Ein Gespräch mit Ferat Kocak (Linkspartei) über die rechte Anschlagsserie in Neukölln

»Das System der internen Kontrolle funktioniert nicht«

Der Politiker Ferat Kocak sprach mit der »Jungle World« über Polizeiversagen und die Rolle der AfD bei der schleppenden Aufklärung der rechten Anschlagsserie in Neukölln.
Interview Von

Ferat Kocak ist Vizesprecher der Linkspartei in Berlin-Neukölln und setzt sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus in seinem Bezirk ein. 2018 zündeten Rechtsextreme sein Auto an, die Flammen sprangen auch auf das Haus seiner Eltern über. Der Polizei war zuvor bekannt, dass die mutmaßlichen Täter Koçak über Monate hinweg verfolgt hatten, warnte den Politiker jedoch nicht.

 

Anfang des Monats wurde ein Berliner Staatsanwalt, der mit den Ermittlungen zur rechten Brandanschlagsserie in Neukölln betraut war, in eine andere Abteilung versetzt. Der Chat-Verlauf eines der Hauptverdächtigen hatte Hinweise darauf gegeben, dass dieser Staatsanwalt der rechten Szene nahestehen könnte. Hat Sie das schockiert?

Jede neue Enthüllung ist für mich ein Schock, da wird jedes Mal ein neuer Angstzustand ausgelöst. Jetzt wurde außerdem bekannt, dass der Berliner Polizist Stefan K., der vor Gericht steht, weil er 2017 einen geflüchteten Afghanen körperlich angegriffen und beleidigt haben soll, jahrelang selbst gegen Rechte ermittelte. Wie kann so etwas passieren? Und wenn das passiert, wieso wird das nicht sofort aufgeklärt und skandalisiert? Stattdessen ist der Beamte weiterhin im Dienst.

Stefan K., der nun vor Gericht steht, war bis 2016 Angehöriger der »Einsatzgruppe Rechtsextremismus«, die auch zur Aufklärung der Anschlagsserie in Neukölln eingesetzt wurde. In dieser Zeit hat er Gespräche mit Betroffenen rechter Straftaten geführt.

Das verursacht mir große Angst. Wir wissen ja, dass Neonazis akribisch ­Daten sammeln. Und wir haben keine Ahnung, welche Informationen er möglicherweise weitergegeben hat und an wen. Der Polizist stand in engem Kontakt mit Betroffenen. Opfer der ersten Anschlagsserie in Süd-Neukölln ­erzählen mir, dass sie sich ihm in Gesprächen damals sehr geöffnet haben.

In die Amtszeit Stefan K.s fällt auch der Mord an Burak Bektaş 2012, der bis heute nicht aufgeklärt ist. Wie ist das vor dem Hintergrund der nun bekanntgewordenen Informationen zu bewerten?

Betroffene rechtsextremer Straftaten bemängeln immer wieder, dass die ­Beweisaufnahme nicht richtig funktioniert, dass nicht alle Indizien berücksichtigt werden. Es ist zumindest denkbar, dass das im Fall Burak Bektaş ähnlich war. Das können wir rückblickend nicht mehr nachvollziehen. Und wenn nun außerdem rauskommt, dass auch die Staatsanwaltschaft Verbindungen nach rechts hat – was wissen wir dann, ob nicht Akten geschreddert oder Beweismittel vernichtet wurden? Dieses ganze System der internen Überwachung und Kontrolle funktioniert nicht.

Die Berliner Linkspartei fordert nun einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Anschlagsserie und der rechten Verbindungen in den Behörden. Bisher scheiterte das am Widerstand der Koalitionspartner im Abgeordnetenhaus, SPD und Grüne. Wie erklären Sie sich das?

Innensenator Andreas Geisel von der SPD hat die Wahl, entweder konfrontativ vorzugehen oder im Einvernehmen mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Letzteres ist die Methode, derer man sich bisher in Deutschland bedient hat. Die Polizei hat ein Interesse daran, sich selbst zu schützen, und der Innensenator möchte es sich mit seinen Behörden nicht verscherzen. Ich gehe davon aus, dass er dieses Problem mit Rechten auch nicht am Hals haben möchte, aber er setzt sich eben auch nicht damit durch, dass daran etwas geändert wird. Ich frage mich schon, was das soll bei drei Parteien, die von sich selbst behaupten, antifaschistisch zu sein. Wenn die schon nicht durchsetzen können, dass wir Nazis innerhalb der Behörden bekämpfen und diese Zusammenhänge aufdecken, wem sollen wir denn dann vertrauen?

Statt eines Untersuchungsausschusses sollen nun Sonderermittler zur Aufklärung eingesetzt werden.

