Rechtsextreme Generäle drohen der französischen Regierung mit einem Putsch

Helm auf zum Putsch

Rechtsextreme Generäle im Ruhestand drohen der französischen Regierung in einem Aufruf mit einer »Intervention unserer aktiven Kameraden«. Marine Le Pen forderte die Unterzeichner auf, sich ihr anzuschließen

Das Datum dürfte bewusst gewählt worden sein. Am 22. April, dem 60. Jahrestag des jüngsten Militärputschs in der französischen Geschichte, als Militärangehörige im damals noch französischen Algier den Staatsstreich proklamiert hatten, erschien auf der Website des zwischen dem rechten Flügel der Konservativen und der neofaschistischen Rechten angesiedelten Wochenmagazins Valeurs actuelles ein von 20 Generälen, meist im Ruhestand oder im Reservistenstatus, unterzeichneter Aufruf. Seitdem wurden weitere Unterschriften unter den Appell gesammelt; am Dienstag waren bereits mehr als 24 000 zusammengekommen, darunter die von insgesamt über 50 Generälen.

Generell fordert der Appell eine Aufrüstung der Staatsgewalt. Allerdings kritisiert er in einem Punkt ihren Einsatz, nämlich bei den Protesten der »Gelbwesten«; da habe er das Volk entzweit.

Frankreich zählt rund 200 000 hauptberufliche und freiwillige Armeeangehörige und beruft seit 2001 keine Wehrpflichtigen mehr ein. Die Regierung hat angekündigt, gegen die 20 Generäle Disziplinarmaßnahmen wegen Verletzung des Gebots zu politischer Zurückhaltung zu ergreifen, wie zum Beispiel die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand für Offiziere in der Reserve. Dieser Reservedienst dauert fünf Jahre und folgt auf das Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. Dies käme einer symbolischen Degradierung gleich und schlösse ein Verbot ein, Uniform zu tragen, führte jedoch nicht zum Entzug der Pensionszahlungen. 18 Militärangehörige im aktiven Dienst, die den Appell unterschrieben haben, sollen zwangsweise in den Ruhestand versetzt und disziplinarisch bestraft werden.

Ursprünglich war der Text bereits am 13. April auf einer von der Öffentlichkeit nicht sonderlich beachteten, auf Militärthemen spezialisierten Website unter dem Titel »Place d’Armes« (Exerzierplatz) erschienen. Der circa eine Druckseite lange Text ist im Kern eine thesenartige Zusammenfassung des am 14. April erschienenen Buchs »Lettre ouverte à nos gouvernants« (Offener Brief an unsere Regierenden) des Initiators des Aufrufs.

Bei diesem handelt es sich um Jean-Pierre Fabre-Bernadac, einen 70jährigen pensionierten Hauptmann der Gendarmerie. Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Jahr 1987 war er lange im privaten Security-Gewerbe tätig. Er leitete jedoch in den neunziger Jahren auch den Département protection sécurité (DPS, Abteilung Schutz Sicherheit), den paramilitärischen Ordnerdienst der rechtsextremen Partei Front national (FN), mittlerweile umbenannt in Rassemblement national (RN, Nationale Sammlung).

Diese Ordnerdienst, der sich im selben Jahrzehnt bei der staatlichen französischen Rüstungsagentur Sofremi mit Uniformteilen und Teleskopschlagstöcken eindeckte, schrammte 1999 knapp am Verbot vorbei. In jenem Jahr legte eine parlamentarische Untersuchungskommission, die eigens zum DPS eingerichtet worden war, einen umfangreichen Untersuchungsbericht vor. Auf diesbezügliche Nachfragen hin teilte Fabre-Bernadac der wirtschaftsliberalen Tageszeitung L’Opinion vorige Woche mit, er habe »keine Politik betrieben«, sondern sei nur seinem »Beruf als Security-Fachmann nachgegangen«. Schließlich habe er kein politisches Amt bekleidet.

Dass der Text am Jahrestag des Putschs der Generäle von Algier auf der Website der Zeitschrift Valeurs actuelles erschien, wirkt wie eine gezielte Provokation. Deren Druckausgabe enthielt den Text nicht, der Erscheinungstag konnte also frei gewählt werden. Dass man bei Valeurs actuelles das historische Datum nicht kennt, ist äußerst un­wahrscheinlich. Der Algerien-Krieg, den Frankreich von 1954 bis 1962 führte, gehört zu den festen Bezugspunkten des Magazins. Noch Anfang 2007 empfahl es den US-Amerikanern im besetzten Irak, sich an der französischen Kriegführung in Algerien ein Vorbild zu nehmen. Dass diese den systematischen Einsatz von Folter beinhaltete, sorgte in Frankreich bereits 1957 für heftige Debatten.

Der von vier Generälen angeführte Putschversuch im April 1961 sollte ­verhindern, dass die französische Staatsführung unter Präsident Charles de Gaulle Verhandlungen über die Unabhängigkeit Algeriens aufnimmt. Der Putsch scheiterte. An ihm beteiligt war auch die kurz zuvor von Offizieren gegründete »Organisation Geheimarmee« (OAS), eine Terrororganisation, die in der Schlussphase des Algerien-Kriegs Tausende Menschen in Nordafrika wie auch im europäischen Teil Frankreichs ermordete. Im September 1961 verübte die OAS in Pont-sur-Seine ein Bombenattentat auf de Gaulle, im August 1962 in Clamart bei Paris einen Anschlag mit MG-Salven; bei beiden blieb de Gaulle unverletzt.

