Spanien wird für seine Rüstungszusammenarbeit mit Saudi-Arabien kritisiert

Lukrative Kriege

Spanien hat die siebtgrößte Rüstungsindustrie der Welt. Derzeit wird das Land wegen der Rüstungszusammenarbeit mit dem Königreich Saudi-Arabien kritisiert, das im Jemen Krieg führt.
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Die Regeln sollten klar sein. Spanien gehört zu den ersten Ländern, die 2013 den internationalen Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT) unterzeichnet haben. Der verbietet den Transfer von Waffen, Munition und ähnlichen Gegenständen zwischen Staaten, wenn bekannt ist, dass sie für Kriegsverbrechen verwendet werden könnten. Das spanische Waffenexportgesetz verbietet zudem Waffenlieferungen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sie bei Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnten. Das hat Spanien offenbar nicht von Waffenexporten nach Saudi-Arabien abgehalten, das seit 2015 im Jemen Krieg führt und dabei auch für Kriegsverbrechen und die Tötung zahlreicher Zivilisten verantwortlich ist, wie Berichte der UN bestätigen. Ende November berichtete das spanische Online-Magazin El Diario in einer zusammen mit der Plattform Lighthouse Reports entstandenen fünfteiligen Artikelserie über die spanische Rüstungszusammenarbeit mit Saudi-Arabien.

Das spanische Turbinenunternehmen Industria de Turbo Propulsores Aero (ITP Aero) stellt unter anderem Teile für den Motor des Eurofighter Typhoon her, der von Saudi-Arabien im Jemen eingesetzt wird. Den Recherchen von El Diario zufolge liefen die Aufträge bis mindestens 2017, also bis zwei Jahre nach Kriegsbeginn. Von 2011 bis 2018 regierte in Spanien die konservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy (Volkspartei, PP). Zudem soll sich Airbus Military in der Nähe des Madrider Flughafens Barajas Adolfo Súarez auf dem Firmengelände der Fluglinie Iberia bis 2019 um die Wartung der saudischen Airbus-Tankflugzeuge vom Typ A330 MRTT gekümmert haben, die der Betankung der Eurofighter im Jemen dienen. Die Airbus-Truppentransportflugzeuge A400M, die in Sevilla gefertigt und gewartet werden, benutzte außerdem das türkische Militär bei Operationen in Nordsyrien.

Zwischen Januar 2015 und Juni 2018 verkaufte Spanien Verteidigungs- und Kriegsmaterial im Wert von 2,4 Milliarden Euro an Saudi-Arabien.

Über 130 Konzerne und Unternehmen in Spanien sind dem katalanischen Friedensforschungsinstitut Centre Delàs d’Estudis per la Pau zufolge in der Rüstungsindustrie tätig. Die in Spanien ansässigen Werften von Navantia und der transeuropäische Konzern Airbus Military zählten dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) zufolge 2018 zu den 100 weltweit führenden Rüstungskonzernen. Zu den größten spanischen Rüstungsunternehmen gehört zudem Indra Sistemas. 2017 betrug der Exportwert der spanischen Rüstungsgüter über 4,3 Milliarden Euro, mehr als 22 000 Menschen waren in der Branche beschäftigt. Schließt man die Bereiche Luftfahrt, Raumfahrt und Polizeiausrüstung mit ein, kommt man für 2017 gar auf einen Umsatz von über zehn Milliarden Euro – fast ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts – und fast 56 000 Arbeitsplätze.

Das Unternehmen Maxam produziert Sprengstoff, Munition sowie kleine, leichte Waffen; Aecom baut U-Boote; Safran und Honeywell bauen Raketen; im Bereich Schusssysteme und elektronische Kriegsführung sowie bei Drohnen sind Indra und Thales Spain führend. Panzer und gepanzerte Fahr­zeuge liefert General Dynamics, Helikopter und Flugzeuge stammen aus den Fabriken von Leonardo, und die halbstaatlichen Navantia-Werften bauen Fregatten und Kriegsschiffe. Zu den Kunden der spanischen Rüstungsindustrie zählen neben den Nato-Staaten einschließlich der Türkei auch andere kriegsführende Länder, allen voran Saudi-Arabien. Auch in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Israel, Ägypten und Pakistan verkaufen spanische Firmen.

Viele ehemalige spanische Abgeordnete und Minister machen in Spanien in der Rüstungsindustrie Karriere. »Es ist reine Phantasie, zu denken, dass die Verteidigungspolitik und -industrie unabhängig agieren, zu stark sind ­deren Interdependenzen«, sagt Andrés Villena Oliver, Soziologe, Ökonom, Journalist und Buchautor, der sich mit Netzwerken der Führungsschicht in Spanien auseinandersetzt, der Jungle World. 2017 wandte Spanien 1,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, etwa 14 Milliarden Euro, für Rüstung und Militär auf. »Seit der Wende von der Franco-Diktatur zur Demokratie, in der ›Phase der Transition‹ pflegte der ehemalige König Juan Carlos I. engste Kontakte nach Saudi-Arabien, eine Tradition, die sein Sohn und Nachfolger, ­Felipe VI., fortsetzt«, so Villena. Der ­König sei keine Zierfigur des Staates, sondern oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Zudem habe er unternehmerische Macht.

