Das verratene Geschlecht
Am 28. Januar 1976 fand in der US-amerikanischen Fernsehsendung »Good Morning!« etwas statt, das heute selten geworden scheint: ein offener, gegenstandsbezogener Streit zwischen Vertretern diametral entgegengesetzter Positionen, die sich weder mit falscher Nachsicht gegenseitig infantilisieren noch Argumente durch kalkulierte Beleidigungen ersetzen. Moderiert von Fernsehjournalistin Janet Langhart, einer Afroamerikanerin, was zu jener Zeit in den US-amerikanischen Medien noch eine Seltenheit darstellte, diskutierten die konservative Aktivistin Phyllis Schlafly und die Feministin Betty Friedan über das Equal Rights Amendment (ERA), einen Verfassungszusatz, der die Gleichstellung von Mann und Frau konstitutionell festschreiben sollte.
Friedan, 1921 als Bettye Naomi Goldstein in einer jüdisch-amerikanischen Familie geboren und in zionistischen und marxistischen Kreisen aufgewachsen, wurde 1963 mit ihrem Buch »The Feminine Mystique« (in deutscher Übersetzung: »Der Weiblichkeitswahn«, 1966) zu einer Führungsfigur der Frauenbewegung. Sie gehörte zu den Mitbegründerinnen der »National Organization for Women« (Now), die sich für das Equal Rights Amendment als notwendiges legislatives Element einsetzte. Es sollte die freie Entfaltung von Frauen ermöglichen und die rechtliche Ungleichbehandlung im Scheidungs-, Eigentums- und Familienrecht beenden helfen.
In »Mrs. America« entsteht ein differenziertes Bild des Feminismus der siebziger Jahre, dem allerdings die bald folgende Zerfaserung bereits eingeschrieben ist. Alle Konflikte, die in den kommenden Jahren bestimmend werden sollten, deutet die Miniserie an.
Phyllis Schlafly, drei Jahre jünger als Friedan, wurde hingegen Anfang der siebziger Jahre zur Protagonistin, geradezu zum Gesicht einer wesentlich von ihr geprägten antifeministischen Bewegung, die die Aufnahme des Zusatzes in die Verfassung verhindern wollte. Andernfalls, so Schlafly, drohe die Zerstörung der traditionellen Kleinfamilie, Mütter und Hausfrauen würden benachteiligt. Schlafly prognostizierte, dass Frauen künftig in die Armee eingezogen und Toiletten nicht mehr nach Geschlechtern getrennt würden, dass Homosexuelle heiraten dürften und Frauen das Privileg verlören, von ihren Ehemännern versorgt zu werden. Am Ende, so Schlafly in der hitzigen Diskussion, stehe eine geschlechtslose Gesellschaft, die nicht mehr zwischen Männern und Frauen unterscheide.
In dieser heute gelegentlich vergessenen Phase der US-amerikanischen Frauenbewegung in den Jahren zwischen 1972 und 1979 spielt die neunteilige Miniserie »Mrs. America«, die Anfang April von dem US-amerikanischen Fernsehsender FX ausgestrahlt wurde und in Deutschland ab 1. September bei Sky zu sehen sein wird. Dabei nimmt die von der Kanadierin Dahvi Waller geschriebene Serie, die für zehn Emmys nominiert wurde, eine interessante Verschiebung des Perspektive vor. Erzählt wird die Geschichte nicht aus der Sicht führender Feministinnen wie Betty Friedan (Tracey Ullman) oder Gloria Steinem (Rose Byrne), wenngleich diese häufig zu Wort kommen. Im Zentrum steht vielmehr deren Kontrahentin Schlafly, herausragend gespielt von Cate Blanchett. Durch diesen Fokus wird die liberale Vorstellung eines unaufhaltsamen Fortschritts seit den sechziger Jahren in ein anderes Licht gerückt und die Frage nach Sieg oder Niederlage der Frauenbewegung anders gestellt.
