Assange und der Autoritarismus

Gerechtigkeit für Assange

Die Anklageschrift gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange betrifft ein harmloses Vergehen. Er hat Schlimmeres zu verantworten als einen versuchten Computereinbruch.
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Es sind die üblichen Verdächtigen, Antiimperialisten, Antiamerikaner und Antifeministen, die jetzt laut »Hände weg von Assange« rufen und seine sofortige Freilassung verlangen. Sie stellen den harten Kern der verbliebenen Unterstützer des Wikileaks-Gründers, dessen Auslieferung US-Behörden fordern, die ihm einen versuchten, aber nicht geglückten Computereinbruch vorwerfen.

Für jene 150prozentigen Fans war der gebürtige Australier Julian Assange von Anfang an ein Held und ist es auch geblieben – allem zum Trotz, was seit 2010/2011 passiert ist. Damals galten Twitter, Wikileaks und das gesamte Web 2.0 als Mittel, eine bessere, demokratischere und transparentere Welt zu schaffen. Assanges Geschichte ist eng mit diesen Hoffnungen und vor allem mit einigen der größten Enttäuschungen verbunden.

Twitter genoss zwischen 2009 und 2011 den Ruf, der Motor demokratischer Revolten zu sein. Aber auch die Veröffentlichung einer Viertelmillion vertraulicher Dokumente aus US-Botschaften auf der damals noch jungen Whistleblower-Plattform Wikileaks trug dazu bei, die Protestbewegungen des sogenannten Arabischen Frühlings ins Rollen zu bringen. Dies und die von Chelsea Manning an Assange weitergegebenen Dokumente über mutmaßliche Kriegs­verbrechen in Afghanistan und im Irak waren Wikileaks’ ursprünglicher claim to fame.

Auf die illegale Beschaffung dieser Dokumente bezieht sich die sechsseitige Anklageschrift eines US-Bezirksgerichts. Auf die damalige Enthüllung berufen sich auch jene, die zwar nicht Assanges sofortige Freilassung, aber eine Verhinderung seiner Auslieferung an die USA verlangen. Dazu gehört auch die NGO Reporter ohne Grenzen. Sie und andere befürchten, die Anklage könnte schwerwiegende Konsequenzen für die Freiheit der Presse in den USA nach sich ziehen. Wohl aus diesem Grund hatte die Regierung Präsident Barack Obamas auf eine Anklage verzichtet.

Inzwischen gilt Twitter vor allem als das Sprachrohr von Autokraten wie Donald Trump. Zu dessen Wahlsieg von 2016 trug zudem die Veröffentlichung unzähliger ­E-Mails des Democratic National Committee (DNC) auf Wikileaks maßgeblich bei. Der ­damals bereits seit einigen Jahren in der Londoner Botschaft Ecuadors residierende Assange reklamierte sogleich großspurig seine Beteiligung. Linke und Liberale hatten zu diesem Zeitpunkt kaum noch Gründe, mit Assange zu sympathisieren, auch wenn sich die Trennung ziemlich schleppend vollzogen hat und viele bis heute zögern.

Zahlreiche antisemitische und misogyne Äußerungen, Anzeigen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung, Unterstützung vom russischen Geheimdienst und Verbindungen zur extremen Rechten, die Interventionen zugunsten der Befürworter des britischen EU-Austritts sowie die erwähnte Veröffentlichung gehackter E-Mails des DNC in der heißesten Phase des US-Wahlkampfs 2016 – eigentlich müsste längst klar sein, auf welcher Seite Assange steht und dass die ­Wikileaks-Enthüllungen einem einseitigen Muster folgen, das deutliche Parallelen zu den Interessen des Putin-Regimes aufweist.

Der einst als Vorkämpfer globaler Transparenz gefeierte Assange unterstützt immer wieder und an entscheidender Stelle die Entwicklung hin zu einem neuen Autoritarismus in den USA und in Europa. Verglichen damit klingt der Vorwurf des versuchten Computereinbruchs wie ein Witz. Auch die von vielen Gegnern der Über­gabe Assanges an die US-Behörden bevorzugte Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ihn wegen Vergewaltigung in Schweden und die Auslieferung dorthin würden der politischen Verantwortung nur sehr begrenzt gerecht. Am Ende wird ohnehin die Geschichte ihr Urteil über Assange fällen. Freundlich sollte es nicht ausfallen.