09.07.2020
Die mexikanische Arbeitsrechtsanwältin Susana Prieto ist wieder auf freiem Fuß

Freiheit zum 1. Juli

Die Covid-19-Toten im Norden Mexikos haben vieles gemein. Die meisten waren mittleren Alters, leisteten für Hungerlöhne Schichtarbeit in Montagebetrieben und litten unter Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht und Bluthochdruck. Vor Sars-CoV-2 konnten sie sich nicht schützen, denn Weltmarktunternehmen wie Lear und DB Schenker schlossen ihre Werke zu spät oder gar nicht. Bei der Fließbandarbeit zu Hunderten unter derselben Klimaanlage, ohne Mundschutz und die Möglichkeit zum Händewaschen, waren Ansteckungen programmiert. Da Fabrikarbeiter zudem nur Zugang zu einer sehr schlechten Gesundheitsversorgung haben, kam es in den nordmexikanischen Industriemetropolen zu Hunderten von Toten. In Ciudad Juárez schwankt die Sterblichkeitsrate der Infizierten zwischen 20 und 25 Prozent.

Die einzige Arbeitsrechtsanwältin, die dieses Szenario beobachtete, akribisch dokumentierte und Sammelklagen vorbereitete, wurde Anfang Juni festgenommen. Susana Prieto kam mit fadenscheiniger Begründung in Untersuchungshaft, gerade als die mexikanische Wirtschaft gleichzeitig mit der US-amerikanischen die Produktion wieder hochfuhr, obwohl sich das Verbreitungstempo der Infektionen weiter beschleunigte. Verhaftet wurde Prieto in Matamoros im Bundesstaat Tamaulipas. Dort hatte sie Anfang 2019 der Industriearbeiterschaft dazu verholfen, ein Regierungsdekret über eine Erhöhung des Mindestlohns um 20 Prozent und die Auszahlung von Vergütungen in Höhe von umgerechnet rund 1 600 Euro pro Person durchzusetzen. Aus dem Konflikt entstand die »Unabhängige nationale Gewerkschaft für Industrie- und Servicearbeiter«.

Trotz landesweiter und internationaler Proteste gelang es nicht, für Prieto die Freiheit zu erstreiten. Eine Entscheidung brachte erst das Handelsabkommen USMCA, das am 1. Juli in Kraft trat und das Abkommen Nafta ablöste, das 1994 die USA, Kanada und Mexiko geschlossen hatten. An diesem Tag traten US-amerikanische Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei an US-Außenminister Mike Pompeo heran: Dass eine renommierte Arbeitsrechtsanwältin wie Susana Prieto in Haft sitze, sei zu diesem Zeitpunkt ein falsches Signal des Vertragspartners Mexiko. Prieto wurde noch am selben Tag freigelassen. Das USMCA umfasst neue Regelungen für die Montagewerke der Autoindustrie an der Grenze zu den USA. Die US-Demokraten haben aus der Opposition heraus höhere Standards bei Arbeitsrechten und Umweltschutz als im Nafta-Vertrag durchsetzen können, den der demokratische US-Präsident Clinton 1994 unterzeichnet und den der derzeitige US-Präsident Trump scharf kritisiert hatte.