Die Waldbrände nahe der AKW-Ruine Tschernobyl werden für ungefährlich erklärt

Alles unter Kontrolle

Die Waldbrände im Umland der AKW-Ruine Tschernobyl hätten lediglich Rauch, keine Radioaktivität nach Kiew gebracht, versichert Bürgermeister Vitali Klitschko.

Das fehlte gerade noch: Feuer in der radioaktiv verseuchten Umgebung des Atomkraftwerks Tschernobyl. Am 4. April wurden mindestens zwei Waldbrände aus der Sperrzone gemeldet, deren Kerngebiet in einem Radius von 30 Kilometern um das ukrainische AKW liegt und in der gleichwohl einige Tausend Menschen leben. Bauern, die Abfälle verbrannten, Kurzschlüsse oder illegal in das Gebiet eingedrungene Abenteuertouristen könnten die Ursache sein. Hitze, Trockenheit und Winde haben dazu beigetragen, dass die Feuerwehren eine Ausbreitung der Brände nicht verhindern konnten. Mitte April standen nach offiziellen Schätzungen etwa 11 500 Hektar Wald in Flammen, Greenpeace geht vom Vierfachen aus. Darunter befand sich der als Red Forest bezeichnete Pinienwald, der bei der Atomkatastrophe von 1986 in einem einzigartigen Ausmaß kontaminiert wurde. »Es brennt im am stärksten radioaktiv verseuchten Wald der Welt«, meldete Die Zeit.

Augenzeugen berichteten, das Feuer sei bis an den Zaun der Atomanlage gekommen.

In den dreieinhalb Jahrzehnten seit der Explosion des Reaktorblocks 4 von Tschernobyl haben sich die staatlichen Anstrengungen darauf konzentriert, die strahlende Ruine irgendwie zu sichern, da der »Sarkophag«, die hastig in den Monaten nach dem Unglück errichtete Betonversiegelung des Reaktors, unaufhaltsam zerbröselt. Mit internationaler Hilfe wurde eine riesige stählerne Hülle gebaut und zentimeterweise über den zerstörten Reaktor geschoben, bis das »New Safe Confinement« im Juli vorigen Jahres seine endgültige Position erreichte.

Währenddessen blieben die Wälder der Umgebung sich selbst überlassen. So bildete sich eine Wildnis aus Nadelbäumen, toten Stämmen, Bruchholz, Sträuchern und hohem Gras – ein oft beschriebenes Naturspektakel, aber auch eine leichte Beute der Flammen und obendrein schwer zugänglich für die Löschtrupps.

Nachdem die ukrainischen Rettungsdienste schon Erfolgsmeldungen ab­gesetzt hatten, zeigten Satellitenbilder Mitte April weite Gebiete von dichten Rauchwolken bedeckt. Augenzeugen berichteten, das Feuer sei bis an den Zaun der Atomanlage gekommen. »Gras und Büsche brannten, das ganze AKW war von Rauch umhüllt«, so Spiegel Online. Auch ein nahegelegenes Atommülllager geriet in Gefahr.

Die Zahl der eingesetzten Feuerwehrleute wurde verdoppelt, mit schwerem Gerät pflügte die Armee Brandschneisen durch die Wälder. Jüngst schienen die großen Brände gelöscht zu sein. Es besteht aber weiter die Gefahr, dass schwelende Glutnester sie erneut entfachen.

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew, 130 Kilometer südlich, waren die unmittelbaren Auswirkungen des Feuers deutlich zu spüren. Tagelang legte sich dichter Smog über die Metropole mit drei Millionen Einwohnern. Diese wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben und die Fenster geschlossen zu halten. Wie vor 34 Jahren ließ die Stadtverwaltung die Straßen abspritzen. Die Strahlenbelastung liege zwar hundertfach über dem Normalwert, aber unterhalb der Grenzwerte, versicherte der Katastrophenschutz. »In Kiew gibt es nur Rauch, keine Radioaktivität«, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko auf Facebook mit.

Ausländische Institutionen wie die Wiener Atombehörde IAEA oder das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz pflichteten den ukrainischen Offiziellen bei. Nur in unmittelbarer Nähe zu den Bränden sei erhöhte Radioaktivität durch Caesium 137 registriert worden. Dagegen warnten Greenpeace und die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) vor ­einem Fallout, der in geringen Konzentrationen viele Länder Europas erreichen könne. »Niemand weiß, was der Rauch nach Kiew und anderswohin tragen kann«, fasste die Frankfurter Rundschau die Lage zusammen.

Man könnte es aber leicht feststellen. Schließlich ist das »New Safe Confinement« – Kosten circa 1,5 Milliarden Euro – mit modernsten Strahlendetektoren bestückt, und die Kiewer Stadtverwaltung hat ein Netz von Messstationen installiert. Solange verlässliche Messergebnisse und Analysen unter Verschluss gehalten werden, fällt es schwer zu glauben, dass die Rauchwolken, die in der Nordukraine radio­aktive Partikel transportierten, ihre Strahlung auf dem Weg nach Kiew ­verloren haben.

Wissenschaftlich untersucht sind die Waldbrände, die es im Frühjahr und Sommer 2015 in der Tschernobyler Region gegeben hat. Damals waren insgesamt 15 000 Hektar betroffen. Ein 2016 in der Zeitschrift Nature veröffentlichter Bericht schätzt die dadurch freigesetzte Radioaktivität auf etwa ein Promille des Fallouts von 1986. Die maßgeblichen Beiträge kämen von Caesium, Strontium, Plutonium und Americium. Trotz der geringen Quantitäten sei der Vorfall aus radiologischer Sicht als schwerwiegend einzustufen. Die durch den Klimawandel bedingte Dürre und das Fehlen jeder Art von Forstwirtschaft erhöhe das Brandrisiko in der Sperrzone beständig. Immer noch seien etwa zehn Prozent der in der Atomkatastrophe freigesetzten Strahlungsmenge in den Wäldern gespeichert.

Demgegenüber verstieg sich die atomkraftfreundliche Plattform »Nuklearia« vor zwei Jahren zu der Aussage, inzwischen sei »die Strahlung in der Sperrzone von Tschernobyl fast überall geringer als in den Alpen oder in Rom«. Dies war offenbar ein leicht flüchtiges Statement mit sehr geringer Halbwertszeit.