Die Türkei geht gegen syrische Flüchtlinge vor

Im Nationalismus geeint

Seite 4 – »Wir wollen zusammenleben«

Die Wirtschaftskrise in der Türkei trifft den Arbeitsmarkt hart. Die Arbeitslosenrate liegt offiziell bei 13 Prozent, und der Wertverlust der türkischen Lira sorgt dafür, dass die Bevölkerung, vor allem in Metropolen wie Istanbul, von steten Preissteigerungen betroffen ist. Auf Ahval meint Maaz Ibrahimoğlu dazu: »Die Kommunalwahlen am 31. März dienten auch als Katalysator für die antisyrische Stimmung. Die ­Regierung gibt an, mehr als 37 Milliarden US-Dollar für syrische Flüchtlinge ausgegeben zu haben. Viele Türken behaupten, Syrer hätten die Löhne unterboten, die Mieten in die Höhe getrieben, keine Steuern gezahlt und Ghettos errichtet. Das Vorgehen gegen nicht­registrierte Flüchtlinge scheint eine Antwort auf diese Wut zu sein.«

Politisch eint Regierung und Opposition der Nationalismus. Dementsprechend wird gern ausgeblendet, dass die Türkei Mitverursacher der Fluchtbe­wegungen ist. Anfang Juli zeigte die Reportagesendung »Arte Re:« einen Bericht aus einem der Lager der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die dort ehemalige Kämpfer des »Islamischen Staats« (IS) gefangen halten. Diese zeigen Pässe, in denen mehrere reguläre Ein- und Ausreisen in die Türkei nachgewiesen sind. Das bestätigt, dass die Türkei sowohl Transitland als auch Zufluchtsort für Jihadisten ist. Die türkische Armee entfernte Mitte Juli Teile der auf Anraten der EU an der syrischen Grenze errichteten Mauer, weil sie wieder einmal gegen die angeblich von Kurden ausgehende Terrorgefahr in Nordsyrien vorgehen will. Die türkische Regierung kritisiert die USA, weil diese die YPG bewaffnet haben. Sowohl die oppositionelle CHP als auch die Regierungskoalition aus der AKP und der ultranationalistischen Nationalen Bewegungspartei (MHP) unterstützten in der Vergangenheit Operationen ­gegen die Kurden in Nordsyrien.

In Istanbul hat sich gegen diese Stimmung die Initiative »Wir wollen zusammenleben« gebildet. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen und in der Flüchtlingshilfe tätige NGOs demonstrierten am Samstag im Istanbuler Stadtteil Kadıköy gegen die antisyrische Hetze und forderten Solidarität. Syrerinnen und Syrer nahmen nicht daran teil, denn Ausländer dürfen in der Türkei generell nicht demonstrieren und werden, wenn sie es doch tun, als Provokateure abgeschoben.