Eine Kritik unlustiger Satiriker

Nur noch unfreiwillig lustig

Das Jahr 2020 war auch für die deutsche Fernsehcomedy kein glanzvolles. Der Jahresrückblick von Dieter Nuhr auf der größten Theaterbühne der Welt zeigt das exemplarisch.
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»Vielleicht werden wir 2020 als das Jahr in Erinnerung behalten, in dem die Humorlosigkeit die Macht übernahm«, jammerte der Ka­barettist Dieter Nuhr bei seinem von der ARD übertragenen Jahresrückblick in den gigantischen, leeren Saal des Berliner Friedrichstadt-Palastes. Die Stelle des Saalpublikums nahmen Leuchtdioden ein, die die geisterhafte Stimmung allerdings eher verstärkten, als über sie hinwegzutäuschen. Wenn Humorlosigkeit die Macht übernimmt, dann sieht das wahrscheinlich genau so aus: Ein verärgerter Mann steht in einem pompösen Saal und erzählt sich selbst prustend Witze über Klopapier, Gesundheitspolitiker und Gendersternchen.

Dieter Nuhr ist die derzeit prominenteste Inkarnation des deutschen Bierzelthumors, welcher den Sponti-Spruch, aus dem Brett vor dem Kopf eine Waffe zu machen, etwas zu ernst genommen hat. Seine Karriere beruht auf Empörung über das, was er nicht versteht und nicht verstehen will: Seine Tochter findet Fridays for Future gut? Dann stellt er ihr die Heizung ab! In einer ND-Kolumne wird patriarchale Gewalt verurteilt? Seine Frau hat ihn letztens auch gehauen! Er sieht ein Buch über Rassismus? Die arroganten Linken sind schuld an Donald Trump! Nach Sigmund Freud resultiert der Lustgewinn am Witz aus einer Lockerung des Verdrängten, in der Kraftersparnis, Dinge von sich fernhalten zu müssen. Bei Nuhr und seinem Publikum wird diese Beziehung des Witzes zum Unbewussten eine zum Ressentiment. Offene Feindseligkeit gegen diskriminierte Gruppen kann man sich nicht mehr erlauben, die Uneigentlichkeit des Labels »Satire« erlaubt es aber, sie zu äußern. Dieser Humor kumpelt mit der Verärgerung der Zuhörer und Zuhörerinnen über die Komplexität der Welt und die als zu schnell empfundene Veränderung der Verhältnisse. Ihre Irritation über das Unbekannte wird bestätigt, gemeinsam kann man über die Übertreibungen der Jugend lachen.

Dabei hält sich Nuhr selbst für einen der Guten: Er unterstützt auch SOS-Kinderdörfer und stellt der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Audiobeitrag gegen Wissenschaftsfeindlichkeit zur Verfügung. Aber zu weit soll das Engagement eben auch nicht gehen, und bitte keine grundlegende Kritik an den Verhältnissen – Kapitalismus und Patriarchat sollen uns erhalten bleiben! Gegen das vermeintlich infantile Aufbegehren zieht Nuhr als satter, zufriedener Boomer ins Feld: Es gilt, die Zumutungen der jungen feministischen, queeren und migrantischen Dauerbeleidigten abzuwehren.

Gegen deren angebliche moralische Hegemonie hat der politische Kabarettist in der öffentlichen Auseinandersetzung nur zwei Waffen in der Hand: sämtliche bürgerlichen Leitmedien und den Humor. Das lachende Publikum bestätigt ihm und sich selbst, dass sie ihr ­Verhalten nicht an Maßstäben messen lassen müssen, die nicht ihre eigenen sind. Und wenn man sich dafür anhören muss wie ein Hinterbänkler von der AfD, sei’s drum! Wer nicht darüber lachen kann, dass Nuhr Bemühungen um geschlechtergerechte Sprache mit dem Zwang zum Hitlergruß in den dreißiger Jahren in Zusammenhang bringt, der hat halt keinen Humor.

Ohne das Publikum, ohne das Gelächter im Dunkeln bleibt aber auf der übergroßen Bühne nur noch ein trauriger, peinlicher Mann, der mit Ressentiments jongliert. Wenn das moderne politische Comedy sein soll, können wir dann bitte den unpolitischen Slapstick zurückhaben?