Prozess gegen G20-Demonstranten

Suggestiver Quatsch

Seit fast einem Jahr sitzen Demonstranten gegen den G20-Gipfel in Untersuchungshaft. Ein Gericht hat nun die Ermittlungsarbeit der Polizei kritisiert.

»Quatsch« stehe da in den Akten. Das sagten dem NDR zufolge Zeugen über Aktenvermerke der Polizei, auf deren Basis derzeit ein Prozess in Hamburg stattfindet. Die Anklage richtet sich gegen fünf Personen, denen die Teilnahme an einer Demonstration am Tag der Gipfelblockaden auf der Hamburger Elbchaussee vorgeworfen wird. An jenem 7. Juli 2017 wurden am Rand der Versammlung 19 geparkte Autos angezündet und Schaufensterscheiben eingeworfen. Gegen vier Hessen und einen Franzosen läuft seit Mitte ­Dezember vor dem Landgericht Hamburg ein Prozess.

Identifiziert worden seien sie anhand von Videobildern, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft. Zwei der Angeklagten waren zum Tatzeitpunkt erst 16, also minderjährig. Deshalb findet der Prozess vor einer ­Jugendkammer statt. Die beiden, mittlerweile 18 Jahre alt, wurden bereits kurz nach ihrer Verhaftung Ende Juni 2018 wieder freigelassen. Die beiden anderen Hessen sitzen seit Ende Juni in Untersuchungshaft. Ein 23jähriger aus Ostfrankreich wurde dort im August verhaftet und im Oktober nach Deutschland überstellt. Er sitzt ebenfalls in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Land­friedensbruch in einem besonders schweren Fall, Mittäterschaft bei Brandstiftung, gefährliche Körperverletzung sowie einen Verstoß gegen das Waffengesetz vor.

Als am ersten Prozesstag die Angeklagten den Gerichtssaal betraten, brandete Applaus aus dem gut gefüllten Zuschauerraum auf, der durch eine Glasscheibe abgetrennt ist. Am Vorabend hatte es eine Solidaritätsdemonstration von der Roten Flora zur Unter­suchungshaftanstalt gegeben. Am 10. Januar hat das Gericht die Öffentlichkeit auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Prozess ausgeschlossen – angeblich zum Schutz der Angeklagten.

Nur einem der fünf Angeklagten wird eine direkte Beteiligung an Sachbeschädigungen vorgeworfen, den anderen wird die bloße Teilnahme an der Versammlung zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, an einem Marsch von 220 größtenteils vermummten und dunkel gekleideten Personen teilgenommen zu haben, aus dem heraus zahlreiche Straf­taten begangen worden seien. Es gehe um einen Sachschaden von etwa einer Million Euro.

Keine der zahlreichen Videoaufnahmen, die als Beweismittel präsentiert wurden, lieferte einen Hinweis darauf, dass einer der Angeklagten eigenhändig Schaufensterscheiben eingeworfen, Autos in Brand gesetzt oder Steine ­geschleudert hätte. Allein durch ihre Teilnahme hätten sie den Gewalttätern aber »psychische Beihilfe« geleistet, so die Staatsanwaltschaft. Somit sei ihnen jede einzelne aus der Menge begangene Straftat rechtlich zuzuordnen. Es sei eindeutig keine Demonstration unter dem Schutz des Versammlungsrechts gewesen. Vielmehr habe es »einen gemeinsamen Tatentschluss« gegeben, eine Verabredung zu Straftaten, die dann durch »gewollt arbeitsteiliges Zusammenwirken« verübt worden seien.

Die Verteidigerin Gabriele Heinecke kritisierte die Anklageschrift zu Prozessbeginn scharf. Die Rede sei von »mehreren gewaltbereiten Beteiligten«, also nicht davon, dass alle Marschierer militant waren. Den Angeklagten werde gar nicht »vorgeworfen, eigenhändig Straftaten begangen zu haben«, vorliegende Videosequenzen gäben keinen Hinweis darauf, dass sie die »Straftaten auch nur gebilligt« hätten. Außerdem habe die Versammlung vom Transparent bis hin zur Formation »alle Attribute einer Demonstration« aufgewiesen. Folglich gelte der Schutz des Versammlungsrechts.

Die Staatsanwaltschaft hingegen versucht, die Teilnahme an der Demonstration mit einer verabredeten Schlägerei zwischen Hooligans gleichzusetzen. Was das nach ihrer Rechtsauslegung bedeutet, hat die Staatsanwaltschaft bereits im Voraus deutlich gemacht: Als im Rahmen einer Entscheidung über die Haftverschonung für die zwei älteren Beschuldigten die Jugend­kammer unter der Richterin Anne Meier-Göring im November die vorläufige Rechtseinschätzung äußerte, die Angeklagten hätten vermutlich mit Haftstrafen von höchstens drei Jahren zu rechnen, stellte die Staatsanwaltschaft einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Meier-Göring habe »die ­Dimension der Taten« nicht berücksichtigt, zu erwarten sei eine Strafe von sechs bis zehn Jahren Haft. Der Befangenheitsantrag wurde abgelehnt.

Obwohl die Öffentlichkeit von dem Prozess ausgeschlossen ist, berichtete der NDR kürzlich darüber, dass die Jugendkammer die angeblich beweiskräftigen Akten der Anklage, zusammengestellt von der Ermittlungs­gruppe »Schwarzer Block«, nicht für gerichtsfest halte: Auf das dort »geschriebene Wort« sei »wenig Verlass«, soll es in einem Beschluss der Kammer vom 1. März heißen. Zeugen sollen dem NDR zufolge bei ihrer Vernehmung während der Hauptverhandlung Aussagen, die die Polizei in deren ­Namen in der Ermittlungsakte vermerkt hatte, entschieden bestritten und sie teils sogar als »Quatsch« bezeichnet haben.

Auch die Vernehmung des Leiters der Ermittlungsgruppe »Schwarzer Block« habe zu Zweifeln an dessen Abschlussbericht geführt, da er selbst angebliche Ermittlungsergebnisse vor Gericht als »Arbeitshypothesen« bezeichnet hatte. Auch aus Sicht der Polizei sei »keineswegs alles so klar, wie der Abschlussbericht vermuten lasse«, schrieb die Kammer in ihrem Beschluss vom 1. März. Selbst die Videos vom Aufmarsch auf der Elbchaussee seien ohne die aus Sicht der Richter »suggestiven Bearbeitungen« der Polizei nicht so ­beweiskräftig, wie es zunächst scheine.

Das Gericht wolle sich darum nicht mehr auf »weitere Polizeivermerke« verlassen und stattdessen deutlich mehr Zeugen vorladen als ursprünglich geplant. Der Prozess soll dem NDR-­Bericht zufolge mindestens bis September dauern, ursprünglich wurde ein Urteil im Mai erwartet. Das Gericht gewährte den Angeklagten für den aus­gedehnten Prozess nun jeweils einen zusätzlichen Pflichtverteidiger.