.

Für einige Aufmerksamkeit sorgte die Freundschaft Bader Ginsburgs mit ihrem konservativen Amtskollegen, dem 2016 verstorbenen Supreme-Court-Richter Antonio Scalia. Seine Ablehnung des Abtreibungsrechts hinderte Bader Ginsburg nicht daran, eine langjährige, enge Freundschaft mit dem wegen seines Humors und seiner geschliffenen Argumentation geachteten Kollegen zu pflegen. Beide verreisten gemeinsam, besuchten Konzerte und hatten einen umjubelten Cameo-Auftritt in der Washingtoner Oper. Das Foto der beiden lachenden Richter, die im Urlaub auf dem Rücken eines Elefanten balancieren, wirkt heute wie eine Reminiszenz an eine Zeit vor der scharfen Polarisierung der Gesellschaft.

Strukturiert wird der stellenweise auf angemessene Weise pathetische Film durch die wichtigsten Fälle Bader Ginsburgs. Dazu zählt die Klage der Angestellten Lilly Ledbetter gegen ihren früheren Arbeitgeber Good­year, der sie jahrelang schlecher bezahlt hatte als ihre männlichen Kollegen. Obgleich die Frau die gesetzlichen Einspruchsfristen hatte verstreichen lassen, setzte sich Richterin Ginsburg in ihrem Minderheitenvotum für eine nachträgliche Entschädigung der Betroffenen ein. Die Mehrheit der Richterkollegen beurteilte den Fall zwar anders, Bader Ginsburg erreichte mit ihrer Argumentation ­jedoch, dass der Kongress wenig später das Lilly-Ledbetter-Gesetz für faire Löhne verabschiedete, das es den Opfer von Lohndiskriminierung ermöglicht, auch nachträglich zu klagen.

In ihrem ersten Fall als Oberste Richterin 1996 ging es um die Klage einer Frau auf Zulassung zum Virginia Military Institute. Das Urteil, das mit einer Gegenstimme erging, zwang die Kadettenschule fortan dazu, auch Frauen aufzunehmen. Zu weiteren wegweisenden Rechtsverfahren gehören Urteile zum Schwangerschaftsabruch, zur Diskriminierung von Afroamerikanern und zur Todesstrafe. Im Juni 2013 votierte sie gegen die Mehrheitsmeinung des Obersten Gerichts zur Rassendiskriminierung im US-Wahlrecht. Der Rassismus sei überwunden, ein schwarzer Präsident gewählt und Gesetze zum Schutz schwarzer Wähler überflüssig, befand die konservative Mehrheit der Richter. Bader Ginsburg führte aus, dass Schwarze und andere Minderheiten bei Wahlen weiterhin benachteiligt seien, weshalb die Abschaffung des Wahlrechtsgesetz in etwa so klug sei, als würde man mitten in einem Unwetter den Regenschirm einklappen, weil man bisher ja nicht nass geworden sei.

Dennoch sieht Bader Ginsburg die Rechtsprechung nicht als den eigentlichen Motor gesellschaftlicher Veränderung. Sie unterstützt sowohl die Frauenbewegung als auch die Bürgerechtsbewegung, als politische Aktivistin versteht sie sich nicht, auch wenn ihr Konterfei im Netz neuerdings für viele Anliegen verwendet wird. Der Titel der nicht autorisierten Biographie »You Can’t Spell Truth Without Ruth« von Mary Zaia ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden. Es gibt »RBG«-Tattoos, -Brillen, -Shirts, -Taschen, -Tassen sowie haufenweise Internet-Memes. In der Fernseh-Comedy »Saturday Night Life« wird die Richterin regelmäßig parodiert. Bader Ginsburg lacht Tränen über die Figur der rappenden Robenträgerin, ihre Liebe aber gilt nicht dem Pop, sondern der Oper. Sängerin zu werden, sei ihr Traum gewesen. Sie sei nur Richterin geworden, weil sie keine gute Stimme habe. Wenn man sie mit einnehmendem Tonfall vor der Kamera aus ihren Schriftsätzen zitieren hört, möchte man widersprechen.

 

»RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit.«
Dokumentarfilm von Betsy West und Julie Cohen. Start: 13. Dezember