»No Home Record« ist Kim ­Gordons erstes Soloalbum

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Mal wieder gelingt der Spagat zwischen Grunge und Glamour: Die ehemalige Sonic-Youth-Musikerin Kim Gordon hat mit »No Home Record« ihr erstes Soloalbum veröffentlicht. Auch ohne Band erweist sie sich als Meisterin der Kollaboration.

Als »Joan Didion des ­Indie-Rock« wurde Kim Gordon mal bezeichnet. Der Vergleich mit der Schriftstellerin und langjährigen Autorin des New Yorker macht schon mal deutlich, dass Gordon mehr ist als nur die Bassistin und Sängerin von Sonic Youth. Wie Didion, die sich als scharfe ­Beobachterin der US-amerikanischen Politik und Kultur einen Namen gemacht hat, kann Gordon ein überaus produktives Künstlerleben vorweisen. Immer hat sie sich auf verschiedenen künstlerischen Feldern bewegt, mal war sie Musikerin, mal Malerin, Schriftstellerin, Performerin und sogar Modedesignerin. Ihre Rolle als Vorbild für Frauen an Instrumenten in Bands kann man gar nicht oft genug würdigen, war sie doch stilbildend für das, was später in der Riot-Grrrl-Bewegung gipfelte.

Die Online-Mietplattform Airbnb hat Gordon zu einem Song inspiriert, es geht um Superhosts, 47-Zoll-Flachbildschirme, Tagesbetten und ­­Andy-Warhol-­­Drucke an der Wand.
 

Gordon scheute sich nie, ihre Meinung deutlich zu sagen. Kürzlich kritisierte sie die Kommerzialisierung des Kunstbetriebs, in dem sie selbst arbeitet, beklagte die Maschinerie, die immer wieder bedient werden müsse, und bekannte, dass sie Kunstmessen aus diesem Grund meide. Sie hat auch immer klar gemacht, von welchen Musikerinnen und Bands sie etwas hält und von welchen nicht. Zitate wie »Die Smashing Pumpkins haben sich viel zu ernst genommen und waren überhaupt nicht Punkrock« oder »Lana Del Rey hat überhaupt keine Ahnung, was Feminismus ist« beweisen ihre intellektuelle Unabhängigkeit von den Moden des Pop. Dass Gordon auch live immer noch zur musikalischen Avantgarde gehört, bewies sie vergangenen Herbst bei einem gemeinsamen Auftritt mit der Künstlerin und Musikerin Jutta Koether, mit der sie schon lange musikalisch experimentiert. Gordons unorthodoxe Text-Musik-Performance an den Kammerspielen in München anlässlich von Koethers Retrospektive »Tour de Madame« beweist, dass Gordon den Spagat zwischen Grunge und Glamour, zwischen Mainstream und Underground sicher beherrscht. Weshalb man ihr das Rumhängen im New Yorker Club CBGB immer genauso abgenommen hat wie ihren Auftritt bei einer Saint-Laurent-Show.

Dass sie mit 66 Jahren ihr erstes Soloalbum veröffentlicht, wirkt dennoch wie ein Befreiungsschlag. Es ist der konsequente Aufbruch nach dem Ende von Sonic Youth. Musikalisch verbindet man Gordon schließlich immer noch mit der einflussreichen und epochalen Punkrockband, die sich 1981 in New York City gründete und deren bislang letztes Konzert in São Paulo 2011 vermutlich das Ende besiegelte, obwohl sich die Gruppe nie offiziell aufgelöst hat. Gordon prägte mit ihrem Gesang und ihrem Einsatz an Bass und Gitarre den Sound der Band. Ins Jahr 2011 fiel auch die Trennung von ihrem Ehemann Thurston Moore. Letzteres ist eigentlich Gossip, über den man sich nicht weiter auslassen möchte, um die Privatsphäre der beiden zu respektieren. Aber Gordon gewährt in ihrer großartigen Autobiographie »Girl in a Band«, die vor vier Jahren erschien, ziemlich intime Einblicke in die Konflikte, die die Ehe nach 27 Jahren zum Scheitern brachten.

 

Dass Gordon auch nach Sonic Youth wieder Musik veröffentlichen würde, stand außer Frage. Aber dass es dann so rege weiterging, spricht für ihre Umtriebigkeit und dafür, dass sie nach dem Ende der Bandkarriere keineswegs in eine künstlerische Krise geraten ist. Es gab in den vergangenen Jahren beispielsweise ein Bandprojekt namens Body/Head mit Bill Nace, die beiden veröffentlichten 2018 ihr zweites Album. Mit Alex Knost wiederum bildete sie Glitterbust, 2016 erschien ein experimentelles E-Gitarren-Album.

