Unterschiedliche Ansichten zur Frage, über wen und was man keine Witze reißen sollte

Witze reißen

Worüber soll man überhaupt Witze machen ­können? Welche Witze sind tatsächlich witzig und welche nerven? Über welches Sujet freuen sich definitiv die ­Falschen?

Kein Schutz für Minderheiten

Viele lachen, wenn nach unten getreten wird. Doch daran ist überhaupt nichts witzig.
Von Rebecca Maskos

Darf man über Minderheiten Witze machen? Was darf Satire? Fragen wie diese fanden wir als Redakteurinnen und Redakteure des leider mittlerweile ein­gestellten Mondkalb (Untertitel: »Zeitschrift des Organisierten Gebrechens«) eigentlich sterbenslangweilig. Davor drücken konnten wir uns aber dennoch nicht. Schließlich stellten wir in unserer Rubrik »Opferecke« respektlose Fragen wie: Gibt es unter Pygmäen Kleinwüchsige? Können Gehörlose auch bei bewölktem Himmel beten? Können Menschen einen Behindertenausweis beantragen, denen Fett abgesaugt wurde? Tja, durften wir das? Klar, wir schon! Die meisten von uns waren ja auch selbst behindert.

Im Fall von Mondkalb scheint die Sache klar. Kein Zufall, dass die Frage »Darf man Behindertenwitze machen?« normalerweise aus dem Mund von Leuten kommt, die sich selbst als nichtbehindert verstehen. Die bange Sorge um das »Dürfen« verweist darauf, dass es sich hier um vermintes Terrain handelt, vor allem für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Konsequenterweise werden Behindertenwitze von Nichtbehinderten gerne in einer Per­formance des Tabubruchs vorgetragen: Uiuiui, da traut sich mal jemand was! Könnte ja gleich wer Behindertes anfangen zu weinen, schließlich ist Behin­derung ein »tragischer Zustand«, behinderte Menschen sind alle depressiv – und so empfindlich!

Gute Satire stellt Macht in Frage, zielt auf Barrieren und Diskriminierungen.

Tatsächlich müssen behinderte Menschen nicht vor bösen Behinderten­witzen »geschützt« werden. Wovor man hingegen alle Menschen schützen muss, das sind schlechte Witze. Schlechte Satire gehört bei Strafe verboten. Und Behindertenwitze von Nichtbehinderten sind, wenn ich das mal so offen sagen darf, leider viel zu oft unfassbar stulle. Nicht ausgeschlossen, dass es auch mal einen guten Behindertenwitz von Nichtbehinderten gibt. Kommt aber selten vor. Warum ist das so? Vielleicht, weil gute Witze sich doch eher mit der Diskriminierung selbst anlegen als mit den Diskriminierten. Das große Handicap (hihi) der Nichtbetroffenen dabei: Mit Diskriminierung kennen sie sich eigentlich gar nicht so richtig aus. Zumindest nicht mit der, die in ihren voll provokanten Scherzen vorkommen soll.

Gute Satire stellt Macht in Frage, zielt auf Barrieren und Diskriminierungen. Schlechte Satire stellt sich in den Dienst der Macht, um an ihr teilzuhaben. Gute Satire tritt nach oben, sie stellt den Status quo in Frage. Schlechte Satire tritt nach unten und tritt so den Staus quo fest. Deswegen funktioniert es oft gut, wenn »Betroffene« selbst Witze über ihre »Betroffenheit« reißen, umgekehrt aber nicht unbedingt. Kommt der Gag von »Nichtbetroffenen«, fehlt oft eine Reflexion auf jene Macht und Möglichkeiten, die sie im Vergleich zu den »Betroffenen« haben. Die versemmelte Pointe ist programmiert.

Wie wichtig diese Faustregel der ­Komik ist, kann man an Dieter Nuhr und seinen Boomer-Bros besichtigen. Oder an Lisa Eckhart, dem jüngsten und weiblichsten alten weißen Mann der deutschsprachigen Comedyszene. Sie bedient sich des Gestus des »Nach-oben-Tretens«, denn es geht ja gegen die angeblich mächtige political correctness. Diese Selbstinszenierung setzt sie vermeintlich ins Recht: das »böse« Genie, die verkannte und verfolgte Nietzsche-Auskennerin, alleine gegen die Meinungsdiktatur. Real aber tritt sie nach unten, gegen Juden, als deutschsprachige Schickse, als von Holocaust und Antisemitismus gänzlich unbetrof­fene Goi.

Es freuen sich all jene nichtbehinderten, nichtjüdischen Kartoffeln, die sich endlich wieder verstanden und aufgehoben fühlen können. Eine junge Lautsprecherin unter 30, die ihre Sprache spricht! Noch dazu ein blondes Gift mit lesbisch anmutender Trendfrisur. Autorinnen und Autoren der Welt, NZZ und FAZ liegen der Verkannten zu Füßen, in ARD und ZDF bekommt sie jede Menge Sendezeit und einen Platz im »Literarischen Quartett«. Bezeichnet Maxim Biller sie aber in der SZ angemessen als eine »aus der Zeit gefallene Ostmark-Kabarettistin mit herablassenden Offiziersmessenton«, ist die Empörung groß.

Womit wir beim eigentlich unangenehmsten Teil der Chose mit den Diskriminiertenwitzen wären: dem Publikum. Hauptsache fun, fun, fun, von Normalos, für Normalos. Die »Anderen« bleiben Satireobjekt. Vielleicht ist das der Witz des Ganzen.

