Proteste gegen eine Goldmine in der Türkei

Aufstand in den Gänsebergen

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Umgehung des Rechtswegs

Birder geht zu einem Gemeinschaftszelt, das die Stadtverwaltung von Çanakkale hier aus Solidarität ­errichtet hat. Er begrüßt die stellvertretende Bürgermeisterin, Rebiye Ünüvar. Die Provinz Çanakkale wird mehrheitlich von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) regiert. Von zwölf Kreisstädten unterstehen acht Kommunen inklu­sive der Provinzhauptstadt Çanakkale CHP-Regierungen. Ünüvar ist gerade mit einem der Pendelbusse eingetroffen, die zwischen Çanakkale und dem Protestlager eingerichtet wurden. Sie betont, dass sie damit nur ihre Pflicht tue, denn der Gouverneur der Provinz Çanakkale, Orhan Tavlı, habe im Sommer plötzlich die Erlaubnis für die Mine erteilt, obwohl die vor allem von den Stadtverwaltungen geführten Prozesse gegen die Mine noch nicht abgeschlossen seien. »Nachdem der Gouverneur das Recht mit Füssen getreten hatte, blieb uns nichts anderes übrig, als diesen Weg zu beschreiten. Die Stadtverwaltung ist vor allem verantwortlich für die Sicherung der Trinkwasserversorgung der Kommunen. Diese Mine liegt in der Schutzzone des Atıkhisar-Staudamms, der einzigen Trinkwasserquelle für die Provinzhauptstadt ­Çanakkale. Das ist absolut ungesetzlich.«

Idylle mit Bäumen. Cem Birder und seine inzwischen verstorbene Hündin Cesur.

Bild:
Sabine Küper-Büsch

Der Konflikt spiegelt die Spannungen wider, die die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei 2016 verursacht hat. Die Staatsbürokratie, zu der der Gouverneur gehört, wird von Präsident Recep Tayyip Erdoğan geleitet, der per Dekret den Rechtsweg einfach umgehen kann. Das ist bei der Mine zwar nicht geschehen, aber der Gouverneur setzt sich in der Praxis ebenfalls über den Rechtsweg hinweg. »Die machen, was sie wollen«, sagt Ünüvar wütend, »egal ob Gutachten noch ausstehen oder die Minenfirma statt 45 000 gleich 195 000 Bäume fällt und ihr Territorium verdreifacht.«

Unüvar sagt, dass gerade Anträge für 30 weitere Edelmetallminen auf ihre Genehmigung warteten, »ganz abgesehen von Thermal- und Kohlekraftwerken«. Die andauernde Wirtschaftskrise in der Türkei fache den Eifer der Regierung an, durch den industriellen Abbau von Bodenschätzen Gewinne zu erzielen. »Nur geht diese Rechnung nicht auf. In der Region werden hochwertige landwirtschaftliche Produkte hergestellt. Das beste Olivenöl wird hier produziert, die reichsten Obsternten werden erzielt. Nur ein einziger Umweltskandal kann das alles gefährden«, so die stellvertretende Bürgermeisterin.