Die chinesische Regierung hat Fehler bei der Bekämpfung des Coronavirus eingeräumt

Xi lässt korrigieren

Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping räumt »offensichtliche Mängel« bei der Bekämpfung des Coronavirus ein.

Es war genau einen Monat her, dass die zentralchinesische Stadt Wuhan unter Quarantäne gestellt worden war, um die Verbreitung des neuartigen Corona­virus (Covid-19) einzudämmen, da erklärte die Kommandozentrale für Epidemieprävention der Stadt Wuhan am Montag plötzlich eine schrittweise Lockerung der Quarantänemaßnahmen. Nur wenige Stunden später folgte eine scharfe Korrektur: Die vorangegangene Erklärung sei nicht mit den verantwortlichen Führungskadern abgesprochen gewesen und daher null und nichtig. Es ist ein Vorfall, der für Chinas Krisenmanagement und Informationspolitik seit Beginn der Epidemie bezeichnend ist.

Der neueingesetzte Parteisekretär der Stadt Wuhan, Wang Zhonglin, erklärte, dass für jeden neuen Krankheitsfall, der in Wohngebieten entdeckt werde, lokale Kader zur Verantwortung gezogen würden.

Die Zahl der Neuinfektionen in der Provinz Hubei sank vergangene Woche erstmals seit langem. Während Hubei am Donnerstag voriger Woche 349 Neuinfektionen meldete, hieß es vom Ausgangsort der Viruserkrankung, der Provinzhauptstadt Wuhan, dass allein dort 615 neue Fälle gezählt worden seien. Diese große Diskrepanz in der offiziellen Statistik blieb nicht lange verborgen und die Chinesische Volkszeitung, die Tageszeitung der Kommunistischen Partei Chinas, sah sich gezwungen, kurz darauf eine Erklärung zu veröffentlichen, in der es hieß, die Provinzregierung habe die diagnostischen Kriterien geändert – mal wieder.

Erst Anfang Februar hatte die Nationale Gesundheitskommission die fünfte Ausgabe des Leitfadens zur Diagnose und Behandlung des neuartigen Coronavirus veröffentlicht, in der die Kriterien einer Infektion für die Provinz Hubei gelockert wurden. Fiebrige Patienten, die in der Röntgendiagnostik Anzeichen einer Pneumonie aufwiesen, sollten als »klinisch diagnostiziert« gelten; so sollte der Mangel an Laborkapazitäten ausgeglichen werden. Diese neue Zählweise ließ Mitte Februar die Zahl der Infektionen in Hubei an einem Tag um mehr als 14000 ansteigen. Außerdem kamen auf einen Schlag Hunderte vormals nicht registrierter Fälle in staatlichen Haftanstalten hinzu. Kurz darauf, in der sechsten Ausgabe des offiziellen Leitfadens, wurde die klinische Diagnose wieder gestrichen, was zu einem starken Rückgang der offiziellen Zahl der Neuinfektionen führte.

Zusätzlich zu den Unklarheiten in der Infektionsdefinition und der unregelmäßigen Veröffentlichung neuer Zahlen erschweren politische Erwägungen die Arbeit der Gesundheitsbehörden. So erklärte der neueingesetzte Parteisekretär der Stadt Wuhan, Wang Zhonglin, dass für jeden neuen Krankheitsfall, der in Wohngebieten entdeckt werde, lokale Kader zur Verantwortung gezogen würden. Wang hatte eine dreitägige »konzentrierte Schleppnetzfahndung« ausgerufen, der »kein Haushalt, kein Individuum« entkommen sollte. Es überrascht daher nicht, dass die Zahl der veröffentlichten Neuerkrankungen nach seinem Ultimatum rückläufig ist.

Während in den sozialen Medien vor allem Heldengeschichten über die Strapazen des medizinischen Personals und feelgood stories über gute Samariter verbreitet werden, scheint die Zentralregierung die Situation noch nicht als bewältigt anzusehen. Am Montag wurde bekannt, dass die Parteiführung die traditionell im Frühjahr stattfindenden »zwei Sitzungen« der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes und des Nationalen Volkskongresses bis auf weiteres verschieben wird. Eine Entscheidung, die deutlich macht, als wie ernst die Partei die Lage im Land betrachtet.

In einer nie dagewesenen Videoschaltung hatte sich Staats- und Parteichef Xi Jinping am Sonntag direkt an mehr als 170000 Partei- und Regierungskader in ganz China gewandt. Xi räumte erstmals »offensichtliche Mängel« bei der Reaktion auf das Virus ein, betonte aber vor allem die besondere Herausforderung für Chinas Wirtschaft und soziale Stabilität. Er rief seine Parteikollegen dazu auf, ihre Propagandabemühungen zu verstärken und die Steuerung der öffentlichen Wahrnehmung weiter auszubauen, um sowohl im Internet als auch offline, im In- und Ausland neues Vertrauen zu schaffen.
Xi bedankte sich außerdem bei internationalen Organisationen wie der WHO und seinen »chinesischen Landsleuten« in Hongkong, Macau und Taiwan. Während die WHO voll des Lobes für Chinas »mutige Entscheidungen« während der Krise ist, werden Xis Dankesbekundungen in Hongkong und Taiwan wohl auf taube Ohren stoßen. Weite Teile der Hongkonger Gesellschaft machen die Zentralregierung für den Ausbruch des Virus (84 Fälle bei Redaktionsschluss) in ihrer Stadt verantwortlich. Die der chinesischen Regierung treue Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam hatte sich gegen eine Schließung der Grenzübergänge zum übrigen China gestellt.

