Proteste gegen eine Goldmine in der Türkei

Aufstand in den Gänsebergen

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Anbau ohne Chemie

Hunderttausende Menschen aus der ­Region und von außerhalb demonstrierten im August gegen die Mine. Aber es gibt auch Befürworter. Nur ein paar Kilometer oberhalb des Minengeländes liegt das Dorf Karaibrahimler. Der Dorfvorsteher Mehmet Sezgin fährt mit dem Traktor auf den Dorfplatz vor das Kaffeehaus. Früher haben die Einwohner des Dorfs CHP gewählt, aber seit einigen Jahren unterstützen alle die Regierungspartei AKP, auch Sezgin. Er hat von harter Arbeit gezeichnete Hände und ein freundliches Lächeln. »Wir haben hier oben nie von der Landwirtschaft leben können«, sagt er. »Wir haben zu wenig Wasser, es wächst nichts, ich musste schon als junger Mann in Çanakkale auf dem Bau arbeiten, um über die Runden zu kommen.« Im Kaffeehaus bestellt er Tee für sich und einen Nachbarn, der auf der Mine am Suchbohrer arbeitet. »Er hat drei Kinder, die er zur Schule schicken muss. Der Älteste geht auf das Internat in Edirne. Das kostet 150 Euro im Monat. In der Mine verdient er 300 Euro im Monat, das reicht gerade.« Die Minenbetreiber haben im Dorf einen neuen Brunnen und ein Gemeindehaus bezahlt. Die Männer arbeiten fast alle dort. Mehmet Sezgin hat Glück: »Mein Gehalt als Dorfvorsteher reicht mir, aber ich muss an meine Leute im Dorf denken, die sind zu 70 Prozent für die Mine.«

Sie lieben das Öko-Landleben. Die gelernte Köchin Füsün Kayra (l.) spricht im Protestcamp mit dem Bauern Cem Birder.

Bild:
Sabine Küper-Büsch

Für frischgebackene Landwirte wie Cem Birder ist die Industrialisierung des Naturparadieses eine existentielle Bedrohung. Wann genau die Schürfarbeiten an der Mine beginnen werden, weiß niemand. Das Zyanid ist bislang noch nicht eingetroffen. »11 000 Tonnen wollen sie auf den Berg schaffen«, sagt Birder finster. Er sitzt in seiner Küche im Dorf Serhatköy im Kreis Bayramiç in einem Bauernhaus, das er einfach, aber hübsch renoviert hat. Die Küche befindet sich in einem hellen Anbau, eine Glasfront lässt Sonne hinein. Er zeigt Fotos von seiner Hündin Cesur, die im August gestorben ist; zehn Jahre hatte sie ihn begleitet. Ein großer, gutmütig aussehender Hund tollt auf den Bildern neben Birder im Schnee und über grüne Weiden. »Das ist eben die Natur, sie gibt und nimmt«, sagt er und knabbert an einem Stück Apfel mit Zimt.

Birders Smartphone klingelt, der Dorfvorsteher von Serhatköy wartet im Weinberg auf neue Nachrichten von der Mine. Birder springt in seinen Pick-up und braust los. In seinem früheren Leben in Istanbul drehte sich alles um Software-Lösungen für Bauprojekte und vor allem um Geld. »Ich habe das nicht mehr ausgehalten«, sagt er. »Erst habe ich in Istanbul den ersten Ökomarkt der Türkei gegründet, dann bin ich sukzessive in die Gänseberge gezogen. Erst nur an den Wochenenden, schließlich ganz. Ich musste lernen, wie man den Boden bearbeitet, wässert, aber nicht überwässert; dass er gehackt werden muss, damit die Pflanzen wurzeln können.«

Im Weinberg helfen die Dorfbewohner einander bei der Lese. Etwa 30 Menschen bücken sich auf einem Feld nach den Reben. Der Dorfvorsteher von Serhatköy, Ercan Özdemir, ist ein junger Mann Anfang 30. Stolz erzählt er, dass sie nur natürliche Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzten und der Weinanbau chemiefrei sei. Seit einem Jahr nimmt die Kelterei Kayra dem Dorf die gesamte Ernte ab. Das hat auch mit Birders Einfluss zu tun, denn er überzeugte den jungen Dorfvorsteher von chemiefreien Anbaumethoden und stellte den Kontakt zur Kelterei her. Birder ist von den Städtern, die zurzeit Bioprojekte in der Region fördern wollen, der Fortgeschrittenste. Auf ­einer Website vertreibt er Bioprodukte aus der gesamten Türkei. In Serhatköy sind alle gegen die Mine und bereit, bis nach Ankara zu gehen, um sie zu verhindern. 

»Du brauchst einen neuen Hund«, sagt Özdemir und klopft Birder auf die Schulter. Der blickt auf und lächelt: »Ja bald, ich habe schon einen Namen. Ich werde ihn oder sie Diren nennen.« Das ist das türkische Wort für »Widerstand«.