Das Equal Rights Amendment war bereits 1923 erstmals in den Kongress eingebracht worden, scheiterte allerdings an legislativen Hürden. Erst 1972, nicht zuletzt aufgrund des politischen Drucks durch die Frauenbewegung, passierte der Verfassungszusatz beide Kammern des Kongresses. Für die Aufnahme eines Zusatzartikels in die Verfassung ist allerdings die Bestätigung von zwei Dritteln aller Bundesstaaten notwendig. Als 1979 die Frist für die Ratifizierung ablief, hatten lediglich 35 der erforderlichen 38 Bundesstaaten dem Zusatzartikel zugestimmt und das Vorhaben verschwand wieder in den Schubladen. Verantwortlich für diese politische Niederlage war, wenn auch nicht ausschließlich, die erfolgreiche Mobilisierung konservativer Frauen durch Schlafly.
Schlafly und das Milieu, das sie repräsentiert, werden in »Mrs. America« weder romantisiert noch eilfertig als reaktionär abgetan. Dahvi Waller bemüht sich vielmehr, auch der Komplexität einer Person mit politisch fragwürdigen Ansichten künstlerisch gerecht zu werden, um das Phänomen der antifeministischen Frau verstehen zu können. Dies ist ohne Zweifel auch ein Versuch, den Sieg Donald Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2016 zu bewältigen, als Liberale mit Bestürzung und Überraschung feststellen mussten, dass sich fast die Hälfte der Wählerinnen für einen Kandidaten mit einem sexistischen Frauenbild entschieden hatte. Schlafly, die kurz vor der Präsidentschaftswahl 2016 starb, hatte Trumps Kandidatur unterstützt.
Ästhetisch weist die Serie zunächst kaum über die Genregrenzen gängiger historischer Serien hinaus. Aufwendig wird die Lebenswelt der siebziger Jahre reinszeniert, manche Ereignisse werden bis auf die Ebene des Zitats genau wiedergegeben, während andere Begebenheiten überspitzt dargestellt und einzelne Figuren als Kontrast überzeichnet werden. Die ironisierend-verkitschte Form des Vorspanns – eine cartoonhafte Bilderfolge unterlegt mit einer Disco-Version von Beethovens Schicksalsmotiv aus der 5. Sinfonie – ist glücklicherweise nicht prägend für die Serie. Neben berühmten Figuren wie Friedan oder Steinem kommen auch weniger bekannte Protagonistinnen vor, etwa die demokratische Politikerin Shirley Chisholm (gespielt von Uzo Aduba), die 1968 die erste afroamerikanische Kongressabgeordnete wurde und 1972 als Kandidatin für die Präsidentschaftsnominierung der Demokraten antrat, oder Jill Ruckelshaus (gespielt von Elizabeth Banks), die – heute kaum vorstellbar – als Republikanerin bei Now aktiv war.
Es entsteht ein differenziertes Bild des Feminismus der siebziger Jahre, dem allerdings die baldige Zerfaserung bereits eingeschrieben ist. Alle Konflikte, die in den folgenden Jahren bestimmend werden sollten, sind in »Mrs. America« angedeutet. Schwarze und lesbische Feministinnen fühlten sich weder in der mehrheitlich weißen Frauenbewegung noch bei den homophoben Machos der Black Panther Party politisch zu Hause. Betty Friedan, die sich vor allem auf die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter, weniger auf die individuelle Selbstentfaltung konzentrierte, wehrte sich lange dagegen, die Interessen homosexueller Frauen auf die Agenda zu setzen. Andererseits war sie es, die zeitig darauf drängte, Schlafly und die konservative antifeministische Bewegung ernst zu nehmen, während die dreizehn Jahre jüngere Gloria Steinem, die medial als junges, hübsches Gesicht eines Lifestyle-Feminismus inszeniert wurde, deren Bedeutung eher herunterspielte.
