Ein Kommentar zum Operationsverbot an intergeschlechtlichen Kindern

Halbherziger Schutz

Intergeschlechtliche Kinder schützt ein neues Gesetz künftig besser vor geschlechts­verändernden Operationen. Ein Recht auf körperliche Unversehrtheit für diese Kin­der garantiert es jedoch nicht.
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Mit der Verabschiedung des Gesetzes »zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« hakte die Bundesregierung am späten Abend des 25. März einen Punkt ihres Koalitionsvertrags ab. Das Gesetz soll nicht einwilligungsfähige intergeschlecht­liche Kinder vor chirurgischen Eingriffen schützen, deren alleiniges Ziel es ist, ihre Genitalien an ein normiertes Bild des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzupassen. Interessenvertretungen und Sachverständige hatten im Laufe des Gesetzesverfahrens immer wieder auf Verbesserungsbedarf und Schutzlücken hingewiesen, was der Gesetzgeber jedoch nur unzureichend berücksichtigte.

Im 20. Jahrhundert schufen die Verlagerung der Geburtshilfe in Krankenhäuser, die Etablierung einer zweigeschlechtlichen Norm sowie die Ausweitung diagnostischer Möglichkeiten die Grundlage für Operationen an Babys und Kleinkindern, die nicht eindeutig dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden konnten. Diese Eingriffe galten als gut für die Kinder, da man davon ausging, dass sie sich auch sozial mit dem zugewiesenen Geschlecht identifizieren würden und so ein »normales« Leben ohne Diskriminierung führen könnten.

Selbstvertretungsorganisationen von intergeschlechtlichen Menschen kritisieren diese medizinisch unnötigen Operationen seit den neunziger Jahren als Verstoß gegen die Menschenrechte. Ihrem Einsatz und zahlreichen Rügen internationaler Menschenrechts­organisationen ist es zu verdanken, dass der Schutz vor fremdbestimmten maskulinisierenden und feminisierenden Operationen in Deutschland nun endlich gesetzlich festgeschrieben ist.

Ein Paradigmenwechsel ist das neue Gesetz jedoch nicht. Die Wahrung der geschlechtlichen Selbstbestimmung und der körperlichen Unversehrtheit aller intergeschlechtlichen Kinder garantiert das Gesetz nicht. Die schutzwürdige Gruppe ist medizinisch definiert: Das Gesetz gilt nur für Kinder, deren angeborene Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale als »Varianten der Geschlechtsentwicklung« eingeordnet werden. Darunter werden ­verschiedene Diagnosen zusammengefasst, bei denen die Genetik, die Keimdrüsen oder die Geschlechtsorgane nicht im Sinn der zweigeschlechtlichen Norm übereinstimmen. Intergeschlechtliche Kinder, die nicht in diese Kategorie fallen, sind weiterhin dem ­Urteil der behandelnden Ärzte und Ärztinnen sowie den Entscheidungen ihrer Eltern ausgesetzt. Interessenverbände befürchten, das Operationsverbot könne umgangen werden, indem Kinder aus dem Anwendungsbereich hinausdefiniert werden. Bislang waren solche Operationen bereits durch medizinische Leitlinien untersagt. Studien haben jedoch gezeigt, dass Ärzte und Ärztinnen auf an­dere Diagnosen auswichen, um Operationen zu begründen, die sie dennoch für nötig hielten. Nicht die Gesundheit der Kinder stand dabei im Vordergrund, sondern das Ziel, ein Genital zu schaffen, das optisch als männlich oder weiblich gelten kann.

So mahnte beispielsweise die Geschlechterforscherin Ulrike Klöppel in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf im Januar, der Begriff der »Variante der Geschlechtsentwicklung« sei »weder ­längerfristig fixiert noch eindeutig und verbindlich definiert«. Die internationale Vereinigung intergeschlechtlicher Menschen for­dert eine menschenrechtsbasierte Gesetzgebung, durch die »alle angeborenen Geschlechtsmerkmale aller intergeschlechtlichen Kinder gleichwertig geschützt werden und Eingriffe und Behandlungen nur stattfinden dürfen, wenn sie nicht aufschiebbar sind wie z. . bei einer drohenden Lebensgefahr«.

Die Einrichtung eines Zentralregisters zur Dokumentation von Eingriffen ist zwar vorgesehen, jedoch nicht im Gesetz vorgeschrieben. Zwar sollen Akten zukünftig bis zum 48. Lebensjahr der Be­troffenen aufbewahrt werden, damit diese auf unkomplizierte Weise herausfinden können, wann, warum und von wem sie operiert wurden, Verjährungsfristen wurden jedoch nicht verlängert. Ältere intergeschlechtliche Personen können so zukünftig zwar ihre Behandlungsgeschichte einsehen – sobald ein adäquates Zentralregister eingerichtet ist –, Klagen und Strafverfolgung bei Menschenrechtsverstößen, wie von Betroffenenverbänden gefordert, werden jedoch nicht möglich sein.

Da das Verbot von menschenrechtswidrigen Operationen an intergeschlechtlichen Kindern eines der wenigen konkreten queer­politischen Versprechen der Großen Koalition war, frustrieren diese und weitere Versäumnisse.

Die lange Zeit bei Eltern sowie Ärztinnen und Ärzten handlungsleitende Überzeugung, »geschlechtsangleichende« Operationen würden intergeschlechtliche Kinder vor gesellschaftlicher Diskriminierung schützen, zeigt, wie gefährlich die Annahme ist, es gebe nur zwei Geschlechter. Dies pathologisiert und stigmatisiert intergeschlechtliche Menschen. Das Problem ist nicht die Intergeschlechtlichkeit, sondern die Trägheit der Gesellschaft, die in weiten Teilen krampfhaft an einer binären Geschlechternorm festhält. Das Gesetz ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Weitere sollten folgen, um geschlechtliche Selbstbestimmung für alle zu gewährleisten.