ונגל‘ג - Die ­Zukunft des Gedenkens an die Shoah

Wenn die Überlebenden sterben

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An der Schwierigkeit, einerseits die Einzigartigkeit des Holocaust hervorzuheben, anderseits jungen Generationen Anknüpfungspunkte für einen eigenen, lebendigen Zugang zur Geschichte zu liefern, arbeitet man sich auch im Haus der Ghettokämpfer ab, dem 1949 gegründeten ersten Museum zur Erinnerung an den Holocaust. Yaron Tzur, der pädagogische Direktor des Museums, legt den Schwerpunkt auf dialogische Vermittlung statt auf die frontale Präsentation von Fakten. »›Was hat der ­Holocaust mit mir zu tun?‹ Das ist die Frage, die sich den jungen Leute stellt. Unser Ansatz dabei ist folgender: Es ist geschehen, deshalb kann es wieder geschehen«, sagt Yaron Tzur. »Wir möchten mit den Jugendlichen darüber ins Gespräch kommen, welche Rolle sie dabei spielen würden. Sie sollen lernen, den Holocaust nicht nur aus der Perspektive der Opfer, sondern auch aus der der Täter, der Zuschauer, der Helfenden zu betrachten, und begreifen, dass die Frage, auf welcher Seite man dabei steht, einerseits vom Zufall, andererseits aber auch von persönlichen Entscheidungen abhängt.«

Auch Tzur weiß um die Wirkung der persönlichen Begegnung mit Überlebenden, durch die den jungen Leuten die bislang nur theoretisch vermittelten Fragen und Fakten im wahrsten Sinne des Wortes erst richtig nahegehen. Da immer weniger Überlebende noch in der Lage sind, den Besuchergruppen persönlich von ihren Erlebnissen zu berichten, greift das Museum auf andere Techniken zur Vermittlung zurück, etwa auf die wechselnde Präsentation der 2,5 Millionen Artefakte aus dem Archiv, auf von Schauspielerinnen und Schauspielern gesprochene Tagebuchaufzeichnungen und Briefe von Beteiligten am Aufstand im Warschauer Ghetto oder auch auf die Arbeit mit Angehörigen der Zweiten Generation, den Kindern von Überlebenden. Von technischen oder digitalen Lösungen, die eine Begegnung simulieren sollen, hält er nicht viel. »Uns ist es besonders wichtig, dass die heutige Generation von jungen Menschen begreift, dass sie die letzten sind, die noch die Gelegenheit haben, persönlich mit Überlebenden zu sprechen. Sie tragen dadurch die besondere Verantwortung, diese Begegnung und damit die Erinnerung an die Shoah wie bei einem Staffellauf an ihre Kinder weiterzutragen.«

In Yad Vashem will man die Möglichkeit so lange wie möglich nutzen. »Die Zeit läuft uns davon, es gibt noch so vieles, das wir noch nicht gemacht haben, Zeitzeugen, die wir nicht gesprochen haben«, sagt Noa Mkayton. So gibt es eine eigene Abteilung, die immer noch Testimonials aufnimmt.

Die zukünftige Vermittlung wird also wohl zum einen als persönliche Weitergabe von indirekt Erfahrenem, zum anderen als medial vermittelte Weitergabe von persönlich Erfahrenem vor sich gehen. Dass die Geschichte nach dem Übergang von der gegenwärtigen zur reinen Vergangenheit zwar verblasst, aber nicht vergessen wird, beweist alljährlich das Pessachfest, bei dem – gemäß der alttestamentarischen Forderung – seit über 2 500 Jahren des Auszugs der Juden aus Ägypten gedacht wird.