Die Desinformationskampagne der Impfgegner

Wenn die ganze Korona protestiert

Vor der Volksbühne in Berlin wie vor dem Parlament im US-Bundesstaat Michigan wird gegen den Lockdown demonstriert. Querfrontstrategen haben mit der Impfgegnerschaft ein Thema wiederentdeckt, um Anhänger zu mobilisieren.

Gemeinhin wird der erfolgreiche Einsatz eines Impfstoffs gegen das neuartige Coronavirus als Endpunkt der Pandemie herbeigesehnt. Aber eben nur gemeinhin. Verschwörungstheoretiker bereiten sich und ihre Anhänger mit Argwohn auf diesen Zeitpunkt vor. Zu erwarten ist dann heftiger Widerstand gegen die angestrebten Massenimpfungen gegen Covid-19. Die mittlerweile regelmäßig in Berlin stattfindenden und nun auch in anderen Städten abgehaltenen »Coronademonstrationen« können durchaus als Vorspiel für solche Mobilisierungen betrachtet werden.

Bereits jetzt wird auf rechten Blogs vor drohenden Zwangsimpfungen gegen Covid-19 gewarnt, die in Wirklichkeit wahlweise getarnte Sterilisierungsprogramme zum Zweck der finalen Ausrottung aller Deutschen seien beziehungsweise mit deren Hilfe der Bevölkerung Mikrochips implantiert würden, um die Menschen entweder zu kontrollieren oder krank zu machen – an diesem Punkt herrscht noch eine gewisse Uneinigkeit. Das klingt absurd und auch ein bisschen lustig, ist aber nur ein neuer Ausdruck einer Bewegung, die das Impfen aus einer Vielzahl von Gründen ablehnt. Keiner dieser Gründe ist wissenschaftlich haltbar.

Für Verschwörungstheoretiker ist das Thema Impfen in den vergangenen Jahren zum »honey pot« geworden. Wer im Internet nach Informationen über etwaige Nebenwirkungen des Impfens sucht, landet schnell auf Seiten, die angeblich neutral informieren.

Für Verschwörungstheoretiker ist das Thema Impfen in den vergangenen Jahren zum honey pot geworden. Wer im Internet nach Informationen über etwaige Nebenwirkungen des Impfens sucht, landet schnell auf Seiten, die angeblich neutral informieren. Das gehört zum Konzept, den Besuchern wird vorgegaukelt, lediglich kritische Stimmen von Spezialisten wie Wissenschaftlern zu präsentieren. Dass die beeindruckend klingenden akademischen Titel und hochinformativ wirkenden Zusammenfassungen von Studien und Fachartikeln erfunden oder aus dem Zusammenhang gerissen sind, ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen.

Mit geschickten Argumenten wird zudem das gefördert, was mit Wissenschaftsskeptizismus nur unzureichend umschrieben ist, denn es handelt sich in Wirklichkeit um die Weigerung, wissenschaftliche Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie nicht dem eigenen Weltbild entsprechen. Dass diejenigen, die sich vorgeblich der elterlichen Sorgen annehmen, in Wirklichkeit Menschen sind, die ihren Lebensunterhalt mit verschwörungstheoretischen Publikationen, Vorträgen und Veranstaltungen verdienen, wird kaum bemerkt. Denn das, was gern mit »kritischen Alternativmeinungen« umschrieben wird, unterscheidet sich auf den ersten Blick wohltuend von dem als »Apparatemedizin« abgelehnten Standard.

Von diesem Punkt aus ist es nur noch ein sehr kleiner Schritt in die auf Impfkritikerseiten verlinkte weite Welt der übrigen Verschwörungstheorien, in der die Presse grundsätzlich lügt, weil sie von einer Elite gesteuert wird, die im Übrigen auch die Politik und natürlich die Wissenschaft unter Kontrolle hat.

Verschwörungstheorien zum Thema Impfen sind keine Erfindung der Neuzeit. Zu den ersten deutschen Impfgegnern gehörte der Jurist und Doktor der Nationalökonomie und Philosophie Eugen Dühring. Dühring, einer der prominentesten und einflussreichsten Antisemiten des Kaiserreichs, hatte in seiner 1891 erschienenen pseudowissenschaftlichen Kampfschrift »Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage« das Impfen als von jüdischen Ärzten mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung erfundenen Aberglauben bezeichnet.

