Heftige Proteste gegen die Regierung in Guatemala

Aufstand der Bohnenfresser

In Guatemala demonstrieren Tausende gegen den konservativen Präsidenten Alejandro Giammattei und korrupte Parlamentsabgeordnete.

»Die Bohnenfresser wollen, dass Ihr zurücktretet.« Das stand am Samstag auf einem Transparent, das bei einer Demonstration in Guatemala-Stadt zu ­sehen war. Erneut demonstrierten Tausende im Zentrum der guatemaltekischen Hauptstadt. Sie zogen am Parlament vorbei durch die Altstadt und sammelten sich vor dem Präsidentenpalast auf der Plaza de la Constitución (Platz der Verfassung). Am Mittwoch zuvor hatte Rubén Barrios, ein Parlamentsabgeordneter der rechten Partei Valor, arme Guatemaltekinnen und Guatemalteken als »Bohnenfresser« bezeichnet.

Claudia Samayoa, Direktorin der Menschenrechtsorganisation Udefegua, berichtet von der Demonstration: »Alles war friedlich, bis eine Gruppe von Jugendlichen begann, zu provozieren und Gewalt gegen die Ombudsstelle für Menschenrechte, die Presse und die Polizei zu richten. Es war offensichtlich, dass sie von einem Mann dirigiert wurden, der zumindest den Eindruck erweckte, vom Militär zu sein.« Samayoa kennt derartige Aktionen von einer ganzen Reihe von Demonstrationen. »Sie haben die Funktion, die zivilen, friedlichen Proteste zu diskreditieren und sie zu sabotieren, und so war es auch diesmal. Die Bilanz lautete: fünf verletzte Journalisten, 45 verletzte Polizisten und zwei verhaftete Provokateure.« Samayoa ist sich sicher, dass die Proteste trotz der Provokationen weitergehen werden, so wie es auch die ganze vorige Woche war.

»Natürlich ist der Protest gegen den Haushalt der Auslöser. Doch es geht um viel mehr.« Claudia Samayoa, Direktorin der Menschenrechts­organisation Udefegua

Seit dem 21. November vergeht kein Tag ohne Proteste, Straßenblockaden im Landesinneren und Demonstrationen in vielen der größeren Städte. Trotz der Covid-19-Pandemie gehen die Menschen auf die Straßen, um gegen die Regierung unter dem konservativen Präsidenten Alejandro Giammattei zu protestieren. Anlass war, dass am 18. November das Parlament in kürzester Zeit einen sehr einseitigen Haushaltsentwurf mit Rekordvolumen verabschiedet hatte, drei Tage später wurde das Parlamentsgebäude angezündet. »Natürlich ist der Protest gegen den Haushalt der Auslöser. Doch es geht um viel mehr«, meint Samayoa. Inzwischen hat das Parlament den Entwurf zurückgezogen, der hohe Investitionen in privat kontrollierte Infrastruktur vorgesehen hatte.

Michael Mörth berät eine Menschenrechtskanzlei in Guatemala-Stadt. Er fasst einige der Kritikpunkte zusammen, die gegen den zurückgezogenen Haushaltsentwurf vorgebracht wurden: »Im Haushalt wird kaum Geld für die Folgen der beiden Hurrikane Eta und Iota bereitgestellt. Das ist genauso ein Kritikpunkt wie die Unterfinanzierung der Programme gegen Unterernährung. Das kostet Menschenleben.« Anfang dieses Monats wütete Eta in Mittelamerika, kurz darauf Iota, in Guatemala starben Dutzende Menschen.

Der Unternehmerverband CACIF kritisierte den Haushaltsentwurf, weil teure Projekte wie der Autobahnbau an der Pazifikküste nicht im Etat des Bauministeriums, sondern separat aufgeführt wurden. »Da soll sich systematisch bereichert werden, so wird der Korruption Tür und Tor geöffnet, denn jeder Abgeordnete hält für seine Zustimmung die Hand auf«, kritisiert Mörth.

Das sehen viele Guatemaltekinnen und Guatemalteken ähnlich. Parolen wie »Raus mit den Korrupten« untermauern das. Seit Wochen sinken die Zustimmungswerte für Giammattei, der eine neoliberale Politik verfolgt. Viele werfen ihm vor, nicht gegen Korruption vorzugehen. Seit seinem Amtsantritt im Januar häufen sich die Berichte über Korruptionsdelikte. Mörth sagt: »Giammattei galt immer als korrupt und er hat vom ersten Tag an Korruption ermöglicht. Seit April des Jahres häufen sich die Enthüllungen über Korruption, 140 Millionen Quetzales (umgerechnet rund 15 Millionen Euro, Anm. d. Red.) verschwanden im Ministerium für Infrastruktur, die Bevölkerung ist empört, weil Giammattei der Korruption ihren Lauf lässt, und er greift anders als so mancher Vorgänger zur Repression.«

Die heftigen Polizeiübergriffe vom 21. November, als Bilder des brennenden guatemaltekischen Parlaments um die Welt gingen, sind dafür ein gutes Beispiel. Polizisten schossen gezielt mit Tränengasgranaten in Kopfhöhe, mehrere Personen wurden schwer verletzt. Es gibt Indizien, dass auch an diesem Tag Provokateure am Werk waren. ­Bilder zeigen, dass sich im Parlament, in dem alles Nötige bereitstand, um das Feuer zu löschen, keine Bereitschaftspolizei befand, als das Feuer ausbrach. Kritische Medien wie Plaza Pública fragen, ob das ein Zufall gewesen sei. Giammattei sprach nach dem Brand von einem »Staatsstreich, den minoritäre Gruppen erzwingen wollen«. Doch da war er längst in der Defensive, denn sein Vizepräsident, Guillermo Castillo, hatte ihn zuvor bereits zum Rücktritt aufgefordert – wegen der raschen Verabschiedung des Haushalts.

Ein weiterer Grund für die Proteste sind intransparente Neubesetzungen von Richterposten. »Richter werden ­abgelöst, es werden neue ernannt, die fragwürdig sind, ohne jede Beteiligung der Öffentlichkeit«, sagt Mörth.

Dass der am 18. November verabschiedete Haushaltsentwurf zurückgezogen wurde, ist ein kleiner Erfolg der landesweiten Demonstrationen. »Die Korrupten sind unter Druck, sie sind zurückgerudert«, sagt Samayoa. Doch den Demonstrierenden geht es längst um mehr. Die Proteste sind ein erneuter Aufschrei gegen Korruption, Vetternwirtschaft und die Übernahme der Institutionen durch korrupte Politiker. Mehrfach ist die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in Guatemala auf solche Politikerinnen und Politiker hereingefallen. Samayoa sagt, auch Giammatteis Vorgänger Otto Pérez Molina und Jimmy Morales hätten sich bereits den Vorwurf gefallen lassen müssen, vor allem an sich selbst zu denken und sich die Taschen vollzumachen. »Die Menschen sind es leid, die Demonstrationen sind ein Beweis dafür. Sie wollen zudem eine Justiz, die funktioniert.«

Doch genau das ist nicht im Interesse des eng mit der organisierten Drogenkriminalität verwobenen politischen Milieus.