Vorbild für Frauen an Instrumenten: Kim Gordon bei einem Auftritt in Brooklyn 2018.

Bild:
Cmjamesphoto / Wiki Commons

Nun erscheint also die erste Platte, auf der einzig Kim Gordons Name steht. Der Albumtitel »No Home Record« kann als eine Referenz an den Dokumentarfilm »No Home Movie« von 2015 verstanden werden. Die in dem Jahr verstorbene belgische ­Filmemacherin Chantal Akerman interviewte in ihrem letzten Film ihre Mutter, die den Holocaust überlebt hat. Die Negation der Begriffe »Heim« beziehungsweise »Heimat« im Albumtitel lässt sich aber auch so deuten, dass Gordon selbst in den vergangenen Jahren heimatlos wurde beziehungsweise eine neue Heimat gefunden hat: in Los Angeles, wo sie geboren und aufgewachsen ist und wohin sie nach Jahrzehnten an der Ostküste wieder zurückgekehrt ist.

Sie habe zunächst eine verrückte Jazz-Platte machen wollen, kommentierte Gordon in einem Interview ihr erstes Soloalbum. Jazzig ist es nicht, verrückt ist das Album aber durchaus. Fast alle der neun Songs machen es den Hörern nicht leicht, wollen irritieren statt gefallen, sind sperrig und experimentell, entziehen sich einer einfachen Einordnung und verzichten auf eingängige Melodien.

Es ist Musik, die mit dem Werk von Sonic Youth verwandt ist, aber Gordons Handschrift trägt und vor allem von ihrem markanten Gesang geprägt ist. Dissonante Klänge treffen auf Anleihen von Neunziger-Jahre-Trip-Hop und Elektro, gemischt mit Noise und Beats. Einzig der nervös-punkige Titel »Hungry Baby« hat einen gewissen Wiedererkennungswert. Ein wenig untypisch für den Sound der Platte ist auch die melancholische Ballade »Earthquake«, ein kurzer Moment der Ruhe und des Innehaltens, die fern an Velvet Underground erinnert: »If I could cry and shake for you,/ I’d lay awake for you,/ I got sand in my heart for you.«

 

Die Songtexte sind fragmentarisch-poetische Beobachtungen, in denen Gordon die Welt um sich herum und vor allem das Leben in Los Angeles lapidar kommentiert. »Get Yr Life Back« beginnt mit der Zeile »The end of capitalism, winners and losers«, um dann fortzufahren »My nipples are shivering, quietly, erect« und schließlich zum Fazit zu kommen »There are no truths anymore«. Die Online-Mietplattform Airbnb hat Gordon zu einem weiteren Song inspiriert, es geht um Superhosts, 47-Zoll-Flachbildschirme, Tagesbetten und Andy-Warhol-­­Drucke an der Wand.
Ihre Songtexte erinnern an ihre sogenannten »Sloganeering Paintings«, die sie in diesem Sommer in einer Ausstellung mit dem Titel »Lo-Fi Glamour« im Andy-Warhol-Museum in Pittsburgh zeigte. Slogans wie »Sec­ret Abuse«, »Product Owner«, »You don’t own me«, »Pussy«, »Sickness« wurden zu Bildern.

Kim Gordon in sehr viel Tüll.

Bild:
Matador Records / Beggars Group

Zur Ausstellungsinstallation gehörte auch ein Score für Andy Warhols Stummfilm »Kiss« von 1963/1964. Mit hektischen Pinselstrichen fabriziert, wirken die Bilder wie die Blaupause für ihr Songwriting. Gordons Vorliebe für eine eigenwillige Bildsprache beweist auch die Wahl des Coverfotos von »No Home Record«, das Josephine Pryde, Künstlerin, Fo­tografin und Professorin an der Universität der Künste Berlin aufgenommen hat: eine Frau, deren Kopf nicht zu sehen ist, im grell orangefarbenen Bikini mit Schaumgummischwimmhilfen um den Körper drapiert.

Dass Gordon wie stets ein gutes Gespür für spannende Kollaborationen besitzt, zeigt sich in ihrer Zusammenarbeit mit der Berliner Künstlerin Loretta Fahrenholz. Diese führte Regie im Musikvideo zur ersten Single »Sketch Artist«. Man sieht Gordon, als coole Stilikone inszeniert, am Steuer eines schwarzen Wagens, die Augen markant in Schwarz und Gold geschminkt, durch eine anonyme Großstadt fahren. Ihr hypnotischer Blick, den sie auf zufällig vorbeilaufende Personen richtet, bewirkt Dinge mit diesen, lässt sie zusammenbrechen und in eine Art Schockzustand fallen. Ziemlich mysteriös, aber hübsch anzusehen.

Kim Gordon: No Home Record (Matador)