Proteste gegen eine Goldmine in der Türkei

Aufstand in den Gänsebergen

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Alte Mythen, gute Luft

Ulutak begrüßt Cem Birder, einen bärtigen Mann Mitte 50. Birder ist Bauingenieur, zog aber bereits vor zehn Jahren in ein Dorf im Kreis Bayramiç. Die beiden Ingenieure erklären den anderen die Gefahren des Zyanidabbaus. »Im Falle eines Erdbebens«, so Birder, »kann das Becken, in dem die Zyanidlauge lagert, brechen und Gift in die Umwelt freisetzen. Und wir befinden uns hier in einem akuten Erdbebengebiet.« Tatsächlich kam es Ende September in der Nachbarprovinz Tekirdağ zu einem Beben der Stärke 5,5 auf der Richterskala. Auch in der Provinz Çanakkale, in der das Ida-Gebirge liegt, war es deutlich zu spüren. »Ist das Gift erst einmal in den Naturkreislauf gelangt, wandert es mit den Wasserwegen in das Grundwasser, Seen, Flussläufe und Niederschläge und verseucht die gesamte Region«, führt Ulutak weiter aus. Die Demonstrierenden bilden eine Kette vor dem Stacheldrahtzaun und rufen: »Der Wald gehört nicht den Goldsuchern, lasst die Eichhörnchen in Frieden.« Schließlich ziehen sie friedlich ab und laufen den Waldweg entlang.

Protest vor den Toren der Mine im August

Bild:
Sabine Küper-Büsch

Der Wald besteht vor allem aus Tannen und Eichen. Die Umweltschützer haben einige Bäume mit Nummern markiert, damit sie merken, wenn weitere Bäume abgeholzt werden. Die ­Region zeichnet sich durch einen besonders hohen Sauerstoffgehalt in der Luft aus, der zu den höchsten weltweit gehört. Zahlreiche Kliniken für Atem­wegs­erkrankungen haben hier Ihren Sitz. Das Zentrum des Gebirges ist seit 1993 als Nationalpark Kazdağı geschützt.

Die Handlungen zahlreicher Mythen sind in dieser Gegend angesiedelt. Die Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera sollen dem Trojanischen Königssohn Paris hier erschienen sein und ihm die Frage gestellt haben, wer die schönste von ihnen sei. Diese Szene ist der Ausgangspunkt der kriegerischen Auseinandersetzungen um Troja. Fortan saßen die Götter auf dem höchsten Gipfel des Ida-Gebirges, um den Kriegsverlauf zu beobachten. Auch die türkische Mythologie kennt eine Legende: Als ein Bauer von einer Pilgerreise heimkehrt, verdächtigt er seine schöne Tochter »Sarı Kız«, das blonde Mädchen, einer nicht akzeptablen Romanze. Um diese dauerhaft zu unterbinden, schickt er sie lebenslänglich in die Berge, um die Gänse zu hüten, wo sie übernatürliche Kräfte entwickelt. Im Türkischen werden die Formationen des Ida-Gebirges deshalb als »Gänseberge« bezeichnet.