 

 

Wider das Witzelend

»Keine Regel ohne Ausnahme« ist eine Regel, die man ausnahmslos beherzigen sollte.
Von Elke Wittich

Machen wir uns mal nix vor: Über Humor zu schreiben beziehungsweise über das, worüber Leute nicht lachen sollten, ist immer eine Art suicide mis­sion. Hinterher nehmen es einem alle übel und halten einen für einen humorlosen Trottel beziehungsweise eine humorlose Trotteline. Nun ist es aber, wie es ist: Diese Ausgabe der Jungle World ist dem Thema Humor gewidmet und behandelt damit leider auch das weite Feld menschlichen Witzelends. Fangen wir mit etwas an, das von Anfang an zu den Prinzipien dieser Zeitung gehörte: keine Namenswitze zu machen. Witze speziell über Nachnamen zielen nicht nur immer auf etwas ab, das sich ein Mensch nicht ausgesucht hat. Hämische Verballhornungen der tatsächlichen oder dafür gehaltenen Nachnamen von Juden gehörten und gehören zudem zum Grundrepertoire antisemitischer Publikationen. Weiterhin arbeiten sich täglich Tausende Twitter-User und Leserkomentar­schreiber daran ab, möglichst gemein-brachiale Paronomasien von Namen ihnen verhasster Politiker und Prominenter zu finden (eine besonders niederträchtiges Annominationsbeispiel ist die in diesen Kreisen notorische Verzerrung des Nachnamens von Klaus Wowereit in »Pobereit«).

Allerdings gab es in der Jungle World eine Ausnahme von der strikten Regel: Joschka Fischer wurde grundsätzlich seinem Geburtsnamen entsprechend Joseph Fischer genannt. Dabei handelte es sich allerdings streng genommen nicht um einen Namenswitz und schon gar nicht um eine seiner traditionell hinterhältigen Varianten, sondern bloß um eine schwere Redaktionsallergie gegen Diminuitivformen. Weswegen auf diese Anekdote an dieser Stelle auch hätte verzichtet werden können, zugegeben, aber andererseits ist sie hübsch, und die Zeiten sind ja nun wirklich nicht so, dass auf Hübschigkeit verzichtet werden sollte. Oder auf interes­sante nutzlose Informationen, aber der Kampf für mehr Nutzlosigkeit ist nun tatsächlich ein ganz anderes Thema.

Selbstironie ist der Mehrheit der irgendwie Linken wohl nicht mehr beizubringen.

Und damit sind wir auch schon bei einem wichtigen Grundpfeiler linker Humorlosigkeit, nämlich der Ausnahme. Theoretisch mag zwar den meisten sich für links Haltenden klar sein, worüber keine Witze gemacht werden sollten, aber wenn es gegen politische Gegner oder eine verhasste Gruppe geht, ist kein Scherz zu infam. Beispiele? Kann jeder selber finden, ein bisschen Wille zur Mitarbeit darf vom Leser ja wohl erwartet werden. Womit wir zu dem kommen, worüber wirklich keine Witze gemacht werden sollten, was natürlich völlig falsch ausgedrückt ist, denn wie bei jeder Diskussion über Humor geht es vielmehr immer um das, was der Autor oder die Autorin nicht belachenswert findet. Oder sehr mag: Das ist vor allem Selbstironie, deren fast völliges Fehlen zum weiten Feld des linken Elends in Form von linker Humorlosigkeit gehört. Das ist aber auch ein Vorteil, denn erfahrungsgemäß braucht es nur ein, zwei Witzchen und dann kann man sich zurücklehnen und amüsiert dabei zugucken, wie aus aufgeblasenen Selbsternstnehmerinnen und Politgockeln sozusagen die heiße Luft entweicht, bis bloß noch die Ichich­ich-Hülle übrigbleibt.

Nun ist es aber, wie es ist: Selbstironie ist der Mehrheit der irgendwie Linken wohl nicht mehr beizubringen. Kaum etwas ist unschöner zu betrachten als die manchmal vorkommenden, ungeschickten Versuche, dem Pöbel mal zu zeigen, dass man über sich selber lachen kann. Das tendiert dann leider zu einer herablassenden und völlig unironischen Grandiositätsinszenierung. Aber eigentlich waren wir ganz woanders, nämlich bei Witzen, die ich nicht mag.

Dazu gehören alle Scherze, die traditionell eher von Rechten geschätzt werden, vor allem die verkniffene Form des »Ich tu’ jetzt so, als würde ich ganz was anderes meinen, aber Ihr wisst ja alle, worum es wirklich geht«, sowie alles, was irgendwie auf Zoten hinausläuft. Darunter fallen auch Witze über kurze Pimmelchen oder Autos als Penisverlängerung, nur dass das klar ist. Außerdem können Scherze über nicht zu ändernde Merkmale einer Person oder Gruppe sehr gern unterbleiben, ebenso wie ausgelutschte Formulierungen, vor allem, wenn sie bereits auf Tassen und ­T-Shirts verewigt wurden. Und, natürlich, Witze über Menschen, die sich nicht wehren können, was im Übrigen in die Kategorie rechter Humor gehört, aber Linke sind auch in diesem Punkt bedauerlicherweise oft nicht so pingelig.