»Es zeigt sich eine klare Kontinuität in der Besetzung der wesentlichen Schaltstellen. Auffällig ist jedoch im Bereich der Verteidigung, dass alle politisch Verantwortlichen in den vergangenen Dekaden untereinander überaus enge Kontakte pflegten und sowohl im öffentlichen Dienst als auch der Privatwirtschaft Synergien schöpften. Das gilt auch bei der Vergabe großer Rüstungsaufträge«, sagt Villena.

Den Konzern ITP Aero leitet seit Ende 2017 Josep Piqué i Camps, ein ehe­maliger Minister der Regierung von José María Aznar (PP, 1996 bis 2004). Der ehemalige Verteidigungsminister unter Rajoy, Pedro Morenés, war zum Ende seiner Amtszeit kritisiert worden, da unter der Regierung Rajoy der Bau von Navantia-Fregatten vom Typ F-110 um zwei Jahre verzögert worden war, damit diese mit Raketen aus dem zuvor von Morenés geführten Unternehmen MBDA bestückt werden können. Der Vertrag wurde Ende 2017 geschlossen. Doch für mehr Unmut – und vor allem zivile Todesopfer – sorgte 2011 die ­unter Morenés erfolgte Lieferung von Streubomben des Rüstungskonzerns Instalaza S.A. an den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi. Nach seiner Zeit als Minister wurde Morenés 2017 Botschafter Spaniens in den USA. ­Wenige Monate nach seiner Abberufung aus Washington Anfang 2019 wurde er Leiter des Konzerns Amper Ingenio. Rajoy hatte den ehemaligen Staatsbetrieb gerettet, indem er den Verkauf von Unternehmensteilen an die französische Thales-Gruppe genehmigte. Seit Morenés’ Zeit als Minister ist Thales Mehrheitsaktionär bei Amper.

Morenés »personifizierte die Personalunion aus Politischem und dem Engagement in der Privatindustrie. Man weiß nicht, wem er diente«, so Villena. Der Botschafterposten in Washington habe vermutlich auch dazu gedient, Waffengeschäfte einzufädeln, vermutet er. Morenés studierte Jura an der Opus-Dei-Universität von Navarra und der des Jesuitenordens Deusto. Seine ersten Stationen als Anwalt waren Werften wie die staatlichen Astilleros Españoles, wo er für internationale Geschäfte zuständig war. »Staatsbetriebe wurden erst mit Staatsgeldern saniert, fusioniert beziehungsweise konzentriert und dann unter der Ägide der zuständigen Minister privatisiert«, sagt Villena. »Nicht ohne spätere Gegenleistung, versteht sich.«

El Diario zufolge sind die Ausfuhren und Genehmigungen für Waffenverkäufe seit 2004 um das Zehnfache gestiegen. Der größte Anstieg sei ab 2012 zu verzeichnen, nach dem Antritt der Regierung Rajoy. 2017 überstieg der Wert der Ausfuhrgenehmigungen 21 Milliarden Euro, ein Anstieg um 280 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zwischen Januar 2015 und Juni 2018 verkaufte Spanien den Organisationen Amnesty International, Oxfam Intermón, Greenpeace und Fundació per la Pau zufolge Verteidigungs- und Kriegsmaterial im Wert von 2,4 Milliarden Euro an Saudi-Arabien, Torpedos, Raketen und Bomben im Wert von über 718 Millionen Euro an die Türkei und Transportflugzeuge sowie Munition im Wert von über 100 Millionen Euro an die Vereinigten Arabischen Emirate.

Doch nicht nur die konservative Regierung hält Rüstungsabkommen trotz Verboten aufrecht. Auch Rajoys Nachfolger Pedro Sánchez von der sozial­demokratischen Partei PSOE verteidigt die Rüstungszusammenarbeit mit kriegsführenden Partnern. Ende Oktober 2018 rechtfertigte er den Verkauf von 400 lasergelenkten Bomben an Saudi-Arabien, der 2015 von der PP-Regierung vereinbart worden war. Seine Verpflichtung als Ministerpräsident bestehe darin, die »strategischen Interessen Spaniens zu verteidigen, die sich in Gebieten befinden, die stark vom Drama der Arbeitslosigkeit betroffen sind«, so Sánchez. Damit spielte er auf den Bau von fünf Korvetten im Wert von 1,8 Milliarden Euro für Saudi-Arabien in den Werften von Navantia in der Bucht von Cádiz an, wo 6 000 Arbeitsplätze von diesem Vertrag abhängen.

»Die politische Rechtfertigungsstrategie, Waffenaufträge an die Schaffung von Arbeitsplätzen zu koppeln, ist in Frage zu stellen und unmoralisch«, sagt Villena. Aber auch der Bürgermeister von Cádiz, José María González Santos von der mit dem linken Bündnis Unidas Podemos assoziierten Liste Por Cádiz Sí Se Puede, nutzte das Arbeitsplatzargument, um entgegen pazifistischen und humanitären Grundsätzen für die Fertigung der Kriegsschiffe einzutreten. Das sicherte ihm Ende Mai 2019 die Wiederwahl.