Das baden-württembergische Polizeigesetz soll erneut verschärft werden

Bedarfsorientiertes Einschränken von Grundrechten

In Baden-Württemberg soll das Polizeigesetz zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren verschärft werden.

Als ab 2017 in vielen Bundesländern die Polizeigesetze erheblich verschärft wurden, regte sich in Stuttgart, anders als zum Beispiel in München, Düsseldorf oder Hannover, zunächst niemand groß darüber auf. Warum auch? Schließlich stellen seit 2011 die Grünen als stärkste Partei mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten. Und die verstehen sich schließlich seit ihrer Gründung vor vier Jahrzehnten als Deutschlands oberste Bürgerrechtspartei.

Das vor drei Jahren verabschiedete Gesetz – von bürgerlichen Medien ­zumeist verharmlosend als »Antiterrorpaket« bezeichnet, viel treffender wäre »Polizeistaatsgesetz« – ermächtigt die Polizei zur Installierung von sogenannten Staatstrojanern auf Laptops, PCs und Smartphones, erlaubt ihr den Einsatz von Handgranaten, Granatwerfern und Sprengstoff, ermöglicht ­»intelligente Videoüberwachung« sowie Aufenthalts- und Kontaktverbote für sogenannter Gefährder.

Nur zögerlich regte sich Widerstand, viele Monate verstrichen, ehe auch in Freiburg im Breisgau, Stuttgart und Tübingen Hunderte auf die Straße gingen, um gegen die neuen Gesetze zu demonstrieren. Vieles spricht dafür, dass das Innenminister Thomas Strobl, den Landesvorsitzenden des kleineren Koalitionspartners CDU, einen notorischen law and order-Politiker, dazu veranlasste, gleich noch eine weitere Verschärfung anzustreben: Bodycams sollen nicht mehr nur im Freien, sondern auch in geschlossenen Räumen benutzt werden dürfen; bei Großveranstaltungen, wie politischen Versammlungen oder Fußballspielen, soll zukünftig eine anlass­lose Durchsuchung der Teilnehmenden möglich sein; die Ausweitung der »Schleierfahndung« und eine präventive DNA-Untersuchung ohne Richter­vorbehalt stehen ebenfalls auf Strobls Wunschliste.

Damit würde in Sachen Grundrechtsabbau selbst das extrem weitgehende bayerische Polizeiaufgabengesetz überboten. Der Anwaltsverein Baden-Württemberg kritisierte im April in einer Stellungnahme an die Landesregierung unter anderem »eine Häufung unklarer Begriffe im Gesetz und eine auffällige Vernachlässigung des Rechtsschutzes Betroffener«. Die Schwelle für gravierende Grundrechtseingriffe werde unverhältnismäßig gesenkt und für Bürger unkalkulierbar. Auch gegen die »Regelungen zu Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverboten sowie die Einführung der Begriffe einer drohenden Gefahr und einer drohenden terroristischen Gefahr bestehen durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken«, so das Fazit der Analyse.

Gegen die 2017 verabschiedete Einführung des »Staatstrojaners« hat ­unter anderem die Berliner »Gesellschaft für Freiheitsrechte« (GFF) Ver­fassungsbeschwerde eingelegt. An der geplanten weiteren Verschärfung ­kritisierte die Verfahrenskoordinatorin der GFF, Lea Beckmann, im Gespräch mit der Jungle World ebenfalls die »extrem schwammigen Begriffe«. Es sei sehr gefährlich, es allein dem Ermessen der Polizei zu überlassen, Personen ohne Anlass zu kontrollieren und zu durchsuchen. »Bei anlasslosen Maßnahmen wirken sich Vorannahmen stark aus, rassistische Diskriminierung ist da quasi programmiert«, so die GFF-Juristin. Hinzu komme, dass der Gesetzentwurf völlig unklar lasse, auf welchen Veranstaltungen Menschen mit solchen anlasslosen Kontrollen rechnen müssen. Dagegen nun unmittelbar Verfassungsbeschwerde einzulegen, sei rechtlich jedoch nicht möglich, erläutert Beckmann. Anders als bei den Änderungen von 2017 müssten Betroffene sich wegen einer konkreten Verletzung ihrer Rechte durch die Instanzen klagen.

Großen Anteil daran, dass die weitere Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten noch nicht beschlossen ist, hat das Bündnis »Kein (neues) Polizeigesetz in Baden-Württemberg« (NoPol­GBW). Die grün-schwarze Landesregierung hatte eigentlich geplant, das neue Gesetz möglichst schnell im Schatten der Coronakrise zu verabschieden. Doch durch Demonstrationen, Menschenketten und andere Aktion vor allem in Freiburg, Tübingen und Stuttgart gelang es NoPolGBW, das Thema den Umständen zum Trotz in der Öffentlichkeit präsent zu halten.

»Unsere Polizei wird immer stärker und stärker.« Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU)

Im Gespräch mit der Jungle World attestierte die Rechtsanwältin Angela Furmaniak der Landesregierung »bewusste Intransparenz«. Furmaniak, die auch als Rednerin bei Demonstrationen gegen die Verschärfung auftritt, erinnerte an die Worte von Ministerpräsident Kretschmann anlässlich der Verschärfung 2017: »Wir gehen bis an die Grenze des verfassungsmäßig Machbaren.«

Anlässlich der Landtagsdebatte zur sogenannten Stuttgarter Krawallnacht im Juni (Jungle World 29/2020), als feiernde Jugendliche in der Innenstadt mit der Polizei aneinandergerieten, warb Siegfried Lorek, der polizeipolitische Sprecher der CDU-Fraktion, um Verständnis: »Ein Polizist verfolgt einen Plünderer und betritt durch eine eingeschlagene Schaufensterscheibe einen Laden. Dann hätte der Polizist an der Schaufensterscheibe die Bodycam ausschalten müssen. Das ist völlig absurd«, so Strobls eifrigster Unterstützer in Sachen Abbau bürgerlicher Freiheitsrechte. Dieses Beispiel fand der Abgeordnete Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) so einleuchtend, dass er es in der ersten Lesung des neuen Gesetzentwurfs im Stuttgarter Landtag am vergangenen Donnerstag ebenfalls erwähnte: »Es gibt überragende Gründe für den Einsatz der Bodycams in Wohnungen und wir machen hier etwas Bedarfsorientiertes«, sagte Sckerl. Man habe viel mit der Polizei gesprochen, das neue Gesetz sei »ausgewogen, rechtsstaatlich und überzieht nicht«.

Als »Polizeistärkungsgesetz« bezeichnete es Innenminister Strobl und frohlockte bereits: »Unsere Polizei wird immer stärker und stärker.« Ausdrücklich begrüßte es auch die AfD. »Sie versuchen zu beißen«, so der Abgeordnete Daniel Rottmann. Er fügt aber hinzu: »Wir hoffen, dass noch nachgebessert wird.« Explizit gegen die weitere Verschärfung ist nur die Fraktion der FDP (die Linkspartei ist nicht im Landtag vertreten). »Wir halten nichts von dem Bodycam-Einsatz in Wohnungen«, so der FDP-Abgeordnete und ehe­malige Justizminister Ulrich Goll. Sascha Binder (SPD) sagte, er hoffe, dass das Gesetz noch etwas konkreter gefasst werde und dass eine Anhörung noch mehr Klarheit bringe. Diese Anhörung, in der Sachverständige ihre Meinung äußern können, soll nach der parlamentarischen Sommerpause Mitte September stattfinden. Ende des Monats soll das Gesetz verabschiedet werden.