Gespräch mit der Schriftstellerin Lizzie Doron

»Ich will etwas anderes als den Status quo«

Seite 3
Interview Von

Von den Combatants for Peace ­haben Sie in Ihrem Buch nur Männer porträtiert. Haben Sie auch Kontakte zu Palästinenserinnen?
Der Kontakt zu ihnen ist schwieriger als zu palästinensischen Männern. Ich konnte selbst die Frau meines Protagonisten Nadim aus »Who the Fuck Is Kafka« bisher nicht unter vier Augen sprechen. Ich weiß, dass es ein Tabu ist, mich mit ihr anzufreunden, und Nadim aufhören würde, mit mir zu arbeiten, sollte ich das ignorieren. Natürlich gibt es immer Einschränkungen, wenn du einen Fremden triffst. Bei Palästinensern bedeutet das in meinem Fall: Nicht den Status der Frauen zu diskutieren und nicht die weitere Familie zu treffen. Die meisten Familienmitglieder sind gegen israelische Juden und meistens auch gegen Frauen.
Und selbst, wenn das Vertrauen bereits hergestellt ist, gibt es weitere Hürden. Als ich mich mit Nadim in Jerusalem in einem Café traf, um ­seine Geschichte zu hören und aufzuschreiben, kamen Siedler und schrien uns an, beschimpften mich als Prostituierte der Araber. Es war fast unmöglich, ein normales Gespräch miteinander zu führen. Also schlug ich vor, dass wir uns ein Zimmer in einem Hotel mieten, um dort zusammen zu arbeiten. Da sagte er: »Nein, die Familie meiner Frau wird mich umbringen.«
Die einzige Möglichkeit war dann, dass eine dritte – muslimische – Person als Zeuge dabeisitzt, um zu bestätigen, dass wir arbeiten. Jeden Mittwoch haben wir uns zu dritt im Hotel getroffen. Aber eines Tages sagte unser Zeuge, er könne nicht jede Woche wie eine Marionette acht Stunden neben uns sitzen. An Tagen, an denen er keine Zeit hatte, arbeiteten wir dann in der Hotellobby. Das war zwar weniger komfortabel, aber immerhin konnten wir uns so überhaupt treffen und gemeinsam arbeiten.

Wenn die Besatzung im israelischen Alltag kaum eine Rolle zu spielen scheint: Welche Bedeutung hat dann eigentlich der Holocaust, zum Bespiel auch für Einwanderer nach Israel aus nicht-europäischen Ländern?
Von Einwanderern wird erwartet, dass sie sich die Geschichte der Juden in der Diaspora, insbesondere die des Holocaust aneignen, selbst wenn sie eigentlich andere Traumata erlitten haben. Sie müssen beweisen, dass sie gute Israelis sind, viel über den Holocaust wissen, bereit sind, zu erinnern und nicht zu vergessen. Es ist wie ein Vertrag.
Ich denke, wenn wir über unseren gemeinsamen Werte hier in Israel sprechen, etwas, das die Juden vereint, dann ist das der Holocaust. Er ist die raison d’être, die Legitimation dafür, unabhängig und stark zu sein, einen eigenen Staat und eine Armee zu haben. Wir leben sozusagen im Schatten des Holocaust, und Israel ist das Ergebnis dieser Geschichte.


Lizzie Doron, geboren 1953 in Tel Aviv, ist Linguistin, Autorin und Dozentin. 2003 wurde ihr Roman »Ruhige Zeiten« mit dem vom Yad-Vashem-Institut vergebenen Buchman-Preis ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Jeanette-Schocken-Preis, 2018 zusammen mit Mirjam Pressler den Friedenspreis der ­Geschwister-Korn-und-Gerstenmann-Stiftung. Auf Deutsch sind bisher sieben Bücher von ihr erschienen. Während sich die ersten fünf mit dem Holocaust und seinen Folgen für Überlebende beschäftigen (»Jungle World« 41/2007), schildert sie in »Who the Fuck Is Kafka« (2015) und »Sweet Occupation« (2017), wie ihre Freunschaft zu Palästinensern ihre Sicht auf das Leben in Israel veränderte. Im Herbstsemester 2019 wird sie als Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessorin für Weltliteratur an der Universität Bern das Seminar »Breaking the Walls« unterrichten. Lizzie Doron lebt in Tel Aviv und Berlin.