Marine Le Pen inszeniert sich als national-soziale Politikerin

Rente mit rechts

Die extrem rechte Partei Rassemblement National unterstützt die Weiterführung der Streiks in Frankreich und pflegt ein national-soziales Image. Das könnte sich auszahlen.

Es war ein ungewöhnlicher Appell, den Marine Le Pen, die Vorsitzende der extrem rechten Partei Rassemblement National (RN), kürzlich an die Öffentlichkeit richtete. Angesichts des »Überfalls auf die Geldbörsen der Franzosen« rief sie ihre Anhängerinnen und Anhänger dazu auf, sich an den Pro­testen gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron zu beteiligen. Sie selbst sprach sich für eine Rückkehr zur Rente mit 60 Jahren aus.

Dass Le Pen nun ihre rechte Gefolgschaft ausgerechnet für die Aktionen der linken, ehemals kommunistischen Gewerkschaft CGT mobilisiert und die Streiks explizit unterstützt, ist bemerkenswert. Die Rechtsextremen waren zwar seit den neunziger Jahren stets um ein soziales und kapitalismuskritisches Image bemüht. Von linken Gewerkschaften und sozialen Protestbewegungen grenzten sie sich jedoch immer ab.

Mit ihrer sozialen Agenda und ihrer harschen Kritik an der EU könnte es Le Pen gelingen, Wähler von La France Insoumise anzusprechen.

Der Gegensatz zwischen ihrem sozialen Anspruch und der gleichzeitigen Ablehnung gewerkschaftlicher Protestbewegungen stellt Le Pen jedoch vor ein Dilemma. Schon als die Partei noch Front National (FN) hieß, versuchte sie, sich ­einen national-sozialen Anstrich zu geben. »Ich bin sozial gesehen links, wirtschaftlich gesehen rechts und national gesehen aus Frankreich«, hatte deren Gründer und ehemaliger Vorsitzender Jean Marie Le Pen bereits in den neun­ziger Jahren postuliert. Nicht links, nichts rechts und ­alles für das ­Vaterland. Mit diesem Programm profilierten sich rechtsextreme Parteien, nicht nur in Frankreich, als vermeintliche Alternative zu den wirtschafts­liberalen Eliten. Widersprüch­lich blieb dabei das Unterfangen, sich als Repräsentanten der unteren sozialen Schichten zu ­gerieren, gleichzeitig ­jedoch Streiks und Gewerkschaften abzulehnen.

Für den RN gibt es mittlerweile gute Gründe, zumindest verbal die Streiks zu unterstützen. Umfragen zufolge lehnen 58 Prozent der RN-Wähler Macrons Pläne ab, was fast dem Verhältnis in der restlichen Bevölkerung entspricht. »Diese Rentenreform wird von der Mehrheit der Franzosen abgelehnt«, sagte Marine Le Pen, sie sei daher nicht »nur das Problem der CGT«. Die Proteste sind für Le Pen ein dankbares Thema. Sie kann sich ohne viel eigenes Zutun als zentrale Gegenspielerin ­Macrons und der von ihr so bezeichneten Eliten profilieren. Vergangene ­Woche gab Marine Le Pen ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2022 bekannt. Neueren Erhebungen zufolge könnte sie mit rund 45 Prozent der Stimmen rechnen – das wären zehn Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Wahl. Um aber eine Mehrheit zu bekommen, muss sie auch in Milieus erfolgreich sein, die sie bislang nicht erreichte. Indem sie sozialpolitische Forderungen der Linken übernimmt und gegen Macron als »letzten Vertreter der ungezügelten Glo­balisierung« wettert, könnte sie auch für Wähler interessant werden, die sich zuletzt für Jean-Luc Mélenchons linksnationalistische Partei La France Insoumise entschieden hatten.

Die außenpolitischen Positionen beider Politiker ähneln sich in vielen Punkten, wie etwa in den Forderungen nach einem Nato-Austritt oder der ­verständnisvollen Haltung zu Wladimir Putin. Und auch in ihrer Meinung über die Europäische Union liegen beide Parteien nicht weit auseinander. Le Pen will zwar nicht mehr unbedingt aus der Europäischen Union austreten, was spätestens seit dem quälenden »Brexit«-Prozess alles andere als attraktiv erscheint. Sie fordert nun, die EU-Verträge neu zu verhandeln. Wenig verändert haben sich hingegen ihre Vorbehalte gegen Deutschland, das sie für die sozialen Ungleichgewichte in Europa verantwortlich macht.

