Der Unterschied zwischen stürzens- und schützenswerten Denkmälern

No More Heroes

Wer Statuen stürzen möchte, sollte unterscheiden zwischen den Personen, die wegen, und jenen, die trotz ihrer reaktionären Ansichten und Taten geehrt werden
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In vielen Ländern der westlichen Welt werden Statuen gestürzt. Einen Kontrapunkt setzten kürzlich die Stalinisten der auch ansonsten ein wenig museal wirkenden MLPD in Gelsenkirchen: Sie stellten eine Statue auf. Silbrig-grau schimmert nun ein mehr als zwei Meter hoher Lenin in der Sonne. Vor den Ikonoklasten der Stadtverwaltung, die einen Baustopp angeordnet hatte, aber vor Gericht unterlag und nun unter dem unerbittlichen Hashtag #keinplatzfuerlenin gegen das Denkmal agitiert, schützt ihn das kapitalistische Eigentumsrecht – er steht auf Privatgelände. Das besitzt eine gewisse Komik, ebenso wie die Einlassung des ehemaligen MLPD-Vorsitzenden Stefan Engel, seiner Partei sei Personenkult fremd und überhaupt, es hänge doch in jeder Kirche ein Bild von Jesus.

Dass es eine öffentliche Auseinandersetzung über das Denkmal gibt, könnte man als vorbildlich betrachten, wenn das Niveau nicht auf beiden Seiten so unterirdisch wäre. Engel scheint es nicht aufzufallen, dass er den Lenin-Kult seiner Partei in den Kontext ­religiöser Anbetung gestellt hat. Damit hat er recht, die noch in vorbürgerlicher Tradition stehende Heroisierung »großer Männer« ist konterrevolutionär und antikommunistisch. In der städtischen Bezirksvertretung West in Gelsenkirchen fiel CDU, SPD und Grünen aber auch nicht mehr ein als die moralisierende Klage, Lenin stehe für »Gewalt, Unterdrückung, Terror und schreckliches menschliches Leid«.

Eben dies ist mit leichten Variationen die Begründung für den Sturz oder die Beschädigung zahlreicher Statuen in Westeuropa und den USA. Es ist offenkundig, dass die Debatte darüber, ob Blutvergießen als bedauerlicher Preis für eine gute Sache anzusehen ist oder ein unverzeihliches Verbrechen war, ideologischen Präferenzen folgt. So gilt die Gründung des preußisch dominierten deutschen Kaiserreichs erstaunlich vielen Menschen noch immer als eine so gute Sache, dass man Bismarcks »Blut und Eisen«-Strategie zur klugen Realpolitik verklärt und die Eingeweide, die in den drei Reichseinigungskriegen aus den von Bajonetten aufgeschlitzten Bäuchen vieler Soldaten quollen, dezent unerwähnt lässt. Lenin hingegen bleibt es verwehrt, als Pionier des nation building anerkannt zu werden, obwohl er maßgeblich zur Schaffung gleich mehrerer Nationen beitrug, inklusive deren Elektrifizierung, Alphabetisierung und Industrialisierung sowie der Erarbeitung neuer Schriftsprachen. Aber der Mann war ja Kommunist, und so blieb der Aufschrei der Empörung in der westlichen Welt aus, als seine Statuen nach 1990 gestürzt wurden.

Von Nationalisten kann man nicht anderes erwarten als das Beharren auf den für ihre Identitätspolitik unentbehrlichen Mythen. Von der antirassistischen Bürgerrechtsbewegung wäre hingegen zumindest zu hoffen, dass sie sich über das Niveau der Bezirks­vertretung West Gelsenkirchens erhebt. Mehrheitsverhältnisse lassen sich derzeit kaum beurteilen, doch gibt es einen Trend zu rückwirkenden moralistischen Säuberung, die die historische Bedeutung der Attackierten ignoriert. Es wäre jedoch zu unterschieden zwischen jenen, die für ihren Kampf gegen elementare Menschenrechte geehrt werden (Südstaaten-Generäle etwa) beziehungs­weise für ihr Amt, bei dessen Ausübung sie vornehmlich durch schwerste Menschenrechtsverbrechen auffielen (wie US-Präsident Andrew Jackson und der belgische König Leopold II.), und Personen, die ungeachtet reaktionärer Ansichten und Taten immense Be­deutung für den gesellschaftlichen Fortschritt (George Washington) oder den Erhalt der Zivilisation (Winston Churchill) hatten.

Dass Washington auch Sklavenhalter und Churchill auch Kolonialpolitiker war, sollte nicht Gegenstand abgrenzender und selbsterhöhender Identitätspolitik, sondern geschichtswissenschaftlicher Analyse sein. Zu dieser gehört die Auseinandersetzung mit der auch über die MLPD hinaus in der Linken noch gängigen Heroisierung »großer Männer« des eigenen Clubs. Hier wäre in Anlehnung an Brecht etwa zu fragen: Che Guevara kämpfte im bolivianischen Dschungel. Wer ernährte seine Kinder? Lenin führte die Oktober­revolution. Wer wusch seine Unterhosen?