Der Nationalsozialismus spielte für die Verteilung der Vermögen in Deutschland eine wichtige Rolle

Geplünderte Reichtümer

Ein erheblicher Teil der deutschen Vermögen rührt aus der nationalsozialistischen Klientelwirtschaft und der Enteignung der Juden her. Aber auch gewöhnliche Bürger haben von der »Arisierung« profitiert.

Dabei muss dringend über Reichtum und Armut gesprochen werden. Bereits 2019 hatte der Internationale Währungsfond (IWF) vor einer bevorstehenden Rezession gewarnt, deren Auswirkungen ähnlich verheerend wie die der 2007 einsetzenden Finanzkrise sein. Nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie Ende März nannte der IWF den drohenden Konjunkturabschwung unausweichlich und kündigte Mitte April die schlimmste Krise seit der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren an. Ende Juni änderte die EU-Kommission ihre ohnehin düstere Prognose für die Europäische Union, in der sie nunmehr eine Rezession von 8,3 Prozent für das Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr erwartet.

Kaum etwas ist ermüdender und unangenehmer als Diskussionen über das Haben und Nichthaben, wenn man nicht zufällig darauf steht, Plattitüden über die generelle Nutzlosigkeit von Armen oder ihre grundsätzliche moralische Minderwertigkeit anzuhören. Oder im umgekehrten Fall ähnlich plakative und kaum durchdachte Sprüche über die grundsätzliche Verabscheuungswürdigkeit von Reichen, oder, ­natürlich, die generelle Superiorität der Armen. Was sich wahlweise in »Alle enteignen« oder »Geht doch arbeiten« äußert.


Während US-Präsident Donald Trump seine Wiederwahlchancen im November damit zu verbessern sucht, dass er unbeirrt erklärt, die Wirtschaft werde einen raschen Wiederaufstieg erleben, ist der von ihm erhoffte v-förmige Krisenverlauf fast ausgeschlossen. Die möglichen anderen Verlaufsformen werden ebenfalls mit Buchstaben gekennzeichnet, die relativ selbsterklärend sind: Das W bezeichnet eine mögliche Situation, in der auf eine schnelle Erholung der Wirtschaft eine »zweite Welle« von Infektionen mit wiederum dicht aufeinanderfolgender wirtschaftlicher Einbruchs-. und Aufschwungsphase folgt. Das U kennzeichnet einen Verlauf mit relativ lange auf sich warten lassender Erholung, das L steht für eine anhaltende Stagnation.

Welcher Buchstabe am ehesten die ökonomischen Folgen der Pandemie kennzeichnen wird, weiß niemand. Darüber, wie viele Arbeitsplätze möglicherweise unwiederbringlich verloren sein werden, kann man momentan nur spekulieren. Immerhin, eines ist verlässlich: Wirklich zündende Konzepte für eine durchsetzbare gerechtere Verteilung des Reichtums und mehr Teilhabe für alle hat die wie auch immer geartete Linke derzeit nicht. Das könnte sich verheerend auswirken, denn antisemitische Verschwörungstheoretiker stehen bereit, die Krise zu nutzen.

Man sollte nicht vergessen, dass während der großen Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre Menschen an die Macht kamen, die ganz ähnlich dachten wie viele, die heute sogenannte »Hygiene-Demos« besuchen. Auch diese hatten konkrete Vorstellungen von Enteignungen, womit sie allerdings nicht die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln meinten. Auch wurde die deutsche Gesellschaft nicht egalitärer – ganz im Gegenteil. Die Klassenstruktur der Besitzverteilung wurde in Deutschland weit weniger angetastet als in anderen kapitalistischen Industriestaaten jener Zeit. Enteignet wurde dennoch nicht zu knapp: Im Rahmen der sogenannten Arisierungen bereicherten sich alle Schichten am Besitz von Juden. Selbst zurückgelassene Unterwäsche wurde lokalen Berichten ­zufolge von gierigen Ariern eingesackt; wie hoch der monetäre Wert dieser Aneignungen durch den Nazistaat und seine Nazibürger insgesamt war, kann nicht einmal annähernd festgestellt werden. Die Beute der »Arisierung« dürfte allerdings in nicht wenigen Fällen zu Wohlstand geführt haben, von dem die Nachkommen noch profitieren. Manchen Berechnungen zufolge befinden sich in jedem dritten deutschen Haushalt noch Gegenstände wie Möbel, Schmuck oder Gemälde, die ursprünglich Juden gehörten.

Womit wir zur Frage kommen, woher der Reichtum in Deutschland kommt. Natürlich stammt nicht jedes heutige deutsche Vermögen aus der Nazizeit. Aber wirklich selten sind Geschichten wie die eines Bauunternehmers, der damals eine ganze Kleinstadt errichten half, nun auch nicht. Sein Name soll am dieser Stelle unerwähnt bleiben, weil es so viele wie ihn gab. Wer möchte, kann ihn ganz einfach bei Wikipedia finden, wo sich einige aparte und gleichzeitig typische Beschreibungen seiner Geschäftsaktivitäten bis zum Ende des Weltkriegs finden. Die Geschichte beginnt in Aachen, wo ein gelernter Baumeister aus der Nähe von Leipzig im Jahr 1918 alleiniger Besitzer einer Baufirma wurde. Während es Baubooms in den zwanziger Jahren spezi­alisierte sich der Unternehmer auf die Errichtung von Siedlungen, was sich nur wenig später als lukrative Entscheidung erweisen sollte. 1934 erfolgte der Eintritt in die NSDAP, bei Wikipedia wird als Grund dafür »um in den politisch schwierigen Folgejahren wirtschaftlich überleben zu können« genannt. Ähnlich lapidar wird auch die »Arisierung« einer Tuchfabrik beschrieben, die einem Aachener Juden gehörte: »Zur Sicherheit«, heißt es bei Wikipedia dazu, habe der Bauunternehmer »darüber hinaus seiner Familie ein weiteres wirtschaftliches Standbein« verschafft.

Der weit unter Wert veräußerte Betrieb des rechtzeitig, wenn auch fast mittellos in die USA emigrierten Besitzers wurde nach dem Krieg von der jüngsten Tochter des Bauunternehmers übernommen und weitergeführt, zurückgegeben wurde er nicht. Das Bauunternehmen prosperierte während des Nationalsozialismus, es gehörte der Organisation Todt an, die unter anderem für die Errichtung des Wilhelmshavener Stadtteils Fedderwardergroden als Siedlung für Marinesoldaten und Werftarbeiter zuständig war. Das heutige Bauunternehmen zahlte wegen der Beschäftigung von Zwangsarbeitern einen Betrag in unbekannter Höhe an die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. Der Bauunternehmer starb 1954, und hinterließ, so Wikipedia, »seinen Erben ein gesundes und gut aufgestelltes Unternehmen«.