Der Aufsichtsrat von VW distanziert sich von ehemaligen Vorstandsleitern

VW gibt den Saubermann

Ein interner Bericht gibt dem ehemaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn Mitschuld am Dieselskandal. So will der Konzern nun einen Schlussstrich unter den Betrug ziehen.

Bei der beliebtesten Automarke Deutsch­lands läuft es wieder rund: Seit einigen Monaten zeigt der Aktienkurs von Volkswagen vor allem nach oben. Der Konzern präsentierte kürzlich stolz seine neuen elektrischen Modelle. Das Manager-Magazin bezeichnete den neuen elektrischen SUV, der seit Ende März ausgeliefert wird, als »Tesla-Fighter«, in Anspielung auf den Branchenführer bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen, den US-Konzern Tesla.

In Zukunft will VW sauber und trans­parent sein, ganz so, wie die neu­en Automodelle bewor­ben werden.

Dabei machte Volkswagen in den vergangenen Jahren vor allem mit dem sogenannten Dieselskandal von sich ­reden. Der Fahrzeugabsatz ging teils deutlich zurück, der Konzern sah sich mit hohen Schadenersatzklagen konfrontiert. Nicht zuletzt war das Image schwer ramponiert. Das einstige deutsche Vorzeigeunternehmen im niedersächsischen Wolfsburg galt plötzlich als industrieller Nachzügler, das aus reiner Profitgier an einer veralteten Technik festgehalten hatte – und dabei ­auch nicht vor kriminellen Methoden zurückschreckte. »Dieselgate« war im Herbst 2015 in den USA aufgeflogen, wo der Konzern seine Autos jahrelang als besonders umweltfreundlich bewarb. VW hatte in weltweit Millionen Autos eine Software eingebaut, die Schadstoffwerte manipulierte, um sie zu drücken.

Den Skandal wollen der Konzern und sein Vorstandsvorsitzender Herbert Diess nun endgültig hinter sich lassen und sich ein ganz neues Image zulegen. In Zukunft will VW sauber und transparent sein, ganz so, wie die neuen Modelle beworben werden. Schadstoffe und dunkle Machenschaften waren gestern. Dazu passt, dass unter die »Dieselthematik«, wie der Dieselskandal mittlerweile in Wolfsburg auch genannt wird, nun offenbar ein Schlussstrich gezogen werden soll.

Ende März verkündete der Aufsichtsrat nach jahrelangen Untersuchungen ein Ergebnis. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn trage Mitverantwortung am größten Skandal der Unternehmensgeschichte. Mitverantwortung wird auch dem früheren Audi-Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler attestiert; beide sollen wegen »Verletzungen der aktienrechtlichen Sorgfaltspflicht« Schadensersatz zahlen. Auch vier Aufsichtsräte der Konzerntöchter Audi und Porsche sollen belangt werden. Summen wurden jedoch nicht genannt.

Volkswagen hat sich mit der Aufar­beitung viel Zeit gelassen. Kurz nach Aufdeckung des Skandals war von Mitschuld führender Angestellter nicht die Rede. »Die Mitglieder des Präsidiums stellen fest, dass Herr Professor Dr. Winterkorn keine Kenntnis hatte von der Manipulation von Abgaswerten«, lautete die Ehrenerklärung des Aufsichts­rats von Volkswagen im September 2015. Später beauftragte der Aufsichtsrat die Anwaltskanzlei Gleiss-Lutz mit internen Ermittlungen, um die Verantwortlichen für den Skandal zu finden. Fünf Jahre danach hat die Kanzlei ein rund 2 00 Seiten umfassendes Gutachten fertiggestellt.

Nach Erkenntnissen der Kanzlei hat es der damalige Vorstandsvorsitzende Winterkorn unterlassen, die Hintergrün­de des Einsatzes der manipulierten Software rasch und umfassend aufzuklären. Zudem habe er Fragen von US-Behörden nicht umgehend und wahrheitsgemäß beantwortet.

