Trinkgeld und Sexismus

Öfter mal in den Arm nehmen

Entscheidend für Trinkgeldzahlungen sind die Ansprüche an einen »guten Service«. Dass das in der Praxis viel mit Sexismus zu tun hat, liegt auf der Hand.
Kommentar Von

Wenn man Kneipen, Bars, Cafés und Restaurants als soziale Räume ansieht, in denen sich Menschen auch über Unterschiede in ­Einkommen und Besitz hinweg zusammenfinden, bietet das Trinkgeld eine theoretische Möglichkeit, diesen Unterschieden gerecht zu werden. In der Praxis klappt das so gut wie nie. Linke knausern aus ideologischem Anspruch, Sexisten aus Anspruchsdenken. Am meisten Trinkgeld geben andere oder ehemalige Beschäftigte aus Empathie und als Anerkennung der Arbeit.

Für Serviceberufe erforderliche Kompetenzen werden nicht als fachliches Wissen oder Können begriffen, sondern als charakterliche Merkmale: Freundlichkeit und Fleiß. Für die verschiedenen Geschlechter gelten in unterschiedlichen Milieus unterschiedliche Vorgaben, was ein gepflegtes Äußeres bedeutet und wie Freundlichkeit ausgedrückt werden soll.

Trinkgelder sind für die meisten in der Gastronomie Beschäftigten lebensnotwendig. Das Grundgehalt in der Branche ist das Problem: Es ist in der Regel extrem niedrig. In Berlin liegen zwischen den Einkommen der hoch- und der niedrigqualifizierten Berufe etwa 3 000 Euro Unterschied pro Vollzeitmonat. Wer wem Trinkgeld zahlt, entscheidet sich statistisch an der sozialen Ungleichheit. Und der Anteil gesellschaftlich marginalisierter Gruppen – darunter vor allem Frauen und besonders migrantische Frauen, aber auch Queers und Transpersonen – ist in sogenannten unqualifizierten Arbeitsbereichen viel höher als in den hochqualifizierten Berufen und dem Management.

Letztlich stellt das Trinkgeld eine informelle Bezahlung für eine Dienstleistung von Beschäftigten im Niedriglohnsektor dar. Belohnt wird die Zufriedenstellung des Empfängers oder der Empfängerin eines »guten Service«. Bei der Beurteilung davon, was das im Einzelfall ist, spielt Sexismus eine entscheidende Rolle.

Denn was heißt guter Service? Was macht Kunden zufrieden? Ratgeber und Lehrmaterial für Gastronomie listen »gepflegtes Äußeres«, ein Lächeln und ein zuvorkommendes Auftreten als Krite­rien für Trinkgeld auf. Für Serviceberufe erforderliche Kompetenzen werden nicht als fachliches Wissen oder Können begriffen, sondern als charakterliche Merkmale: Freundlichkeit und Fleiß. Für die verschiedenen Geschlechter gelten in unterschiedlichen Milieus unterschiedliche Vorgaben, was ein gepflegtes Äußeres bedeutet und wie Freundlichkeit ausgedrückt werden soll. Ein gepflegtes weibliches Äußeres bedeutet Schönheit nach bestimmten Standards, bedarf großen Aufwands und geht überdies mit sexistischen Zuschreibungen einher.

Auch wenn sie von Aufmerksamkeit und Freundlichkeit sprechen, verbinden Gäste damit in der Regel sexistisch geprägte Erwartungen. Weibliche Aufmerksamkeit geht über Blicke und persönliche Gespräche hinaus: Eine Studie der Goethe-Universität Frankfurt wertet es als »förderlich« für die Trinkgeldhöhe, wenn es zwischen Kunden und weiblichem Personal Körperkontakt gibt. Eine seltsame Formulierung für den Übergriff, den es bedeutet, wenn ein Kunde das Trinkgeld tatsächlich ungefragt zusteckt – etwa in die Hosentasche –, oder wenn ein Arbeitgeber seine Angestellte auffordert, einem Stammgast öfter mal den Arm um die Schulter zu legen, um mehr Trinkgeld zu bekommen. Beide Fälle werden in der Studie beschrieben.

Diesbezüglich spricht alles für wirksame Maßnahmen, die eine Entlohnung nicht abhängig machen von solchen auch noch als besonders gnädig verstandenen Zumutungen. Die Abschaffung des Trinkgelds zugunsten einer Servicepauschale in einem Lokal in den USA stieß vor allem bei Männern auf Empörung, die dadurch of­fenbar ihre Machtposition geschwächt sahen. Nur: Solange Menschen davon leben müssen, ist kein Trinkgeld auch keine Lösung.