Es gab jetzt bereits drei Ermittlungsgruppen. Der Bericht der letzten Gruppe »BAO Fokus« ist der Öffentlichkeit nur teilweise zugänglich. Jetzt will man da ein anderes Wort hinstellen und nennt es »unabhängiger Ermittler« oder »Sonderermittler«. Da soll mir doch mal ­jemand erklären, was dieser Ermittler herausfinden soll, was nicht schon ­andere Ermittlungsgruppen herausgefunden haben. Das ist nur eine Hinhaltetaktik. Es braucht einen Untersuchungsausschuss, in den auch zivilgesellschaftliche Akteure und Journalisten, die jahrelang zu dem Thema recherchiert haben, eingebunden sind, und der die Befugnisse zur Akteneinsicht und Zeugenbefragung hat.

Nach der Versetzung des zuständigen Staatsanwalts hat nun die ­Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen zur Anschlagsserie übernommen. Glauben Sie, dass sich damit grundlegend etwas ­ändern wird?

Es ist ein Lichtblick. Andererseits ist Generalstaatsanwältin Margarete Koppers auch ehemalige Vizepolizeipräsidentin, das sehe ich schon als Problem. Wir haben das Vertrauen in die Struktur der Sicherheitsbehörden verloren, jetzt gibt es zusätzlich Probleme in der Judikative. Und wenn dann auch noch Verbindungen zwischen beiden bestehen, wird es schwierig, wieder Vertrauen aufzubauen. Auch bei dem Staatsanwalt, der jetzt versetzt wurde, müsste man schauen, was der in der Vergangenheit gemacht hat. Viele Entscheidungen werden kritisiert, insbesondere durch antifaschistische Anwältinnen und Anwälte.

Kritik gab es auch an der Anklage von zwei Personen, die mit Plakaten vor den Hauptverdächtigen der ­Anschlagsserie in Neukölln warnten und die nun nach drei Jahre andauernden Ermittlungen freigesprochen wurden.

Viele linke Aktivisten, die selbst Morddrohungen erhalten haben, haben mir berichtet, sehr seltsamen Befragungen ausgesetzt gewesen zu sein. Eigentlich sollten sie als Betroffene aussagen, haben sich aber gefühlt, als seien sie Beschuldigte. Jedes Mal, wenn wir über rechtsextreme Strukturen in den Institutionen sprechen, wird behauptet, wir hätten auch ein Problem mit dem Linksextremismus. Zeigt mir doch mal linke Strukturen in der Judikative und der Exekutive. Stattdessen müssen wir uns fragen, woran es liegt, dass so viele Rechte in allen drei Staatsgewalten am Werk sind. Es wird sich zeigen müssen, ob die Generalstaatsanwältin in der Hinsicht ein Zeichen setzen kann.

Verbindungen zwischen Polizei und rechter Szene legen auch die Drohschreiben des sogenannten NSU 2.0 nahe, bei denen Daten über hessische Polizeicomputer abgefragt wurden. Sie sagten kürzlich, die Spur des NSU 2.0 führe bis nach Neukölln.

Es wurden Daten von Neuköllner Abgeordneten der Linkspartei, zum Beispiel von Anne Helm (im Berliner Abgeordnetenhaus, Anm. d. Red.) und Evrim Sommer (Bundestagsabgeordnete, Anm. d. Red.), auf Polizeicomputern in Wiesbaden abgefragt. Die selben Leute werden dann in Neukölln von Nazis terrorisiert. Aber ich würde noch weitergehen. Das Falken-Haus in Neukölln, das dreimal Ziel eines Brandanschlags war, stand auch auf einer Liste des NSU. Das heißt, nicht nur beim NSU 2.0, sondern auch beim NSU gab es Verbindungen bis nach Neukölln.

Auch über Computer der Berliner Polizei sollen Daten von Betroffenen rechtsextremer Morddrohungen abgefragt worden sein.

Die Exekutive versagt nicht nur im Umgang mit verdächtigen Polizeibeamten, sondern schützt sie auch vor anderen Behörden. In diesem Fall wird der Datenschutzbeauftragten die Auskunft schlicht verweigert. Deswegen ist es so wichtig, mit einem Untersuchungsausschuss Zugriff auf alle Informationen zu erhalten.

Bisher wird zum NSU 2.0 nur auf Landesebene ermittelt. Genügt das?

Nazis machen nicht an Landesgrenzen halt. Es gibt Beziehungen zwischen Süd-Neuköllner Nazis und Nazis aus Brandenburg. Bei Hausdurchsuchungen in Neukölln wurden Materialien zur Organisation des Rudolf-Heß-­Marsches gefunden, zu dem Nazis von überall her anreisen. Deswegen bin ich dafür, dass die Generalbundesanwaltschaft den Fall übernimmt. Auch die Ermittlungen zur rechtsextremen Gruppe »Nordkreuz« gingen erst voran, als der Terrorverdacht laut wurde und die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen aufnahm. Im Moment laufen wir hier in die falsche Richtung.