Mit bislang lediglich 31 bestätigten Infektionsfällen wirkt Taiwan in der Region fast wie eine Insel der Seligen. Die schnelle und transparente Reaktion der Behörden hat die Ausbreitung des Virus früh eindämmen können. Die Produktion von Schutzmasken wurde verstaatlicht und die Kapazitäten bis Anfang März von derzeit vier auf zehn Millionen Masken pro Tag erhöht. Staatliche Brennereien produzieren auf Anweisung der Behörden den zur Desinfektion benötigten Alkohol und staatliche Forschungsinstitute ­arbeiten an der Entwicklung eines Impfstoffs und der Synthese antiviraler Medikamente.

Die demokratische Inselrepublik ist auf Druck Chinas kein Mitglied der WHO und kann nur über freundlich gesinnte Experten und Regierungen Informationen über die Epidemie erhalten. Nach Ansicht von Lin Thung-Hong, Research Fellow am staatlichen Forschungsinstitut Academia Sinica in Taipeh, ist Taiwans internationale Isolation in diesem Fall allerdings nicht unbedingt von Nachteil. Südkorea, Japan, Hongkong und Singapur, alles Mitglieder der WHO, seien heftig von dem Ausbruch getroffen worden. »Diese Staaten und Regionen sind alle abhängig von den Präventionsanweisungen der WHO.

Die Reaktion der WHO auf die Epidemie war aufgrund von chinesischer Einflussnahme aber verzögert«, sagte Lin der Jungle World. Hinzu komme, dass sich diese Staaten in den vergangenen Jahren in immer größere Abhängigkeit zu China begeben hätten. »Während Taiwan sein Kapital seit 2010 stetig aus China abgezogen hat, haben Singapur und Südkorea ihren Handel und Investitionen in China noch ausgebaut.« Auch Japan habe seine Beziehungen zu China im Zuge des sino-amerikanischen Handelskriegs verbessert, immer mehr chinesische Touristen angezogen und damit das Risiko für die Ausbreitung einer solchen Epidemie erhöht. Im Gegensatz dazu habe Chinas Boykott der taiwanischen Regierung der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), die eine kritische Haltung zur Volksrepublik China pflegt, zu einem Rückgang der Zahl chinesischer Touristen in Taiwan und einem Rückfluss taiwanischer Beschäftigter und taiwanischen Kapitals geführt.

Lin ist der Ansicht, Taiwans schnelle Reaktion auf das Virus sei auch den Erfahrungen mit der SARS-Epidemie im Jahr 2003 geschuldet. Taiwan hatte damals die höchste Mortalitätsrate weltweit. »Während der SARS-Krise hatte Japan nur relativ wenige wirtschaftliche und persönliche Kontakte zu China. Es gab dort damals keinerlei lokale Infek­tionen. In Japan fehlt es an diesen Erfahrungen, wie wir sie 2003 gemacht haben«, so Lin.

Xi bezeichnete in seiner Rede am Sonntag die derzeitige Covid-19-Epidemie als größtes Ereignis seiner Art in der Geschichte der Volksrepublik. Er verschweigt dabei die Encephalitis-Epidemie des Jahres 1967, an der mitten in der sogenannten Kulturrevolution über 160 000 Menschen starben. Auch damals hatte die Parteizentrale früh vom Ausbruch gewusst, aber nicht schnell genug reagiert.

 

 

Covid-19 global

Nicht nur in China und Ostasien breitet sich Covid-19 aus. Auch in zahlreichen anderen Ländern gibt es Infizierte, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind es weltweit fast 80000, davon über 2000 außerhalb Chinas. Am 24. Februar zählte die WHO außerhalb Chinas 23 Tote. In Europa ist derzeit vor allem Italien betroffen. Dort sind bereits mindestens sieben Menschen gestorben, über 220 gelten als infiziert. In zehn Gemeinden in der Provinz Lodi in der Lombardei wurden Sperrzonen eingerichtet. Am Montag meldeten auch Kuwait, Bahrain, Afghanistan, Irak und der Oman erste Infizierte. Dramatisch könnte die Lage insbesondere in Ländern werden, in denen die Gesundheitsversorgung ohnehin unzureichend ist oder in denen autoritäre Regime Informationen zurückhalten. So gibt es aus dem Iran widersprüchliche Angaben. Offiziell sollen dort bis Montag bereits 15 Menschen gestorben sein, 95 Menschen gelten als infiziert. Kritiker gehen von weitaus höheren Zahlen aus. nt