Die Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD ist eine Kapitulation der Parteivorsitzenden

Zeit fürs Parteisoldatentum

Mit Olaf Scholz hat die SPD einen grauen Verwalter des Bestehenden zum Kanzlerkandidaten gekürt. Die Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken haben kapituliert.
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Die Mitglieder der SPD sind nicht zu beneiden. Da hatten sie im vergangenen Herbst in einem kühnen, für sozialdemokratische Verhältnisse geradezu revolutionären Anflug von Antiautoritarismus Olaf Scholz als Parteivorsitzenden verhindert – und kein Jahr später wird er ihnen als Kanzlerkandidat präsentiert. Der Fauxpas der Basis ist korrigiert worden, ausgerechnet von den Vorsitzenden, die als Alternative zu Scholz gewählt worden waren. Jetzt ist wieder Parteisoldatentum angesagt: Mit Ausnahme ganz weniger Aussätziger werden die Genossinnen und Genossen über ein Jahr lang wider besseres Wissen landauf, landab versuchen zu erklären, warum der machtbewusste Technokrat Scholz total töfte ist. Bis zum Wahlabend. Dann wird der Katzenjammer wieder groß sein.

Es hat schon etwas Tragisches. Am Wochenende überschlugen sich die Leitmedien der Republik geradezu: »SPD im Umfragehoch nach Scholz-Nominierung« (SZ), »Umfragehoch für die SPD nach Scholz-Nominierung« (FAZ), »Umfragehoch für SPD nach Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz« (Badische Neueste Nachrichten). Der Anlass: In zwei von drei aktuellen Umfragen landete die Partei in der Sonntagsfrage bei 18 Prozent, in der dritten kam sie auf 16 Prozent. Ein solches Ergebnis bei der kommenden Wahl wäre das schlechteste der Sozialdemokratie seit 1890. Vieles spricht dafür, dass es genau so kommen wird.

Die SPD hat einen fatalen Hang, Fehler gleich mehrfach zu wiederholen. Als hätten die miserablen Ergebnisse mit Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Martin Schulz als Kanzlerkandidaten in den vergangenen Bundestagswahlen nicht gereicht, tritt mit Scholz der nächste kapitalfreundliche Parteirechte an, um die SPD in eine historische Niederlage zu führen. Sigmar Gabriel konstatierte in seiner Zeit als Parteivorsitzender einmal, die Sozialdemokratie sei immer dann erfolgreich gewesen, wenn sie Solidarität und Emanzipation zusammengebracht habe, also die Verantwortung füreinander mit dem Wunsch nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Und er fragte sich und seine Parteifreunde, »ob wir den Gerechtigkeitshunger unserer Zeit noch begreifen«. Das ist die Schlüsselfrage, auf die weiterhin eine überzeugende Antwort fehlt.

Von den derzeitigen Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken lässt sich nicht sagen, dass es ihnen an sozial­demokratischer Haltung fehlte. Trotzdem haben sie sich für Scholz entschieden – obwohl er alle Ansprüche dementiert, mit denen das Duo angetreten war. »Olaf hat den Kanzler-Wumms«, twitterten Walter-Borjans und Esken unfreiwillig komisch in der vergangenen Woche. Die Leitartikler der Republik, die kürzlich noch deren Wahl zum Untergang der SPD erklärten, können sich beruhigt ­zurücklehnen. Medial sturmreif geschossen, ohne Rückhalt in der Nomenklatura in Partei und Fraktion, haben Walter-Borjans und Esken noch schneller kapituliert als erwartet. Ihnen bleibt nur noch, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Ihre größten Erfolge feierte die SPD, wenn sie einen progressiven gesellschaftlichen Aufbruch in Aussicht stellte und die Partei eine substantielle Alternative zur Union zu bieten schien. Daraus nährte sich selbst noch der kurzzeitige Aufschwung von Martin Schulz im Bundestagswahlkampf 2017, der genau in dem Moment endete, als sich diese Hoffnung verlor. Bei Scholz, diesem grauen Verwalter des Bestehenden, kommt sie erst gar nicht auf.