Eine Ansicht, die Mélenchon in ­vieler Hinsicht teilt. »Das deutsche Imperium hat Europa ins Schwanken ­gebracht«, hatte er vergangenes Jahr in einem Interview mit der Welt erklärt. Macron erweise sich dabei als williger Helfer deutscher Ambitionen. »Die ­Politik von Monsieur Macron ist die Blaupause der Politik der EU-Kommission«, meinte Mélenchon. »Was sie diktiert, macht er. Aber das Original, das stammt von Angela Merkel.«

Tatsächlich leidet Frankreich unter der deutschen Konkurrenz, die sich seit Jahren mit niedrigeren Löhnen und geringeren Sozialleistungen deutliche Vorteile verschafft hat. Wie ungleich mittlerweile die Bedingungen sind, zeigt sich auch bei den Renten. Während die Franzosen heute versuchen, die ­Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre zu verhindern, wurde in Deutschland bereits 2007 die schrittweise Anhebung auf 67 Jahre beschlossen.

Die Franzosen können jedoch nicht nur früher in Rente gehen als die Deutschen, sie verfügen danach auch über mehr Einkommen. Durchschnittlich liegen die Renten in Frankreich nach Angaben des nationalen Statistikamts INSEE bei 1 389 Euro, in Deutschland ­beträgt die gesetzliche Rente durchschnittlich gerade mal 906 Euro. Während die französische Regierung rund 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rentenzahlungen aufwendet, sind es in Deutschland nur elf Prozent. Weil die Zahl der Erwerbstätigen abnimmt, wollen manche, darunter die der Bundesbank, das Rentenalter bereits auf 70 Jahre zu erhöhen. Mit solchen Ideen braucht man derzeit in Frankreich wohl niemandem zu kommen.

Im gemeinsamen Binnenmarkt sind unterschiedliche Sozialabgaben jedoch mit entscheidend für die Konkurrenz­fähigkeit der Unternehmen. Macrons Pläne zielen darauf ab, die sozialpolitischen Standards in Frankreich jenen in Deutschland anzugleichen. Le Pen wirbt hingegen, ähnlich wie Mélenchon mit seinem »solidarischen Protektionismus«, für einen starken Nationalstaat, der unter anderem über hohe Einführzölle die heimische Wirtschaft schützen soll. Wie eine protektionistische Wirtschaftspolitik in dem extrem verflochtenen europäischen Markt funktionieren kann, bleibt allerdings sowohl Le Pens als auch Mélenchons Geheimnis.

Mit ihrer sozialen Rhetorik und ihrer harschen Kritik an der EU könnte es Le Pen durchaus gelingen, Wähler von La France Insoumise anzusprechen. ­Allerdings gibt es auch gravierende Unterschiede, besonders in der Migrationspolitik. So will Mélenchon, der in Marokko geboren wurde, das Asylrecht vereinfachen, den Aufenthalt von ­Migranten ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung legalisieren und den Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft erleichtern. Marine Le Pen möchte hingegen unter anderem die immigrationsbedingten Ausgaben senken und die Geburten­rate bei Franzosen erhöhen, um die Renten dauerhaft zu finanzieren. Wenig wahrscheinlich, dass solche Konzepte großen Anklang bei Linken finden.

Die CGT ließ jedenfalls keinen Zweifel aufkommen, dass es mit Rechts­extremen keine Gemeinsamkeiten gibt. Bereits vor den ersten Demonstrationen Anfang Dezember hatte CGT-Generalsekretär Philippe Martinez klar­gestellt, man wolle nicht »zusammen mit Rassisten« demonstrieren: »Der RN ist nicht willkommen!« Wenig später lehnte Martinez einen gemeinsamen Protest mit dem RN kategorisch ab: »An dem Tag, an dem ich deren Aussagen gutheiße, muss man mich aus der CGT ausschließen!«

 


Methodische Senkung
Die Reformpläne der französischen Regierung sehen eine sogenannte Universalrente vor, eine Verschmelzung der 42 verschie­denen staatlichen Rentenkassen. Ziel ist es, die Rentenhöhe um 20 bis 30 Prozent zu senken, denn der Staat gibt momentan rund 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Renten aus. Anstatt wie bisher die 25 besten Beitragsjahre in der Privatwirtschaft oder die sechs letzten Monate im Öffentlichen Dienst zugrundezulegen, soll zukünftig der gesamte Beschäftigungszeitraum als Berechnungsgrundlage dienen. Diese neue Berechnungs­methode würde eine deutliche Senkung der Altersrente bewirken. Insbesondere diejenigen, die in Teilzeit arbeiten oder nicht durchgängig Lohnarbeit leisten, würden dadurch schlechter­gestellt. Daher trifft die Reform auch Frauen, die im Schnitt ­bereits jetzt 20 Prozent weniger Rente als Männer beziehen, härter. JuHo