Den Verdacht, Antisemiten zu sein, würden wohl die meisten der gegen Pandemiemaßnahmen demonstrierenden Rechten wie Linken weit von sich weisen. Es geht ja lediglich gegen die Elite, die sie kontrollieren und ihnen gezielt Angst machen will. Ängste und Zweifel gehören in der schönen neuen Verschwörungswelt nicht mehr zum Leben dazu. Teil der angebotenen einfachen und dankbar aufgesogenen Erklärungen ist im Gegenteil immer, dass eine Welt ohne Krankheiten, Unfälle und finanzielle Sorgen schon längst möglich wäre, wenn nicht finstere Mächte unermüdlich daran arbeiteten, das Paradies zu verhindern.

Diese Mächte müssen also eliminiert werden; der große Showdown ist daher auch das, worauf die Anhänger der Verschwörungstheorie der in den USA verbreiteten Qanon-Bewegung begierig warten und was diese Verschwörungstheorie so attraktiv macht. Alle politischen Gegner und alle, die die eigene Meinung nicht teilen, werden vom Qanon-Kult zu Verbrechern erklärt. Wer die öffentliche Hinrichtung von Hillary Clinton oder Brad Pitt so gar nicht nicht abwarten kann, sich mit der gesamten Familie verkracht und seine Tage nur noch in virtueller Gesellschaft Gleichgesinnter verbringt, glaubt nur zu gern, dass in Fotos hineinretuschierte blaugehauene Augen oder mit Photoshop rot gefärbte Schuhe ein geheimes Zeichen und die verhassten Promis Mitglieder einer mörderischen Elite sind.

Gegen »die da oben« richten sich auch die so genannten Reopen-Proteste in den USA. Die Demonstrationen gegen den Lockdown in Michigan und anderen US-Bundesstaaten sind wie ihr deutsches Pendant, die Hygiene-Demos vor der Volksbühne in Berlin, nicht spontane Proteste, wie der Journalist und Autor Brian Krebs gezeigt hat. Ihnen liegt vielmehr dasselbe Konzept zugrunde, das im Jahr 2009 zur Gründung der Tea Party führte. Gezielt wurde der Eindruck erweckt, es handele sich bei den Demonstrationen um beginnende Massenproteste, um vor allem die Gouverneure der so genannten Blue States, also der Bundesstaaten, in denen Demokraten regieren, unter Druck zu setzen. Dass dabei äußerst unlogisch vorgegangen wurde, störte zunächst niemanden, am allerwenigsten US-Präsident Donald Trump, der per Twitter Websites vorstellte und Demotermine verbreitete – obwohl die Einschränkungen, gegen die protestiert wurde, exakt den Empfehlungen des Weißen Hauses entsprachen.

Die eigens erstellten Websites haben Verbindungen zu organisierten Waffenbefürwortern und wurden auf Alt-Right-Seiten beworben. Kein Zufall, wie sich zeigt: Mit einem speziellen Programm hat der Investigativjournalist Brian Krebs 150 Websites analysiert, die teilweise innerhalb weniger Sekunden am gleichen Tag registriert worden waren. Aufgrund des verwendeten Google-Analytics-Codes konnten einige den rechtsextremen Brüdern Dorr, beide Waffennarren, zugeordnet werden. Andere haben Verbindungen zu der rechtskonservativen Gruppierung Freedom Works.

Die Organisatoren der Proteste setzen zudem erfolgreich auf eine gewisse Recherchefaulheit der Mainstream-Medien: »Durch die Berichterstattung der Medien kann ein Protest an Bedeutung gewinnen oder verlieren«, erläutert Marc Ambinder von der University of Southern California und analysiert in seinem bei Raw Story erschienen Beitrag eine Überschrift von ABC News. Darin hieß es, die Reopen-Proteste hätten sich schnell »verbreitet«, womit der Eindruck erweckt werde, die Zahl der Kundgebungen sei schnell und spontan gewachsen. In Wirklichkeit zeigten die Demonstrationen an mehreren Orten nicht, dass mit der Situation überforderte und zutiefst frustrierte Menschen von selber auf die Idee kamen, aktiv zu werden, sondern nur, wie gut die Organisatoren die Techniken der Mobilisierung beherrschten. Herauszufinden und zu berichten, wer die angeblich spontanen Proteste initiiere, sei deswegen eine wichtige Aufgabe der Medien, so Ambinder.

Nur zwölf Prozent der US-Amerikaner empfinden die Erlasse in der Pandemie als zu strikt, während sie 26 Prozent sogar nicht weit genug gehen. Durch die anfängliche Berichterstattung über Reopen-Proteste sei, so Ambinder, dagegen der Eindruck erweckt worden, es handele sich bei den Demonstranten um eine gesellschaftlich bedeutende Gruppe. Dies wiederum könne die Politik in eine Richtung beeinflussen, die nur von wenigen tatsächlich gewünscht sei.