Die junge Frau als Heldin

Oh Captain, mein Captain

Seite 2 – Der Captain und die Captain
Essay Von

Freilich war die Gestalt des Kapitäns nie frei von Monstrosität: Der Kapitän konnte wahnsinnig genug sein, die Sonne oder den weißen Wal anzugreifen. Und stand nicht auch die Revolte auf der Bounty gegen den sadistischen Captain William Bligh im Zeichen der Liebe und der Frauen? Eben das war es: Frauen gehörten zum Land, sie waren stationär (paradiesisch inselhaft vielleicht, oder protestantisch verhärmt wie die Kapitänsfrauen in den Vororten der Hafenstädte). So war das Nomadische und das Sesshafte in die Geschlechterordnung der christlichen Seefahrt eingeschrieben. Nur die Piratenkapitänin unserer Träume turnte sich von den Rändern her in diese mythologische Ordnung, bevor sie zum unguten Ende von der Liebe domestiziert wurde.

In der Kapitänin verbinden sich Verantwortung, Vernunft und Pflichtbewusstsein mit der latenten Romantik des »rebel hero«.

Der Kapitän jedenfalls war ein prekärer Held: halb frei und doch ganz und gar abhängig von Pfeffersäcken, Admiralitäten oder den Handelskompanien; halb vergöttert und ganz und gar gefürchtet von seinen Leuten; hart am Winde des Abenteuers und doch verpflichtet, es zu vermeiden und zu untersagen. So war schon etwas Gespenstisches um den Kapitän, der als Fliegender Holländer die Routen kreuzte, oder als Captain Nemo der kriegerischen Welt den Krieg erklärte. In Walt Whitmans Gedicht »O Captain! My Captain!«, das man hierzulande fast nur aus dem Film »Der Club der toten Dichter« kennt und das den Tod Abraham Lincolns behandelt, geht es nicht umsonst um einen, der nur noch tot die Ehren und Emotionen erhält, die man im nautischen Alltag niemals ausdrückt. Der Kapitän ist erotisch und transzenden­tal aufgeladen.

Die weibliche Besetzung birgt immer zugleich das Versprechen einer Verbesserung (die Kapitäninnen unseres Vertrauens sind in der Regel weder wahnsinnig noch sadistisch) und einen Hauch der Piratenhaftigkeit. Hier erst wird es ernst mit der Autonomie und man verabschiedet sich von der hierarchischen Männerphantasie. In der ­Kapitänin verbinden sich Verantwortung, Vernunft und Pflichtbewusstsein – ambivalent immer noch, wenn die Fluggäste sich zuraunen: »Heute ist unser Flugkapitän eine Frau« – mit der ­latenten Romantik des rebel hero. Eine Frau in der Rolle des Kapitäns: Die Oberfläche sagt, das sei doch nun das Normalste von der Welt. So einfach ist das nicht, raunt es im kollektiven Unbewussten, weil zugleich eine Welterzählungsmaschine rumort.