Bei Volkswagen dient die späte Aufarbeitung nicht hauptsächlich der materiellen Schadensbegrenzung. Dies ist bei den Summen, um die es geht, auch schwerlich möglich. Winterkorn verdiente bei Volkswagen nach Angaben der Wirtschaftswoche über 100 Millionen Euro in den acht Jahren seines Vorstandsvorsitzes und hat vom Konzern eine Pensionzusage von rund 30 Millionen Euro bekommen. Wegen des Skandals hat der Konzern bislang Rückstellungen von rund 32 Milliarden Euro eingeplant. »Der Aufsichtsrat sieht auch die Lebensleistung von Winterkorn«, hieß es aus Wolfsburg dem Handelsblatt zufolge. Volkswagen wolle seinen früheren Konzernleiter mit Schadensersatzforderungen nicht in den privaten Ruin treiben. Daher stehe der symbolische Wert im Vordergrund; es gehe um einen »Hygienefaktor«, der eine Mitverantwortung demonstrieren solle.

Für Diess bietet die Entscheidung eine gute Gelegenheit, sich endgültig von seinem Vorgänger abzugrenzen und als Retter des Konzerns zu präsentieren. Unter seiner Führung hatte ­sich Volkswagen nach dem Skandal vorrangig auf die elektrische Modellpalette konzentriert. Winterkorn wirkt nun wie ein Dinosaurier aus dem fossilen Zeitalter.

Dass die symbolische Schadensbegrenzung zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt, hat allerdings auch materielle Gründe. Allein in der Bundesrepublik hatten insgesamt mehrere Hunderttausend Besitzer und Besitzerinnen von VW-Dieselfahrzeugen eine finanzielle Wiedergutmachung wegen der Abgasaffäre gefordert. Fast alle Ansprüche waren – VW zufolge – bis zum Ende vergangenen Jahres abgegolten. Mehr als 750 Millionen Euro hatte der Konzern in rund 240 00 Fällen gezahlt.

Etliche Kundinnen und Kunden hofften allerdings auf höhere Summen und klagten daher außerhalb des Musterverfahrens. Mittlerweile sind auch von diesen 55 00 Fällen mehr als die Hälfte mit Vergleichen beendet worden. Dass sich die internen Untersuchungen so lange hingezogen haben, kam Volkswagen daher durchaus gelegen. So konnte vermieden werden, dass die Ermittlungen gegen Winterkorn privaten Klägern zusätzliche Argumente für ihre Forderungen gegeben hätten.

Mit der zivilrechtlichen Klage auf Schadensersatz ist für Winterkorn allerdings der Dieselskandal noch nicht erledigt. Auf ihn wartet noch ein strafrechtliches Verfahren wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs, dessen Beginn Ende März schon zum zweiten Mal verschoben wurde. Es soll nun ab Mitte September vor dem Landgericht in Braunschweig stattfinden und voraussichtlich bis Juli 2023 dauern. Für die Eröffnung des Verfahrens hat sich die die niedersächsische Justiz also mehr als fünf Jahre Zeit gelassen.

Tatsächlich sind die Umstände des Prozesses nicht nur wegen der Dauer der Vorermittlungen und der angesetzten Verfahrenszeit sehr ungewöhnlich. Wohl erstmalig in Deutschland ­ermittelt eine an die Weisungen der Landesregierung gebundene Polizei und Staatsanwaltschaft gegen einen Konzern, an dem diese Landesregierung finanziell beteiligt ist. Gemäß dem umgangssprachlich so genannten VW-Gesetz hält das Land Niedersachsen 20 Prozent an dem Autokonzern. Im VW-Aufsichtsrat sitzt daher neben Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) höchstpersönlich. Diese außergewöhnliche Konstellation kritisiert auch die NGO Transparency International Deutschland: »Die Interessen von Politik und Unternehmen ­können nicht deckungsgleich sein, wenn es um Rechtsverstöße geht«, sagte ­Silvia Schwab, die stellvertretende Geschäftsführerin der NGO, dem Handelsblatt. Es fehle eine »gesunde Distanz«.

Nicht sicher ist, wann und ob Winterkorn überhaupt an dem Prozess teilnehmen kann. Nach Angaben seiner Anwälte ist der 73jährige krank. Bis es Winterkorn wieder besser gehe, könne es noch dauern, hieß es.