Ein Gespräch mit dem Arbeitsrechtler Peter Wedde

»Druckerkartuschen zu suchen, ist auch Arbeit«

Für die Überwachung am Arbeitsplatz gibt es in Deutschland gesetzliche Grenzen. Doch ohne Betriebsrat ist es für die Beschäftigten schwer, sich der digitalen Kontrolle zu entziehen
Interview Von

Wie hat sich Ihre Arbeitsweise seit Beginn der Kontaktbeschränkungen verändert?

Ganz am Anfang hatte ich erst mal viel Zeit, weil plötzlich 95 Prozent meiner Aktivitäten weggefallen sind. Mittlerweile hat sich das gewendet. Mein ­Alltag besteht jetzt vor allem aus Video- und Telefonkonferenzen. Das ist deutlich anstrengender als normale Präsenzveranstaltungen. Ein gutes Online-­Seminar vorzubereiten, ist viel aufwendiger, als eine gute Vorlesung zu halten. Und dann passiert es auch regel­­mäßig, dass die Übertragungskapazitäten bei Konferenzen nicht ausreichen, das schränkt die alltägliche Arbeit natürlich auch ein.

So wie Sie arbeiten gerade viele ­Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Hause. Wie verändert sich die Art der Kontrolle von Angestellten im Homeoffice?

Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Es gibt viele Arbeitgeber, die sagen, dass sie gute Erfahrungen mit hochmotivierten Mitarbeitern im Homeoffice machen. Trotzdem geht der Trend allgemein zur Überwachung. Das ist eine Kehrtwende im Arbeitgeber­lager. Im Mai 2018 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass ­Arbeitgeber verpflichtet sind, Arbeitszeiten präzise zu erfassen, und dafür technische Möglichkeiten nutzen können. Damals hat das noch zu einem Aufschrei bei Arbeitgebern geführt, die meinten, wir hätten doch eine Vertrauenskultur, es sei nicht notwendig, dass man Mitarbeiter überwache, auch im Homeoffice nicht. Jetzt haben wir die Coronakrise und plötzlich wird so getan, als arbeiteten die Leute nicht und müssten deshalb kontrolliert werden.

»In Unternehmen ohne Betriebsrat ist es für einzelne Beschäftigte schwierig, sich Überwachungs­versuchen zu entziehen.«

Wie denn zum Beispiel?

Es gibt Big-Data-Anwendungen, die entdecken, dass Leute sich auffällig verhalten oder eine untypische Arbeitsweise haben. Wenn ein Angestellter ­bestimmte Websites aufruft, mal zu spät zur Arbeit kommt und vorher vielleicht noch schlechte Bewertungen im Personalgespräch hatte, dann stuft ihn die Software automatisch als verdächtig ein. In unserem Rechtsstaat gilt ja eigentlich die Unschuldsvermutung. Aber wenn man das will, findet man wahrscheinlich bei jedem Arbeitnehmer irgendeine Kleinigkeit. Die Software ist einfach einzusetzen, und das wird natürlich immer wieder ­versucht. Nach meiner Einschätzung geschieht das aber seltener in Groß­unternehmen, weil es dort kollektive Beteiligungsstrukturen und Betriebs­räte gibt. In Unternehmen ohne Betriebsrat ist es für einzelne Beschäftigte schwierig, sich Überwachungsversuchen zu entziehen.

Es gibt auch Software, die überwachen kann, welche Websites Mit­arbeiter zu Hause aufrufen, und die regelmäßig Screenshots aufnimmt. Sind solche Methoden rechtlich zulässig?

Das Bundesarbeitsgericht hat da klare Grenzen gesetzt. Der Arbeitgeber darf nur das kontrollieren, was er unbedingt braucht, und er muss dabei das mildeste Mittel wählen. Kontrollprogramme darf er nur dann einsetzen, wenn er einen konkreten, durch Tatsachen ­begründeten Verdacht hat. Deshalb ist beispielsweise das Anfertigen von Screenshots im Regelfall nicht zulässig.

Was wäre ein begründeter Verdacht?

Es gibt einen Fall, da hatte jemand auf seinem dienstlichen Notebook eigene Software installiert, was in vielen Firmen aus Sicherheitsgründen verboten ist. Das hat im Sicherheitssystem der Firma einen Alarm ausgelöst. Es wurde dann festgestellt, dass über die Software Daten mit anderen Systemen ausgetauscht wurden, und es gab deutliche Hinweise auf Wirtschaftsspionage. In so einem durch Tatsachen dokumentierten Fall kann der Arbeitgeber so weit gehen, dass er den Computer des Betroffenen einzieht und auswertet. Aber einfach zu vermuten, jemand arbeite nicht richtig, reicht nicht aus, um digitale Kontrollen einzusetzen.

Seit 2018 gilt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die Datenschutzbehörden ermächtigt, Bußgelder wegen unzulässiger Über­wachung verhängen. Wird diese Befugnis genutzt?

Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen traurig darüber, dass die Datenschutz­behörden die Möglichkeiten, die sie ­haben, nicht nutzen. Es wird ab und zu mal ein Bußgeld von 20 000 oder 50 000 Euro verhängt, aber von vier Prozent des Konzernjahresumsatzes, wie es die DSGVO ermöglicht, ist das weit entfernt. Gleichzeitig habe ich auch ein wenig Verständnis für die Behörden. Wenn ein Bußgeld gegen ­einen großen Konzern verhängt wird, dann beauftragt der ein großes Anwaltsbüro. Da stehen dann 20 bis 30 Juristen einer Aufsichtsbehörde gegenüber, die insgesamt nur 40 Mitarbeiter hat. Nach Inkrafttreten der DSGVO wurden in keinem Bundesland die Aufsichtsbehörden personell ordentlich ausgestattet. Es fehlt teilweise auch die politische Unterstützung. Was meinen Sie, was ein Landesdatenschutzbeauftragter aushalten muss, wenn der mal wirklich eine hohe Geldbuße verhängt und die Firma zieht dann 1 000 Arbeitsplätze aus dem Bundesland ab? Wenn Konzerne merken, dass das so funktioniert, sind sie natürlich wenig geneigt, sich bezogen auf die Überwachung von Mitarbeitern an Recht und Gesetz zu halten.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant ein neues Gesetz, das ein Recht auf Homeoffice einführen soll. Wie finden Sie das?

Das klingt sensationell. Aber es betrifft nur jenen kleinen Teil der Beschäftigten, die überhaupt einen Büroarbeitsplatz haben. Und wie viele Leute haben denn zu Hause wirklich vernünftige Möglichkeiten für Homeoffice? Wenn man schlecht bezahlt wird und mit Partnerin oder Partner und drei Kindern in einer Dreizimmerwohnung lebt, dann bringt das Recht auf Homeoffice wenig.

Hätte so ein Gesetz auch Auswirkungen auf das Ausmaß der Überwachung?

Ich denke schon. Wenn ein skeptischer Arbeitgeber weiß, er hat die Pflicht, Homeoffice anzubieten, dann wird bei ihm auch die Intention aufkommen, die Beschäftigten bei dieser Arbeit zu kontrollieren. Davor müsste ein Homeoffice-Gesetz die Leute wirksam schützen. Gleichzeitig müsste es aber auch sicherstellen, dass die Arbeitszeit vernünftig dokumentiert wird, dass Entgrenzungseffekte und Überarbeitung ausgeschlossen werden. Man weiß schon länger, dass Menschen im Home­office etwa 30 Prozent produktiver sind. Im Büro hat man ja manchmal so Tage, an denen man das Gefühl hat, man hat nichts geschafft. Wenn das zu Hause passiert, hat man vielleicht eher ein schlechtes Gewissen und arbeitet das am Abend noch nach.

Sie haben das Urteil des EuGH an­gesprochen, das Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Angestellten zu dokumentieren. Kon­trolle hat also auch Vorteile?

Es gibt geeignete Software, die nicht jede Sekunde der Arbeitszeit dokumentiert, sondern die zum Beispiel anhand statistischer Verfahren hochrechnet, wie lange das Lesen und Beantworten einer E-Mail in der Regel dauert. Das sind vielleicht zehn Minuten. Wenn dann jemand zehn E-Mails beantwortet, sind das schon mal eineinhalb Stunden. So kann relativ präzise festgestellt werden, wie lange jemand ge­arbeitet hat, ohne dass dazu jeder Tastendruck minutiös kontrolliert wird. Hinzu könnte eine Alarmfunktion kommen, die anzeigt, dass Beschäftigte regelmäßig mehr arbeiten als vertraglich vereinbart. Das wäre ein technisches Verfahren zur Leistungskontrolle, das gleichzeitig auch die Persönlichkeitsrechte schützt. Im Büro sind Sie vielleicht die Hälfte der Zeit produktiv, die andere Hälfte suchen Sie Druckerkartuschen oder reinigen die Kaffeemaschine, weil der Kollege das nicht gemacht hat; das ist auch Arbeit. Das muss man auch im Homeoffice zu­gestehen.

Wird die Pandemie die Arbeitswelt langfristig verändern?

Zum Positiven wie zum Negativen. Es wird Firmen geben, die ihre guten Erfahrungen mit Mitarbeitern im Homeoffice mitnehmen und deshalb auch für Angestellte günstige Kompromisse eingehen. Das Negative ist, dass tatsächlich das Maß an Kontrolle steigt. Sollte die Arbeitslosigkeit wachsen, ­lassen sich solche Kontrollen möglicherweise auf der Grundlage indivi­dueller Einwilligungen von Beschäftigten auch einfacher durchsetzen. Aber ich bleibe optimistisch. Ich glaube, die positiven Erfahrungen werden überwiegen.

 

Peter Wedde ist Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft an der Frankfurt University for Applied Sciences. Er berät Betriebsräte und Beschäftigte in datenschutzrechtlichen Fragen. Mit der »Jungle World« sprach er über Arbeit im Homeoffice, Datenschutz und Überwachung am Arbeitsplatz.