Verhaftung des Oppositionspolitkers Ousmane Sonko führt zu Unruhen im Senegal

Steine auf den Staat

Nach Vergewaltigungsvorwürfen wurde im Senegal Ousmane Sonko, einer der wichtigsten Oppositionspolitiker, verhaftet; schwere Unruhen brachen aus. Seine Unterstützer werfen dem Präsidenten Macky Sall vor, seinen Gegner diskreditieren zu wollen.

Jahrelang galt der Senegal als Hort der Stabilität in einem politisch ansonsten unruhigen Westafrika. Die parlamentarische Demokratie schien weitgehend gesichert, auch weil Teile der Bevölkerung in jüngerer Vergangenheit sofort reagierten, wenn die Regierenden die ihnen durch demokratische Regeln auferlegten Einschränkungen abzuschaffen versuchten. Und nun dies: Die Kommission der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (französisch CEDEAO, englisch Ecowas abgekürzt) mahnte am Sonntag zur Deeskalation im Senegal. Dem schlossen sich die Botschaften der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten sowie jene der Schweiz, des Vereinigten Königreichs, der USA, Kanadas, Japans und Südkoreas in der senegalesischen Hauptstadt Dakar an. Russland hatte seine Staatsangehörigen im Senegal am Freitag voriger Woche dazu aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen, und das Auswärtige Amt in Berlin empfahl Deutschen in dem Land, Menschenansammlungen zu vermeiden.

Der Grund für die Unruhen ist die Verhaftung von Ousmane Sonko, einem Oppositionsführer, in der vergangenen Woche. Die Website afriqueactuelle.net berichtet von sechs Toten bei Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Ordnungshütern in der zweiten Hälfte voriger Woche. Andere Medien berichten übereinstimmend von mindestens vier Toten. Zu den Todesfällen kam es in der Hauptstadt Dakar sowie in der seit ehedem unruhigen Südprovinz Casamance, aus der der Oppositionspolitiker stammt und die sich oft vom Zentralstaat abgehängt sieht.

In Casamance wurden öffentliche Gebäude attackiert und mit Steinen beworfen. In der Hauptstadt Dakar mussten 14 Niederlassungen der französischen Supermarktkette Auchan schließen, nachdem sie angegriffen worden waren. In diesem speziellen Fall mischt sich mutmaßlich Protest gegen die ökonomische, politische und – in heutzutage geringem Ausmaß – militärische Präsenz Frankreichs mit Plünderungsversuchen. Das Internet und soziale Medien waren mehrere Tage lang blockiert, drei privaten Fernsehsendern wurde die Sendeerlaubnis für drei Tage entzogen.

Anfang Februar war bekannt geworden, dass eine 20jährige Frau namens Adji Sarr gegen Ousmane Sonko Strafanzeige gestellt hatte. Die Klägerin werfe ihm wiederholte Vergewaltigung sowie Morddrohungen vor, verlautbarten Medien dazu. Ousmane Sonko ist der Anführer der 2014 gegründeten politischen Partei Pastef (»Patrioten des Senegal für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit«), die für eine wesentlich stärkere wirtschaftliche Souveränität des Senegal eintritt und als neokolonial dargestellte Lizenzierungen für ausländische Firmen bei der Förderung von Öl und Gas einschränken möchte.

Sonko persönlich hängt einem konservativ geprägten Islam an. Beruflich ist er Wirtschafts- und Finanzexperte, früher war er als Steuerprüfer tätig. Er kritisiert die Versäumnisse und Abhängigkeiten der Wirtschaftspolitik der Regierung und deren Korruptheit. Bei der Präsidentschaftswahl 2019 erhielt er gut 15 Prozent der Stimmen und erheblichen Zuspruch vor allem aus der jüngeren Generation. Die strafrechtlichen Vorwürfe gegen ihn gelten vielen als fingiert. Sonko bestreitet die Anschuldigungen energisch und spricht von dem Versuch, ihn als politischen Widersacher des Staatspräsidenten Macky Sall auszuschalten.

Dieser als liberal geltende Politiker wurde 2012 ins Amt gewählt. Zuvor hatte breiter Protest der Bevölkerung erst im Juni 2011 verhindert, dass der damals 85jährige Staatspräsident Abdoulaye Wade die Verfassung änderte, um die Macht an seinen Sohn Karim Wade abtreten zu können, und dann im April 2012, dass Abdoulaye Wade sich selbst zum Wahlsieger ausrief. Heutzutage werfen viele Kritiker jedoch auch Sall autoritäre Amtsführung sowie Begünstigung einer sich selbst bereichernden Oligarchie vor.

80 Prozent der Einwohner des Landes leben von Tätigkeiten im sogenannten informellen Wirtschaftssektor, ihre Lage wurde durch die Pandemiemaßnahmen und die mit ihr einhergehenden Ausgangsbeschränkungen im vergangenen Jahr zusätzlich erschwert. Auch Fischereiabkommen mit der EU, die die traditionell vom Fischfang lebende Küstenbevölkerung mit dem Ruin bedrohen und zur Zerstörung der Fischbestände im Meer beitragen, spielen dabei eine Rolle. Die Präsenz von Auchan und anderer französischer Handelsketten wird zwar durch eine mehr oder minder kaufkräftige Mittelklasse honoriert, vernichtete jedoch die Existenzen zahlreicher Kleinhändler.

Viel Kritik richtet sich im Zusammenhang mit den Protesten gegen den neokolonialen Einfluss Frankreichs im Senegal. Dieser ist ein reales Problem, gab jedoch auch zu Gerüchten Anlass. In gefälschten Twitter-Botschaften, deren Screenshots im Internet kursieren, sieht es so aus, als kündige Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, 1 500 Soldaten loszuschicken, um französische Interessen zu schützen. Ein solches Vorgehen Frankreichs in afrikanischen Ländern gab es zwar in jüngerer Vergangenheit des Öfteren – wie bei der Niederschlagung der Unruhen in Gabun 1990 –, jedoch wurde das französische Armeekontingent im Hafen von Dakar im Spätsommer 2011 auf 350 Soldaten reduziert. Gerüchte gibt es auch über französische Armee-LKW, die in der vergangenen Woche ausgefahren seien, doch eine aktive Beteiligung Frankreichs an der polizeilichen Repression ist bislang nicht belegt.

In Paris warf der linkspopulistische Politiker Jean-Luc Mélenchon Macron vor, dessen Komplizenschaft mit der Regierung in Dakar und sein Schweigen zur Repression hätten solche Gerüchte erst begünstigt. Er erklärte sich mit den Massenprotesten solidarisch, verurteilte jedoch die Gewalt. Die wirtschaftsliberale Tageszeitung L’Opinion wiederum sagte, dass Frankreich bei den Protesten einen »Kollateralschaden« erlitte.

Am Mittwoch voriger Woche wurde Sonko inhaftiert, nachdem er sich in einem Demonstrationszug zum mit seiner Akte betrauten Untersuchungsrichter begeben hatte, und wegen »Aufstachelung zum Aufruhr« angeklagt. Am Sonntagabend kam er jedoch unter Meldeauflagen frei. Die Regierung erhoffte sich davon wohl eine gewisse Beruhigung der Situation. Gleichwohl rief der Mouvement de défense de la démocratie (M2D, Bewegung zur Verteidigung der Demokratie) zu weiteren Demonstrationen für den 8., 9. und 10. März auf. Nachdem der Präsident aber am Montag einlenkte und in einer Rede an die Nation unter anderem Friedensgespräche vorschlug, hat nun auch die Bewegung M2D ihre Anhänger dazu aufgerufen, die Proteste vorerst einzustellen.