Virtuell verunsichert
Bei der Neuen Rechten kündigt sich ein Debattenwinter an. Zwar war man angesichts der hohen Präsenz von Reichs- und Qanon-Gläubigen auf den »Coronademonstrationen« über deren »Rechtsoffenheit« hocherfreut. Andererseits verunsichern die neuen Akteure, die medial so präsent sind. Vor allem bleibt unklar, wie dieser Zuwachs genutzt werden kann.
Der Verleger Götz Kubitschek fremdelt beispielsweise mit dem Habitus junger rechter Blogger. Beim Rückblick auf die Sommerakademie seines »Instituts für Staatspolitik« resümierte er über diesen Nachwuchs: »Die Leute sind sehr jung, sind ganz und gar im digitalen Zeitalter aufgewachsen, bewegen sich mit einer ungeheuren Selbstsicherheit, Selbstironie und Flexibilität im Netz und haben tatsächlich virtuelle Existenzen, aus denen sie einen nicht geringen Teil ihrer Bedeutung und ihres Selbstwerts ableiten. Dem kann zumindest ich nur zusehen, ohne dass ich noch Zugang fände.« Das ist wie stets auch Pose, immerhin ist sein Verlag erfolgreich in der digitalen Sphäre unterwegs und hat mitunter selbst ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Doch nun muss der rechte Medienmarkt gegen Newcomer verteidigt werden, die sogar Ironie kennen.
Die Erweiterung des eigenen Milieus bringt also neue Konflikte mit sich. Das zeigte sich auch auf der »2. Konferenz der Freien Medien«, zu der die AfD am 10. Oktober in den Bundestag geladen hatte. Anders als die erste Konferenz im Frühjahr 2019 blieb dieses Treffen medial jedoch nahezu unbeachtet. Zwar war der Twitter-radikalisierte Medienwissenschaftler Norbert Bolz als Vortragsredner geladen, doch Beobachtern fiel in erster Linie die Abwesenheit etablierter Formate wie der Jungen Freiheit und Tichys Einblick auf. Stattdessen versammelte sich dort vor allem die rechte Blog-Szene. Diese Gewichtung lässt sich als Folge der Machtkämpfe innerhalb der AfD deuten. Gastgeber des Treffens waren die Bundestagsabgeordneten Martin E. Renner und Petr Bystron. Sie werden zum Rechtsaußen-Flügel der Partei gezählt, zu dem sich die genannten Printmedien mittlerweile um Distanz bemühen. Das Online-Milieu und Norbert Bolz haben offensichtlich weniger Skrupel.
Dass auch geschickte Nutzung des Internets noch lange keine Erfolge verbürgt, muss auch der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner feststellen. Seine »Identitären« liegen auf Eis, das Folgeprojekt »Die Österreicher« existiert nur im virtuellen Raum. Auf dem Blog von Kubitscheks Sezession befasst Sellner sich nun in einer »Kritik des Parlamentspatriotismus« mit der Krise von FPÖ und AfD. Die Rücksichten des parlamentarischen Betriebs behinderten die Dynamik und führten langfristig zur Anpassung. Am Ende habe sich die Rechte »schamlos aus dem ideologischen Bauchladen des Gegners« bedient, klagt Sellner und zählt die Fassadenelemente des modernisierten Rechtspopulismus auf: »Man brachte den Feminismus gegen die Islamisierung, die Pride Parade gegen die Parallelgesellschaft, Tinder gegen die Burka und den Hedonismus gegen den Öko-Kommunismus in Stellung.« Damit würde letztlich nur die geistige Vorherrschaft des Gegners stabilisiert. Insgesamt wenig Neues also, denn Parteien hatten die Neue Rechten schon in den achtziger Jahren aus ähnlichen Motiven abgelehnt. Sellner empfiehlt anstelle der Parteiarbeit nun Aktivismus und Metapolitik. Kubitschek wiederum hatte angekündigt, wegen der Beobachtung durch den Verfassungsschutz zukünftig nicht mehr so transparent wie früher zu arbeiten. Beides sieht nach Abkapselung aus, die Debatten in diesem Winter könnten somit als Resultat eine fundamentalistische Rückwendung bringen.