Der »Joker« wandelt an der Grenze des Erträglichen

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Filmisch gelingt das recht gut und stimmungsvoll; zum einen aufgrund der tatsächlich überragenden Leistung von Joaquin Phoenix, der spätestens seit seiner Darstellung des Auftragsmörders mit Hammer in »A Beautiful Day« (2016, im Original »You Were Never Really Here« betitelt) kaum noch anders denn als »Ausnahmeschauspieler« bezeichnet wird. Vielleicht mag sein körperliches Spiel dem einen oder dem anderen Zuschauer zu viel sein, aber das ist Geschmackssache. Zudem bestechen Kameraarbeit und Musik. Die Regie von Phillips setzt nicht in erster Linie auf grelle Effekte und Überrumpelung, wie es nach seinem bisherigen Werk, das die »Hang­over«-Trilogie wie auch die Dokumentation »Hated: GG Allin and the Murder Junkies« (1993) umfasst, durchaus zu befürchten war. Nicht zuletzt deshalb dürfte der Jubel in Venedig so groß gewesen sein: Immerhin konnte sich die globale Filmszene so dafür feiern, dass ihr Backkatalog einmal mehr als Blockbusterkino auf den Stand der Zeit gebracht und bestätigt worden ist.

Düster führt »Joker« vor, wie die Gesellschaft ihre Monster selbst zeugt und gebiert. Durch einen anhaltenden Streik der Müllabfuhr ist Gotham sichtbar der Verwahrlosung anheimgegebenen. Fleck, den eine neurologische Erkrankung immer wieder in unkontrollierbare Lachausbrüche zwingt, fristet hier sein ärmliches Dasein. Tagsüber verdient er den kärglichen Lebensunterhalt als drittklassiger Clown; abends pflegt er die bettlägerige Mutter und schaut mit ihr die Murray-Franklin-Show. Daneben träumt er davon, selbst zum Comedy-Star zu werden und so zu erreichen, was ihm am meisten fehlt: Wahrgenommen zu werden in einer Gesellschaft, die ­seine Existenz schlicht ignoriert. Oder ihn gar im übertragenen wie wörtlichen Sinn mit Füßen tritt, wodurch sich sein schlecht eingerichtetes Leben in einer Kette vernichtender Ereignisse innerhalb weniger Tage in eine wahre Höllenfahrt verwandelt.

Die Karikatur des weißen Mannes: Arthur Fleck schminkt sich vor dem großen Aufritt.

Bild:
Warner Bros. Entertainment / Niko Tavernise

Eine entscheidende Rolle räumt der Film in seiner Dramaturgie den Medien und Produkten der Kultur­industrie ein. Zum einen ist da das omnipräsente Fernsehen, das die herrschende Klasse unter anderem nutzt, um die Beherrschten als Clowns zu diffamieren. Für Fleck ist das Fernsehen Ausgangspunkt wie Ziel seiner Träume. Zum anderen sind es die Hits aus der Hochphase des weißen US-amerikanischen Showbiz: Von Jackson C. Franks »My Name Is Carnival«, in dem Fleck sich wiedererkennt, bis zu Frank Sinatras Interpretationen von »Send in the Clowns« und »That’s Life«. Alles dient dazu, den eigenen Narzissmus zu fördern und grotesk aufzublähen.