Mit Phyllis Schlafly und den Frauen, die sie repräsentiert, als erzählerischem Zentrum der Serie gelingt es, den Traditionalismus der Anti-ERA-Bewegung als Vorbote einer gesellschaftlichen Veränderung kenntlich zu machen, die weit in das konservative Milieu hineinwirkte. Schlafly hatte studiert und war zeitweise als Model tätig. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie als Waffentechnikerin. 1949 heiratete sie den Anwalt John Fred Schlafly Jr., sie wurde sechsfache Mutter. 1952 kandidierte sie erfolglos in Illinois als Kongressabgeordnete; das bevorzugte Betätigungsfeld der unnachgiebigen Antikommunistin war die männerdominierte Außenpolitik. Bevor sie sich Anfang der siebziger Jahre der Debatte um das Equal Rights Amendment zuwandte, hatte sie bereits fünf Bücher geschrieben. Sie suchte die Öffentlichkeit, hielt Vorträge, war in Fernsehsendungen zu sehen und schrieb einen eigenen monatlichen Newsletter, der das Medium für ihre antifeministische Mobilisierung wurde. Während ihres Kampfes gegen das Equal Rights Amendment machte sie ihren Abschluss in Jura.
Für die Frauenbewegung stellte Schlafly eine Herausforderung dar: Als redegewandte, selbstbewusste Frau stand sie in der weitgehend männlichen Öffentlichkeit und sprach sich dennoch gegen die Forderungen des Feminismus aus, der eben dafür kämpfte, dass Frauen sich diese Welt aneignen. So lässt sich in der eingangs erwähnten Fernsehdiskussion beobachten, wie sehr Schlaflys dogmatische Strenge und geradezu aristokratische Contenance die eher laute und leidenschaftliche Friedan aus dem Konzept bringt. In einer Debatte, die in der Serie aufgegriffen wird, gelingt es Schlafly, Friedan derart aus der Fassung zu bringen, dass diese schließlich ausfällig wird und Schlafly als »Verräterin ihres Geschlechts« beschimpft. Zugleich registriert »Mrs. America« aufmerksam die Härte, mit der sich Schlafly sowohl gegen die eigene Erfahrung als auch gegen die ihrer Mitstreiterinnen verschließt. Einer Freundin, die an einer desaströsen Beziehung und den Forderungen von Küche, Kindern und Kirche zu zerbrechen droht, rät sie, durchzuhalten und ihre Rolle als Ehefrau nicht zu vergessen. Als Schlafly mit ihrem Ehemann 1978 ein Fernsehinterview gibt, wird der gefragt, wer denn zu Hause die Hosen anhabe. »Ich bin offenkundig körperlich überlegen«, antwortet Fred Schlafly, »und sie ist … sehr unterwürfig.« Phyllis lächelt gequält, während sich der Moderator amüsiert. »Fred ist der Boss in der Familie«, sagt sie schließlich, »und so ist das nun mal.«
Ihre politische Karriere ist untrennbar mit dem Equal Rights Amendment verbunden, gegen das sie mit einem geradezu verzweifelten Konservatismus rebellierte. Heute, da der Verfassungszusatz wieder in der Diskussion ist, sind einige Ziele, die das ERA angestrebt hatte oder die ihm angedichtet wurden, längst verwirklicht. Frauen dienen in der Armee, die gleichgeschlechtliche Ehe ist seit 2015 in allen Bundesstaaten zulässig. Wer das allerdings nur als Fortschritt und die Phyllis Schlaflys dieser Welt als die Verliererinnen der Geschichte betrachtet, der übersieht, was »Mrs. America«, trotz aller hagiographischen und zuweilen kitschigen Elemente, eindrucksvoll in Szene setzt. Die politische Niederlage des Jahres 1979 war auch der Tatsache geschuldet, dass die Frauenbewegung vom Milieu der liberalen Metropolen an den beiden Küsten getragen wurde. Es ist kein Zufall, dass Schlafly ihre Erfolge im Mittleren Westen bei Frauen der Mittelklasse feierte, in flyover states, die sich Ende der siebziger Jahre ebenso ignoriert fühlten wie 2016.