Die Böttcherstraße in Bremen wurde als »Gesamtkunstwerk« mit esoterischen und völkischen Elementen konzipiert

Nazis, Esoteriker und germanische Götter

Der Mäzen Ludwig Roselius konzipierte die Böttcherstraße in Bremen einst als »Gesamtkunstwerk«. In der Gestaltung mischten sich Expressionismus, Esoterik und völkische Geschichtsphilosophie. Obwohl die Inspirationsquellen der nationalsozialistischen Ideologie deutlich verwandt waren, erregte die Ästhetik bei führenden National­sozialisten auch Anstoß.

»Bitte stehen bleiben«, sagt der Stadtführer. In der Mitte des Straßenzugs macht die Reisegruppe abrupt halt. Alle schauen gebannt nach oben auf die Hausfassade und bestaunen die sich zu den Klängen eines Glockenspiels drehenden Holztafeln. Bedeutende Atlantiküberquerungen vom frühen Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert sind darauf zu sehen. Die Böttcherstraße in Bremen bietet nicht nur hochwertigen Einzelhandel und gediegene Gastronomie. Baulich separiert und doch inmitten der Bremer Altstadt zieht der Straßenzug wegen seiner ausgefallenen architektonischen Gestaltung jährlich Tausende Besucherinnen und Besucher an.

»Sich mit der Böttcherstraße zu ­beschäftigten, setzt ein Mindestmaß an Masochismus voraus«, lacht Arie Hartog sarkastisch, als er die Straße betritt. Der Kunsthistoriker und Direktor des Bremer Gerhard-Marcks-Hauses befasst sich seit langem mit der Geschichte des Straßenzugs, hat hierzu Vorträge gehalten und Artikel ver­öffentlicht. Von Anfang an war die Böttcherstraße als »Gesamtkunstwerk« konzipiert worden. Für den Mäzen und Eigentümer, den neureichen Kaufmann Ludwig Roselius, sollte die Straße mehr sein als bloßer Kommerz.

Der Kunsthistoriker Arie Hartog sieht die Geschichte der Straße kritisch.

Bild:
Till Schmidt

Die Böttcherstraße sollte zum einen der Repräsentation der Großrösterei Kaffee Hag dienen, die Roselius erfolgreich aufgebaut hatte und deren wichtigstes Produkt, der entkoffeinierte Kaffee, er mit innovativen Werbe­konzepten weltbekannt gemacht hatte. Zum anderen sollten die Architektur der Straße und die in ihr ansässigen Kunstmuseen das »Gute, Wahre und Schöne« verkörpern. »In ihrer ideologischen Grundstruktur verbindet die Straße völkische Geschichtsphilosophie, Metaphysik und Esoterik«, sagt Hartog, während er die architektonischen Eigenheiten der einzelnen Gebäude vorstellt. Es sei außergewöhnlich, wie eklektizistisch weite Bereiche der Böttcherstraße gestaltet seien.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Roselius angefangen, Häuser in der ­damals verfallenen Straße zu kaufen. Der Straßenzug war relativ leicht zu erwerben und doch zentral genug gelegen, um dem sendungsbewussten Kunstsammler die perfekte Möglichkeit zu bieten, seine Vision eines aufsehenerregenden Freilichtmuseums zu verwirklichen. Roselius’ völkisch-esoterische Weltanschauung fand nicht nur in einzelen Bau- oder Kunstwerken Ausdruck. Mit den »Nordischen Things« veranstaltete er ab 1933 in der Böttcherstraße auch Forschungskongresse, um die völkische Bewegung international zu fördern.