Thomas Chatterton Williams’ Plädoyer dafür, race zu verlernen

Die Aneignung existentieller Unbeschwertheit

In seinem autobiographisch geprägten Buch »Selbstporträt in Schwarz und Weiß. Unlearning Race« schildert der Kulturkritiker Thomas Chatterton Williams seine Auseinandersetzung mit den Zuschreibungen linker und rechter Identitätspolitik. Es ist die Geschichte einer Emanzi­pation von den abstrakten Kategorien der Hautfarbe.

»Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam«, notierte Franz Kafka 1916 in seinem Tagebuch. Auch wenn sein Werk von jüdischen Traditionen geprägt ist, versuchte er, den mit dem Judentum verbundenen Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft zu entkommen. Gilles Deleuze und Félix Guattari haben die Verwandlungen in Kafkas Werk, die vermenschlichten Tiere und tierähnlichen Menschen, als Strategien interpretiert, Fluchtlinien von Identitätszuschreibungen aufzuzeigen und Identität in der Schwebe zu halten.

An einer Stelle berichtet Williams, dass er bei einem Dinner mit seinem literarischen Idol, dem afroameri­kanischen Schriftsteller Ishmael Reed, seine weiße Ehefrau nicht dabei haben wollte, um sein Image als schwarzer Autor nicht zu gefährden.

Darum geht es auch in Thomas Chatterton Williams’ Buch »Selbstporträt in Schwarz und Weiß. Unlearning Race«, das soeben auf Deutsch erschienen ist. Das Zitat von Kafka findet sich darin ebenso wie Reflexionen darüber, wie sich Identitätszuschreibungen abweisen lassen. »Natürlich gab es soziale Kräfte und Denkweisen, die ihn, ob er wollte oder nicht, mit vielen Männern und Frauen verbanden, die in der Gesellschaft, der er angehörte, ebenfalls als Juden galten«, notiert der US-amerikanische Kulturkritiker und Autor, der mit seiner Familie in Paris lebt, über Kafka und dessen Tagebucheintrag. »Aber das macht die Ausgangsfrage nicht weniger bedenkenswert.«

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