Inhaltlich warnt der Appell im Wesentlichen, Frankreich sei in seinem Fortbestand gefährdet, weil seine Regierungen zu weichlich seien und innere Feinde das Land unterminierten. Verantwortlich dafür macht der Aufruftext »den Islamismus« – den Begriff definiert er nicht – und »die Horden aus den Banlieues« sowie »einen gewissen Antirassismus«, der Statuen stürzen, eine Art nationalen Minderwertigkeitskomplex schüren und zum »Rassenkrieg« aufstacheln wolle. Unternehme die Regierung nichts, könne es zu einer »finalen Explosion und der Intervention unserer aktiven Kameraden« zum Schutz der Nation kommen.

Generell fordert der Text eine Aufrüstung der Staatsgewalt. Allerdings kritisiert er in einem Punkt ihren Einsatz, nämlich bei den Protesten der »Gelbwesten«; da habe er das Volk entzweit. Gelbe Westen tragende Protestierende unterschiedlicher Provenienz und Ideologie, von weit links bis rechtsex­trem, demonstrierten in Frankreich vor allem 2018/2019, ein harter Kern ist weiterhin aktiv.

Am Samstag attackierten unter anderem Träger gelber Westen zum Abschluss der diesjährigen Demonstration am 1. ai ein Fahrzeug des Gewerkschaftsbundes CGT und seinen Ordnerdienst, 21 Gewerkschafter wurden dabei der CGT zufolge verletzt. Im Laufe des Tages hatten sich vor allem Impfgegner, Maskenfeinde und Anhänger von Verschwörungstheorien à la Qanon gelbe Westen übergestreift. Fabre-Bernadac hatte zu Anfang der Woche in einem Interview mit dem französischsprachigen russischen Staats­medium fr.sputniknews.com angekündigt: »Ich glaube, dass es Gelbwesten gegeben hat und dass es olivgrüne Westen (gilets kakis) geben wird.«

Dass die Unterstützer des Aufrufs auf dem Weg eines Staatsstreichs eine Militärregierung errichten könnten, kann als ausgesprochen unwahrscheinlich gelten, selbst wenn in einer Umfrage vorige Woche angeblich 58 Prozent der teilnehmenden Französinnen und Franzosen ihre Sympathie für die Initiative der Generäle äußerten. Es dürfte vielen Beteiligten bewusst sein, dass eine Militärregierung in einem hochentwickelten Industrieland einen Anachronsimus darstellen würde. Eine solche Regierung wäre unfähig, soziale Gruppen und ihre politischen Organisationen, namentlich Gewerkschaften, einzubinden, auch fehlte es ihr an politischer Mobilisierungsfähigkeit und halbwegs überzeugender Legitimität

Um diese zu erlangen, bietet sich die extreme Rechte als politischer Partner an. Bereits in der Vergangenheit war nicht nur Fabre-Bernadac dort aktiv. Mehrere hochrangige Unterzeichner des Aufrufs standen nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Militärdienst auf Wahllisten des früheren FN oder jetzigen RN, wie die Generäle Norbert de Cacqueray, Eric Champoiseau, François Gaubert und Emmanuel de Richoufftz. Der ehemalige General Christian Piquemal – ihn hielten manche Medien zunächst fälschlich für den Initiator des Appells, den er jedenfalls unterstützt – wurde 2016 unehrenhaft aus der Armee entlassen. Er hatte zuvor an einer Demonstration gegen Migranten im nordfranzösischen Calais teilgenommen, im Zusammenhang mit damaligen Bemühungen um die Gründung einer französischen Pegida-Bewegung.

Marine Le Pen, die Vorsitzende des RN, publizierte am 23. April, dem Tag nach Erscheinen des Aufrufs, auf der Website von Valeurs actuelles eine Antwort in Form eines offenen Briefs, in dem sie die Unterzeichner dazu aufforderte, sich ihr anzuschließen, da sie nicht »im Stadium der Äußerung von Empörung stehenbleiben« dürften, sondern an der Ausarbeitung »einer politischen Lösung« mitarbeiten sollten.

Le Pens Nichte, die ehemalige FN-Abgeordnete Marion Maréchal, die mittlerweile parteilos ist und 2018 eine Privatuniversität in Lyon gegründet hat, erklärte am Donnerstag voriger Woche in einem Interview beim Sender RMC, was ihre politischen Gesinnungsfreunde an den Armeeangehörigen, die den Aufruf unterzeichnet hatten, interessiere: »Ihre Erfahrung bei Auslandseinsätzen in Kriegs- und Bürgerkriegsländern gibt ihnen eine analytische Befähigung, die anders als die der Normal­sterblichen ist und eben genau dazu dient, die Vorzeichen« – gemeint: für einen Bürgerkrieg – »auszumachen, die es in unserer Gesellschaft geben kann, in Bezug auf den latenten Guerillazustand, den wir erleben.« Der parteilose rechtsextreme Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, der ähnlich wie Maréchal bei Marine Le Pen ein zu betont »soziales« und zu wenig unternehmerfreundliches Auftreten bemängelt, drückte es am selben Vormittag beim privaten Nachrichtensender BFM TV einfacher aus: »Die Armee in die Banlieues, das fände ich eine sehr gute Idee.«

Mit einem Bürgerkrieg drohten implizit auch die Unterzeichner des Appells. Wenn man ihren Mahnungen nicht folge, schlossen sie ihren Aufruf, dann werde »der Bürgerkrieg« dem »wachsenden Chaos ein Ende bereiten«. Dann hätten die etablierten Politiker »die Verantwortung für Tausende Tote« zu tragen.